Stoffpolitik
Definition
Der Begriff „Stoff“ wird einerseits auf chemische Elemente oder Verbindungen (präziser: Substanzen) bezogen, umfaßt andererseits aber auch chemisch komplex zusammengesetzte Materialien (z. B. Holz, Zement). Stoffpolitik umfaßt die Gesamtheit der politischen Maßnahmen, mit denen Einfluß auf Art und Umfang der Stoffbereitstellung, der Stoffnutzung sowie der Abfallbehandlung und -lagerung genommen wird, um angesichts der Begrenztheit der Ressourcen und der eingeschränkten Belastbarkeit der Umwelt die stoffliche Basis der Wirtschaft langfristig zu sichern.
Bezug zur Ressourcenpolitik Stoffpolitik wurde 1994 von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Zum Schutz des Menschen und der Umwelt“ definiert. Doch bereits vorher wurden aus sicherheits-, wirtschafts- und umweltpolitischen Erwägungen stoffbezogene Ziele, Strategien und Maßnahmen verfolgt. Aufgrund von Nachschubproblemen für die industrielle Produktion in beiden Weltkriegen wurde beispielsweise in den USA eine strategische Ressourcenpolitik betrieben, um eine mögliche Erpreßbarkeit durch potentielle Gegner zu vermindern und die wirtschaftliche Entwicklung nicht durch absehbare Knappheiten zu gefährden. Behörden wie das us-amerikanische Bureau of Mines berichteten regelmäßig über die Vorräte, Verfügbarkeit und Preise von Industriemineralien („strategic minerals“) und anderen Rohstoffen. Aufgrund der global entspannten sicherheitspolitischen Lage wurde diese Aktivitäten in den 90er Jahren teilweise abgebaut. Gleichwohl mehren sich weltweit die Anzeichen, daß im 21. Jahrhundert die Verknappung von Rohstoffen und die Zugriffsmöglichkeit auf wertvolle Bodenschätze vor dem Hintergrund einer wachsenden Weltbevölkerung insbesondere bei innenpolitisch instabilen Regimen wichtige Risikofaktoren für regionale Konflikte darstellen.
3. Stoffbezogene Umweltprobleme
Durch Stoffe und anthropogene Stoffbewegungen vermittelte Einwirkungen auf die Umwelt lassen sich nach ihren Wirkungsmechanismen unterteilen:
Toxische Effekte:
Ein in die Umwelt abgegebener Stoff verteilt sich so, daß er in einer Konzentration vorliegt, die für bestimmte Organismen über der tolerablen Schwelle liegt und zu bestimmten akuten oder chronischen Schädigungen führt. Zu den (öko-)toxischen Wirkungen i. w. Stoffpolitik gehören auch Strahlungsschäden durch radioaktive Substanzen.
Wirkungen auf den Ernährungszustand der Organismen:
Ein zusätzlicher Eintrag von Nährstoffen (z. B. Stickstoffverbindungen) führt zu Überdüngung und kann eine Verschiebung des natürlichen Artenspektrums bewirken.
Mechanische Zerstörung:
Bei jeder Baumaßnahme, jeder Einrichtung einer Abbaufläche und Neuanlage eines Ackers wird das Inventar der jeweiligen Fläche an Organismen meist vollständig zerstört und der Boden unmittelbar bzw. mittelbar (z. B. durch Erosion bewirtschafteter Flächen) verfrachtet.
Wirkung auf biotische Strukturen: Auf ökosystemarer Ebene kann es z. B. durch die Zerschneidung natürlicher Habitate infolge von Baumaßnahmen insbesondere des Verkehrs zu einer Verminderung der Biodiversität kommen.
Physiko-chemische Wirkungen: Beispiele sind der anthropogene Treibhauseffekt infolge der vermehrten Absorption von Wärmestrahlung in der Atmosphäre aufgrund erhöhter Konzentrationen von Kohlendioxid und Wasserdampf infolge der Verbrennung fossiler Energieträger; der Abbau von stratosphärischem Ozon (das die gefährliche UV-Strahlung der Sonne absorbiert) durch langlebige Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW).
4. Stoffbezogene Umweltpolitik
Politische Maßnahmen zurn Schutz des Menschen und der Umwelt vor schädlichen stofflich vermittelten Einwirkungen begannen historisch mit lokalen Regelungen unmittelbar wahrnehmbarer Beeinträchtigungen im Nahbereich (z. B. Flüsse als Kloaken im Siedlungsbereich der Städte im 19. Jahrhundert) und führten bis zu internationalen Vereinbarungen zur Verminderung globaler zukünftiger Auswirkungen, die nur mit Hilfe wissenschaftlicher Modelle prognostiziert werden können (z. B. Treibhauseffekt).
Die traditionelle stoffbezogene Umweltpolitik war zunächst ordnungsrechtlich bestimmt und umfaßt in Deutschland die folgenden Bereiche:
Gewässerschutz:
Das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) regelt seit 1957 die Benutzung von Gewässern und die Entnahme oder die Einleitung von Stoffen. Die Durchführungsverordnungen widmen sich insbesondere den Anforderungen an die Einleitung von Abwässern und deren nachgeschalteter Reinigung. Das Abwasserabgabengesetz (AbwAG) versucht, das Verursacherprinzip umzusetzen, indem es für die Einleitung von Abwasser nach Art und Menge der stofflichen Belastung gestaffelte Abgaben vorsieht. Das Wasch- und Reinigungsmittelgesetz (WRMG) stellt Anforderungen an die Abbaubarkeit organischer Bestandteile und legt Höchstmengen für Phosphorverbindungen fest.
Immissionsschutz:
Luftreinhaltung und Lärmbekämpfung wurden seit 1974 zentral geregelt im Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG). In zahlreichen Verordnungen und der Technischen Anleitung Luft wurde das Risiko von schädlichen Immissionen in der Umwelt durch anlagenbezogene Emissionsgrenzwerte eingedämmt. Die technische Realisierung erfolgte häufig durch nachgeschaltete End-of-Pipe Prozesse (was in der Regel zu Problemverlagerungen führt) sowie produktionsintegrierte Maßnahmen (wodurch Vermeidung und Kostenreduktion ermöglicht werden).
Schutz vor gefährlichen Stoffen:
Nach dem Chemikaliengesetz (ChemG) von 1980 wurden Stoffe, die neu auf den Markt kommen, anmeldepflichtig und sog. Altstoffe werden einem sukzessiven Bewertungsverfahren unterzogen (das sich aufgrund der Vielzahl von Einzelstoffen über Jahre hinwegzieht). Die Gefährlichkeitsmerkmale für Mensch und Umwelt werden in der Gefahrstoffverordnung definiert. Der sichere Umgang mit Chemikalien soll vor allem durch Kennzeichnungsvorschriften gewährleistet werden. Darüber hinaus sind Anwendungsverbote und -beschränkungen möglich. Der verfahrenstechnische Aufwand hierfür ist allerdings für jeden einzelnen Stoff erheblich. Bestimmungsgemäß biozidhaltige Stoffe, wie sie zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt werden, sind bei forst- oder landwirtschaftlicher Anwendung zulassungspflichtig nach dem Pflanzenschutzgesetz (PflSchG). Bei nichtagrarischer Anwendung (z. B. Holzschutzmittel) wurde 1998 ein Zulassungsverfahren durch eine EU-Richtlinie (98/8/EG) gefordert, das Prüfverfahren für Teilproduktgruppen ablösen soll. über das Düngemittelgesetz (DMG) wird eine Mindestqualität der in der Landwirtschaft eingesetzten Dünger vorgeschrieben. Ein Entschädigungsfond für Landwirte wurde eingerichtet, durch den mögliche Schäden infolge der Verwertung von Klärschlamm auf landwirtschaftlichen Flächen ersetzt werden, um die Rückführung von Nährstoffen aus dem Abwasserbereich zu erhöhen.
Strahlenschutz:
Das vor dem Hintergrund der Energiepolitik Ende der 50er Jahre 1960 entstandene Atomgesetz (AtG) regelt den Umgang mit radioaktiven Stoffen für kerntechnische Anlagen. Das Strahlenschutzvorsorgegesetz (StrVG) verpflichtet Bund und Länder zu Meßprogrammen, legt die Orientierung an Grenzwerten fest und ermächtigt zu Verboten, kontaminierte Lebens- und Futtermittel zu verwenden.
Abfall- und Kreislaufwirtschaft:
Das Abfallgesetz von 1986 wurde zur Förderung einer Kreislaufwirtschaft 1994 beträchtlich erweitert (KrW/AbfG). Im Gegensatz zu den vorgenannten Politikbereichen, in denen die Verwendung und Emission kritischer Substanzen reglementiert wird, sollen hier Materialströme so beeinflußt werden, daß möglichst wenig Abfälle entstehen. Der Vermeidung und Verwertung von Abfällen werden Priorität vor der Beseitigung eingeräumt. Nach dem Grundsatz der Produktverantwortung sind Erzeugnisse so zu gestalten, daß bei Herstellung und Gebrauch möglichst wenig Abfälle entstehen und nach dem Gebrauch eine umweltverträgliche Verwertung sichergestellt ist. Die Konkretisierung dieses Grundsatzes erfolgt in begrenzter Weise durch spezielle Verordnungen für einzelne Produktgruppen (z. B. Altautoverordnung). Durch Quotenvorgaben z. B. der Verpackungsverordnung soll die Verwertung von Abfällen gefordert werden. Daran wird u. a. kritisiert, daß bei der Quotierung die Umweltbelastung und der Ressourcenaufwand durch das Recycling an sich außer Acht gelassen werden, wodurch teilweise ökologisch nicht sinnvolle Prozesse gefördert werden. Dazu kommt, daß viele Materialien nicht oder nur begrenzt recyclingfähig sind. Die Überwachung abfallbezogener Regelungen verlangt einen erheblichen Kontrollaufwand. Der Einsatz von Sekundärrohstoffen aus Recycling ist wesentlich von der Preisgestaltung auf den (Primär-)Rohstoffmärkten abhängig, welche das KrW-/AbfG nicht berührt.
Bodenschutz:
Das Bundes-Bodenschutzgesetz (BBodSchG) von 1998 sieht vor, das Auf- und Einbringen von Stoffen auf oder in Böden zu regeln. Prüf- und Maßnahmengrenzwerte sollen der Erkennung und Sanierung von Altlasten dienen.
Produktpolitik:
Eine umweltbezogene Produktpolitik, die durch ein Leitgesetz konkretisiert wäre, gibt es bislang nicht. Die o. g. Regelungen beziehen sich auf ausgewählte Produktgruppen. Zusätzlich sieht z. B. das Bauproduktengesetz (BauPG) von 1992 Mindestanforderungen an Bauprodukte vor, die auch Umwelt- und stoffbezogene Gesichtspunkte beinhalten. Diese Anforderungen werden über die Anlehnung an bestehende Normen vor allem auf europäische Normenausschüsse verlagert. Die überwiegende Zahl von Produkten ist rechtlich nicht reglementiert. Die stofflichen Auswirkungen ausgewählter Produktgruppen auf die Umwelt versucht man staatlicherseits durch „weiche Instrumente“ wie freiwillige Vereinbarungen oder Produktkennzeichnungen (z. B. RAL- Umweltzeichen) zu beeinflussen.
Die Vielzahl der umweltbezogenen Regelungen sollen durch ein Umweltgesetzbuch zusammengefaßt werden. Der Entwurf der Sachverständigenkommission (E-UGB) von 1998 stellt auch an Produkte generelle Anforderungen, wonach die Gesamtbelastung der Umwelt und des Menschen niedrig gehalten und nach Möglichkeit laufend verringert, mit Energie und anderen Ressourcen sparsam umgegangen werden soll und Stoffströme verlangsamt, der Stoffumsatz verringert und stoffliche Kreisläufe weitgehend geschlossen werden sollen.
So wie die nationalen stoffbezogenen Regelungen als Folge einer sukzessiven Wahrnehmung und Diskussion von Umweltproblemen durch Wissenschaft und Öffentlichkeit entstanden, entwickelte sich auch die internationale stoffbezogene Umweltpolitik.
Da die Verschmutzung der Meere hauptsächlich durch diffuse Einleitungen von Land erfolgt, versuchte man diese durch regionale Abkommen der Anrainerstaaten, z. B. für die Nord- und Ostsee, zu begrenzen. Die UNEP übertrug seit 1975 das europäische Vorbild auf weitere Regionalmeerprogramme. Dabei verpflichtet ein Rahmenvertrag die Anrainerstaaten, die Meeresverschmutzung aus allen Emissionsquellen weitgehend zu verhindern. In einem regionalspezifischen Protokoll werden detaillierte Standards vereinbart, z. B. zur Müllverklappung. Die Umsetzung dieser Programme wird jedoch als mangelhaft kritisiert.
Erfolgreich eingedämmt werden konnte die weltweite Produktion bestimmter FCKW über die Wiener Konvention zum Schutz der Ozonschicht von 1985 und das Montrealer Protokoll von 1987 sowie dessen Ergänzung durch Folgeprotokolle. Die Verbindung rechtlicher und ökonomischer Regelungen (Ausgleichsfond für Entwicklungsländer) und die vereinbarte Dynamisierungsklausel werden auch als beispielgebend für die internationale Umweltpolitik angesehen.
Die internationale Klimaschutzpolitik fand bisher die weiteste Beachtung. Die 1992 bei der UNCED-Konferenz in Rio de Janeiro beschlossene Klimarahmenkonvention wurde in der Folge zunächst durch das Protokoll von Kyoto 1997 konkretisiert, wodurch die Emission von ausgewählten Treibhausgasen durch die Industrieländer vermindert werden sollen.
Stoffpolitik wurde im 20. Jahrhundert somit nicht als einheitliches Konzept mit umfassendem strategischem Ansatz betrieben, sondern als problem- und medienorientierte stoffbezogene Umweltpolitik (dies gilt generell auch für die aktivitätsorientierte Umweltpolitik der EU, z. B. das fünfte Umwelt-Aktionsprogramm von 1992). Die konzeptionelle Diskussion war zunächst auf bestimmte Kernbereiche begrenzt, z. B. die Chemiepolitik oder Abfallwirtschaftspolitik. In der Folge wurde deutlich, daß einzelstoffbezogene Regelungen zu ausgewählten Risiken nicht ausreichen, Mensch und Umwelt vorbeugend zu schützen. Die zunehmende Erkenntnis des Zusammenhangs von Stoffströmen (von der Rohstofförderung bis zur Abfallentstehung), Produktions- und Konsumptionsweisen mit der wirtschaftlichen Entwicklung verdeutlichte die Notwendigkeit einer umfassenderen Herangehensweise. Dazu kam die Erfahrung, daß quantitativ und qualitativ bedeutende Stoffumsätze (z. B. Kohlenutzung, Kohlendioxidemissionen) von anderen Politikbereichen wie der Energiepolitik bestimmt wurden, wodurch die Forderung nach einer äquivalenten Stoffpolitik unterstützt wurde.
5. Stoffpolitische Ziele und Strategien
Eine umfassende Stoffpolitik wurde in Deutschland explizit thematisiert durch die Diskussion über eine nachhaltige Entwicklung. Als grundlegende Anforderungen („Management-Regeln“) werden erachtet:
Die Nutzungsrate erneuerbarer Ressourcen darf deren Regenerationsrate nicht übersteigen.
Die Nutzung nicht erneuerbarer Ressourcen soll nur in dem Umfang erfolgen, in dem ein physisch oder funktionell gleichwertiger Ersatz geschaffen wird (Dieser Grundsatz geht von der Substituierbarkeit von Natur/Umwelt und Technosphäre/Kapital aus („weak sustainbility“). Wird diese Annahme nicht geteilt („strong sustainability“), läuft der Grundsatz auf ein Minimierungsgebot des Einsatzes nicht erneuerbarer Ressourcen hinaus).
Der Eintrag von Stoffen in die Umwelt darf die Aufnahmekapazität der Umwelt nicht überschreiten.
Des weiteren wird von verschiedener Seite die Anforderung gestellt, daß Gefahren und unvertretbare Risiken für Mensch und Umwelt durch anthropogene Einwirkungen zu vermeiden sind und daß das Zeitmaß anthropogener Eingriffe auf das Reaktionsvermögen der Umwelt abgestimmt sein muß.
Ausgehend von der tatsächlichen Übernutzung der Umwelt werden insbesondere für Industrieländer folgende komplementäre Hauptstrategien einer Stoffpolitik für essentiell erachtet.
Die Verminderung der schädlichen Stoffabgaben in die Umwelt (Output der Anthroposphäre). Schadstoffkontrolle allein führt(e) jedoch eher zu reaktiven, nachsorgenden Maßnahmen.
Die Verminderung des Ressourcen-Inputs aus der Umwelt und der Umstieg auf erneuerbare Ressourcen. Da jede Ressourcenentnahme früher oder später zu Abfall oder Emissionen wird, werden dadurch pro-aktive, vorsorgende Maßnahmen unterstützt, die allein wiederum nicht ausreichen, spezifische Umweltrisiken zu vermindern.
Zusätzlich wird die Begrenzung des physischen Wachstums der Technosphäre für notwendig erachtet. Andernfalls führt die zunehmende Speicherung von Stoffen in Form von Gebäuden und Infrastrukturen zu steigendem Ressourcenaufwand durch Unterhaltung und Flächenverbrauch.
Entsprechend jener Hauptstrategien verfolgen moderne stoffpolitische Programme einen dualistischen Ansatz. So umfaßt der Entwurf für ein umweltpolitisches Schwerpunktprogramm des deutschen Umweltministeriums von 1998 konkrete Zielvorgaben für:
die Verminderung schädlicher Emissionen (z. B. von Kohlendioxid) und
die Anforderung, neben der Energieproduktivität auch die Rohstoffproduktivität zu erhöhen.
Der strategische Ansatz, die Ressourcenproduktivität oder -effizienz zu erhöhen, zielt darauf ab, die wirtschaftliche Entwicklung vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln.
Dadurch soll eine substantielle Verminderung des stofflich-energetischen Ressourcenverbrauchs bei Aufrechterhaltung und Weiterentwicklung des Wohlfahrtsniveaus und der Lebensqualität erreicht werden. Die Ressourcenproduktivität bezieht sich auf das Verhältnis von bereitgestelltem Nutzen oder erwirtschafteter Wertschöpfung zur Menge der dafür eingesetzten (natürlichen) Ressourcen. Gemessen werden kann sie volkswirtschaftlich z. B. als das Verhältnis von BIP zur Menge der insgesamt eingesetzten Rohmaterialien (wobei hier unterschiedliche Ansätze diskutiert werden, zwischen einer engen statischen Definition von „Rohstoffen“ bis hin zum globalem Materialaufwand einer Volkswirtschaft, der alle mengenmäßig relevanten Ressourcenextraktionen umfaßt, die den wirtschaftlichen Tätigkeiten vorgelagert sind.). Da eine Steigerung der Ressourcenproduktivität auch bei absolut steigendem Ressourcenaufwand erfolgen kann, ist die Erfassung und Ausweisung des letzteren entscheidend für die Bewertung des Ausmaßes stofflicher Umweltbelastungen.
Gegen Mitte der 90er Jahre von umweltwissenschaftlicher Seite in Deutschland vorgeschlagene Ziele, die stoffliche Ressourcenproduktivität von Industrieländern in 30 bis 50 Jahren um einen Faktor 4 bis 10 zu steigern (Faktor 4-Konzept) und die absolute Umweltbelastung dabei zu senken, wurden auf der politischen Programmebene von internationalen Institutionen (z. B. OECD, UNGASS) und einigen Ländern (z. B. Österreich, Finnland) übernommen (später in der Tendenz auch im o. g. Entwurf des BMU).
6. Berichts- und Controllinginstrumente
Für die politische Prioritätensetzung, die Planung von geeigneten Maßnahmen und die Evaluierung ihrer Wirksamkeit bedarf auch die Stoffpolitik geeigneter Berichtsinstrumente. Auf volkswirtschaftlicher Ebene kann dazu das Material- und Energieflussinformationssystem (MEFIS) des Statischen Bundesamtes herangezogen werden. Die Materialflußbilanzen in den Umweltökonomischen Gesamtrechnungen stellen eine Übersicht des physischen Durchsatzes der Wirtschaft dar. Die Hauptstoffströme können den verschiedenen Wirtschaftssektoren zugeordnet werden, die mit ihnen direkt und indirekt verbunden sind.
Auf betrieblicher Ebene können (a) z. B. über eine Materialbuchhaltung physische Betriebsbilanzen eine Übersicht über die stofflichen Inputs und Outputs geben und (b) die Hauptprodukte lebenszyklusweit auf vor-und nachgelagerte Stoffströme untersucht werden (im Rahmen von Ökobilanzen, MIPS-Analysen usw.). Die Umsetzung der input- und output-orientierten stoffpolitischen Strategien erfordert generell die Berücksichtigung von Stoffströmen beginnend bei der Entnahme von Rohstoffen, über die Verarbeitung von Halbwaren, die Produktion von Vor- und Fertigprodukten, deren Konsumption und Recycling bis zur -Entsorgung und der Abgabe an die Umwelt („von der Wiege bis zur Bahre“). Setzt man die erzielte Wertschöpfung oder die jeweilige Nutzen- oder Servicefunktion ins Verhältnis zu den kumuliert aufgewendeten natürlichen Ressourcen erhält man Kennzahlen zur Ressourcenproduktivität von Produkten und Dienstleistungen (entspricht dem inversen Verhältnis von MIPS = Material Input pro Service-Einheit).
7. Stoffpolitische Akteure und Maßnahmen Die stoffbezogene Umweltpolitik wurde historisch in erster Linie vom Staat betrieben und über das Ordnungsrecht umgesetzt. Der Schutz des Einzelnen und der Gemeinschaft vor bestimmten stofflichen Gefahren, die individuellem Handeln zugeordnet werden können, wird stets der staatlichen Aufsicht und Kontrolle bedürfen. Damit wird Stoffpolitik einerseits immer auch ordnungsrechtliche Instrumente zu ihrer Umsetzung benötigen. Andererseits läßt sich z. B. die Erhöhung der Ressourcenproduktivität nicht verordnen. Für eine breitenwirksame Umsetzung von Strategien, die auf eine Verbindung wirtschaftlicher Entwicklung mit einer Verminderung allgemeiner Umweltbelastungen abzielen, ist es daher erforderlich, den Marktmechanismus zu nutzen. Über die Frage, inwieweit der Staat die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens durch veränderte Anreizstrukturen - ökonomische Instrumente - beeinflussen kann und soll, gehen die (jeweils wissenschaftlich begründeten) Meinungen auseinander. Einig ist man sich dagegen in der Feststellung, daß Stoffpolitik nur über die verstärkte Kooperation der verschiedenen Akteure (Wirtschaft, Verbraucher, Nichtregierungsorganisationen, staatliche Institutionen, Wissenschaft) umgesetzt werden kann.
Zu den ökonomischen Instrumenten der Stoffpolitik gehören:
Subventionen:
Dieses Instrument wurde bislang aus wirtschafts-, struktur- und sozialpolitischen Gründen eingesetzt. In der Praxis wurde damit ein industrieller -Strukturwandel in Richtung erhöhter Ressourceneffizienz eher verzögert. Sollen Subventionen eine lenkende Wirkung in Richtung stofflicher Umweltentlastung entfalten, so könnte dies geschehen, indem ökologisch kontraproduktive Subventionen abgebaut, die Subventionsvergabe an bestimmte stoffbezogene Mindestanforderungen geknüpft oder umweltentlastende Verfahren durch neue, zeitlich begrenzte und degressiv gestaltete Subventionen gezielt unterstützt werden.
• Steuern und Abgaben:
Generell kann der Staat umweltbelastende Aktivitäten dadurch verteuern und weniger belastende verbilligen, wodurch eine Lenkungswirkung erzielt werden kann. Die Diskussion um eine -3“ökologische Steuerreform“ in den 90er Jahren war durch klima- und energiepolitische Argumente bestimmt. Je nach Bemessungsgrundlage hat eine Energieverbrauchssteuer unterschiedliche Auswirkungen auf die stofflichen Umsätze von Energieträgern, ihren Rohstoffentnahmen, Importen und Emissionen. Werden energie- bzw. ressourcenintensiv hergestellte Importe durch geeignete Grenzausgleichsmaßnahmen nicht ebenso wie im Inland hergestellte Produkte belastet, kann es zu Wettbewerbsveränderungen und möglichen Verlagerungen von Umweltbelastungen ins Ausland kommen. Abgaben können auch erhoben werden auf die Extraktion von Ressourcen (z. B. Sand und Kies) oder den Einsatz bestimmter Substanzen (z. B. Stickstoffdünger), wie dies z. B. in Dänemark praktiziert wird.
Zertifikate:
Diese Umweltlizenzen sind verbriefte Rechte auf bestimmte Umweltnutzungen (z. B. die jährliche Emission einer bestimmten Menge Kohlendioxid in die Luft oder von Schadstoffen in Gewässer, oder die Extraktion einer bestimmten Menge an Rohstoffen). Der Staat legt bei der Erstausgabe die Obergrenze der Umweltnutzung im Lizenzgebiet fest.Zertifikate können gehandelt werden. Die Investitionen in Verminderungs- oder Vermeidungstechnologien werden volkswirtschaftlich optimiert. Stoffbezogene Zertifikate wurden in einigen Regionen der USA zur Verminderung von Schwefeldioxidemissionen erfolgreich eingesetzt.
Umwelthaftung:
Dadurch erhöht sich das wirtschaftliche Risiko für potentielle Verursacher von Umweltschäden und somit ihr Eigeninteresse, solche Schäden nicht zustande kommen zu lassen. Das geltende Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) bezieht sich im wesentlichen auf Anlagen, die bereits aufgrund anderer Rechtsgrundlagen (z. B. BImSchG) bestimmten schadstofforientierten Auflagen unterliegen. Der Ansatz der Umwelthaftung eignet sich nicht zuletzt aufgrund der Orientierung am justiziablen Schadensbegriff eher zur Verminderung emissionsbedingter Umweltprobleme.
Pfandlösungen:
Sie haben einen stark ordnungspolitischen Charakter. Durch die Verordnung eines Zwangspfandes auf bestimmte Güter kann deren Rückgabe, Rücknahme und Verwertung bzw. Wiederverwendung gefördert werden. Dies kann ein Mittel sein, um die Kreislaufführung bestimmter Waren oder Materialien (z. B. Metalle für Getränkeverpackungen) gezielt zu unterstützen oder den Eintrag von Schadstoffen in Umwelt (z. B. aus Batterien) wirksam zu vermindern.
Zu den kooperationsfördernden Maßnahmen gehören:
Freiwillige Vereinbarungen zwischen Staat und Wirtschaft:
Diese wurden zumeist zur Vermeidung oder im Vorfeld von ordnungsrechtlichen Regelungen zwischen Wirtschaft und Staat getroffen und zielten zunächst meist auf die Substitution gefährlicher Chemikalien in bestimmten Produkten. In den 90er Jahren gaben Teile der deutschen Industrie auch klimapolitisch begründete Zusagen zur Verminderung von Treibhausgasemissionen.
Die Förderung von Kooperation und Koordination in der Wirtschaft:
Eine effektive Verminderung von kritischen Stoffinputs und -outputs bei gleichzeitiger Verbesserung der ökonomischen Performanz (Erhöhung der Öko-Effizienz) ist darauf angewiesen, Informationen über die technologischen und organisatorischen Möglichkeiten zum Auffinden und Nutzen von ökologisch-ökonomischen „Win-Win“-Lösungen bereitzustellen und umzusetzen. Gefördert werden kann dies durch verbesserte Koordination innerhalb von Unternehmen (z. B. über Umweltmanagementsysteme, Öko-Audit). Zunehmend wichtig wird auch die Kooperation zwischen verschiedenen Unternehmen zur Förderung und Nutzung der Möglichkeiten des Stoffstrommanagements.
Weiterführende Literatur:
BMU: Entwurf für ein umweltpolitisches Schwerpunktprogramm. Bonn 1996; Bringe-zu, S.: Umweltpolitik. Grundlagen, Strategien und Ansätze ökologisch zukunftsfähigen Wirtschaftens. Lehr- und Handbücher zur ökologischen Unternehmensführung und Umweltökonomie, München 1997; Enquete-Kommission „Schutz des Menschen und der Umwelt“ des Deutschen Bundestages (Hrsg.): Die Industriegesellschaft gestalten. Perspektiven für einen nachhaltigen Umgang mit Stoff- und Materialströmen. Bonn, 1994; Friege, H./ Engelhardt, C./ Henseling. K. 0. (Hrsg.): Das Management von Stoffströmen, Heidelberg 1998.
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