Marketing für öffentliche Betriebe
Nachdem das Marketing als marktorientierte Führungskonzeption zunächst ausschließlich im Bereich kommerzieller Unternehmen Anwendung fand, kam es Anfang der siebziger Jahre im Zuge der „Broadening“-Diskussion, bei der es um die Ausweitung des Gegenstandsbereiches des Marketing geht, zu einer Übertragung des Marketing-Konzeptes auf öffentliche Betriebe. Insbesondere die immer wieder vorgetragene Kritik an öffentlichen Betrieben, die sich vor allem auf die fehlende Kundenbzw. Bürgerorientierung, die finanzwirtschaftlichen Mißerfolge, die geringe Flexibilität und den schlechten Service bezog, ließ es empfehlenswert erscheinen, das Marketing als Problemlösungsinstrument einzusetzen.
Eine Marketing-Konzeption für öffentliche Betriebe, die hinsichtlich öffentlicher Verwaltungen und öffentlicher Unternehmen zu differenzieren sind, hat neben der Heterogenität vor allem die besonderen Merkmale und Rahmenbedingungen öffentlicher Institutionen zu berücksichtigen. Wesentliches Merkmal öffentlicher Betriebe ist ihr wirtschaftspolitischer Instrumentalcharakter. Im Bereich der Wettbewerbspolitik dienen öffentliche Unternehmen beispielsweise der gewünschten Monopolisierung bestimmter Wirtschaftsbereiche zur Sicherung einer ausreichenden Grundversorgung der Bevölkerung (z. B. durch Nahverkehrs- und Energieversorgungsunternehmen), umwelt-und verbraucherpolitische Zielsetzungen werden u. a. vom Umweltbundesamt bzw. der Stiftung Warentest wahrgenommen.
Öffentliche Betriebe können darüber hinaus durch spezifische Merkmale der von ihnen vertriebenen Güter gekennzeichnet werden. Private Individualgüter, die zu Marktpreisen vertrieben werden, stellen dabei eher die Ausnahme dar. Im Vordergrund stehen entweder öffentliche Individualgüter, die zu nicht kostendeckenden Entgelten abgegeben werden, oder kollektive Güter, für die keine Marktpreise existieren (Landesverteidigung, Rechtssicherheit, etc.). Öffentliche Betriebe sind ferner durch ihre oftmals monopolistische Marktstellung und die staatliche Aufsicht gekennzeichnet. Die aufgeführten Merkmale führen gegenüber privaten Unternehmen zu Unterschieden im betrieblichen Zielsystem. Während bei öffentlichen Verwaltungen der Versorgungsauftrag im Mittelpunkt steht, sind öffentliche Unternehmen von einem Zieldualismus aus erwerbswirtschaftlichen und am Versorgungsauftrag ausgerichteten Zielen geprägt. Vor diesem Hintergrund erklärt sich das immer wieder beklagte Marketingdefizit im Management öffentlicher Betriebe. Statt „Dienst am Kunden“ ist in vielen Fällen eine „obrigkeitsstaatliche Schaltermentalität“ zu konstatieren.
Orientiert man sich bei der Entwicklung einer Marketing-Konzeption für öffentliche Betriebe am entscheidungsorientier-ten Ansatz, so sind auf Grundlage einer Situationsanalyse Entscheidungen hinsichtlich Leitidee und Zielen, Strategien und Maßnahmen sowie deren Umsetzung zu treffen. Als Folge des Versorgungsauftrages haben sich öffentliche Betriebe dabei neben dem Absatz- und Beschaffungsmarkt vor allem an der allgemeinen Öffentlichkeit zu orientieren. Darüber hinaus kommt als Voraussetzung einer effektiven Kundenorientierung dem Marketing nach innen eine besondere Bedeutung zu.
Im Rahmen der Situationsanalyse ist zunächst festzustellen, in welchem Ausmaß eine Marketing-Orientierung bereits vorliegt und in welchem Umfang eine verstärkte Implementierung des Marketing-Konzeptes angestrebt wird. Ein Vergleich des auf diese Weise gewonnenen Soll-/Ist-Profils deckt das tatsächliche Ausmaß des Marketingdefizits auf und gibt erste Hinweise zu dessen Überwindung. Ein weiteres wichtiges Aufgabenfeld der Situationsanalyse ist die Bedarfsforschung. Hierbei ist die Erforschung des aktuellen Bedarfs ebenso notwendig wie die Aufdeckung der wesentlichen Bestimmungsfaktoren des Bedarfs, der langfristigen Bedarfsentwicklung und des aktuellen Bedarfsdeckungsgrades. In diesem Zusammenhang zeigen empirische Studien, dass gerade im Bereich der Marktforschung bei öffentlichen Betrieben noch erhebliche Defizite bestehen. Dies ist vor allem auf die Fehlsteuerung durch die Sanktions- und Anreizsysteme zurückzuführen, denn der Bestand und die Beurteilung des Erfolgs öffentlicher Betriebe hängen bislang nur in wenigen Fällen vom Markterfolg ab.
Die Ableitung von Leitideen und Zielen sollte gerade bei öffentlichen Betrieben auf der Basis eines Corporate Identity (CI)-Konzeptes erfolgen. Neben der Kongruenz der einzelnen Cl-Instrumente ist vor allem deren zukunftsgerichtete Ausrichtung sicherzustellen. Die CI öffentlicher Betriebe wird dabei in stärkerem Maße als bei privaten Unternehmen von externen Einflüssen bestimmt. Die wesentlichen Elemente der Cl werden insbesondere bei öffentlichen Verwaltungen durch politische bzw. gesetzliche Vorgaben determiniert.
In ähnlicher Weise ist auch der Zielbildungsprozeß öffentlicher Betriebe zu charakterisieren. Auf Grundlage der in vielen Fällen politisch vorgegebenen globalen Formalziele besteht die Managementaufgabe in der Operationalisierung dieser Globalziele anhand geeigneter Indikatoren. Das Globalziel „öffentliche Sicherheit“ läßt sich beispielsweise durch die Indikatoren „Anzahl der Einbrüche in einem Jahr“ operationalisieren. Als besonderes Problem bei der Aufstellung eines Zielsystems erweisen sich die oftmals konfliktären Zielbeziehungen, die sich als Folge der sowohl erwerbs- als auch gemeinwirtschaftlichen Ziele öffentlicher Betriebe ergeben. Dieser Konfliktsituation ist durch entsprechende Zielgewichtung, Anspruchsanpassung, sequentielle Zielverfolgung oder die Neudefinition der Ziele zu begegnen.
Im Gegensatz zu privatwirtschaftlichen Unternehmen ergeben sich für öffentliche Betriebe bei der Ausgestaltung von Marketingstrategien erhebliche Restriktionen. Der sich in zahlreichen Ländern aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus abzeichnende Rückzug des Staates führt mit Blick auf die grundsätzliche Stoßrichtung einer Marketing-Strategie zu einer Dominanz von Schrumpfungs- und Stabilisierungsstrategien. Ein Ausbau staatlicher Aktivitäten im Sinne einer Wachstumsstrategie dürfte zukünftig eher die Ausnahme sein. Die Finanzmisere vieler staatlicher Haushalte wird darüber hinaus vor allem Rationalisierungsstrategien in den Mittelpunkt des Interesses rücken. Für viele öffentliche Betriebe dürfte daher das Konzept des Lean Management zahlreiche Ansatzpunkte für eine Verbesserung der Betriebsabläufe bieten. Die gestiegenen Serviceansprüche der Verbraucher machen parallel jedoch auch Verbesserungen der Servicequalität erforderlich. Die insbesondere von japanischen Unternehmen bereits erfolgreich umgesetzte Outpacing-Strategie, die eine simultane Realisierung kosten- und qualitätsorien-tierter Wettbewerbsvorteile anstrebt, läßt auch für öffentliche Betriebe interessante Umsetzungsmöglichkeiten erkennen.
Die Wettbewerbsstrategie öffentlicher Betriebe weist neben der klassischen marktbezogenen auch eine kontextbezogene Dimension auf. Letztere zielt darauf ab, die politisch-rechtlichen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Sinne einer höheren Wettbewerbsfähigkeit öffentlicher Betriebe zu verbessern. Hier ist u. a. auf die Bemühungen öffentlicher Verkehrsgesellschaften zu verweisen, durch politische Einflußnahme die Vorteile des motorisierten Individualverkehrs abzubauen. Während die Handlungsoptionen bezüglich kontextbezogener Wettbewerbsstrategien relativ groß sind, ergeben sich bei den marktbezogenen Wettbewerbsstrategien deutlich geringere Ausgestaltungsspielräume. Hinsichtlich der Wettbewerbsstrategien von Porter steht öffentlichen Betrieben in erster Linie die Option der Qualitätsführerschaft offen. Demgegenüber scheidet die Konzentration auf Marktnischen in den meisten Fällen aufgrund des öffentlichen Auftrags zur Bedienung aller Bevölkerungsgrupppen aus. Eine Kostenführerschaftsstrategie läßt sich aufgrund struktureller Kostennachteile (Kontrahierungszwang, Beruf sbeamtentum, etc.) ebenfalls selten realisieren. Trotz der grundsätzlich eingeschränkteren marketingstrategischen Optionen ist der Einsatz strategischer Planungstechniken (Lücken-, Stärken-/Schwächen-, Portfolio-Analyse, etc.) auch für öffentliche Betriebe erfolgversprechend.
Der Maßnahmenkatalog des Beschaffungsmarketing ist bei öffentlichen Betrieben durch zahlreiche Rechtsvorschriften erheblich eingeengt. Der gesamte Beschaffungsprozeß ist durch das formale Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge standardisiert. Darüber hinaus sind sowohl das Beschaffungsentgelt als auch die zu berücksichtigenden Anbieter genau festgelegt. Demgegenüber besteht bei der Gestaltung der absatzpolitischen Maßnahmen ein höherer Freiheitsgrad. Dabei weisen öffentliche Unternehmen im Vergleich zu öffentlichen Verwaltungen den grundsätzlich höheren Handlungsspielraum auf.
Die Produktpolitik öffentlicher Betriebe ist durch die im Rahmen des öffentlichen Auftrags konkret vorgegebene Leistung stark eingeschränkt. Während die öffentliche Verwaltung kaum Ansatzpunkte zu produktpolitischen Maßnahmen hat, besteht für öffentliche Unternehmen durch Produktdifferenzierung und vor allem durch innovative Dienstleistungen ein nicht zu unterschätzendes Profilierungspotential. Bezüglich preispolitischer Maßnahmen sind öffentliche Verwaltungen in vielen Fällen durch eine scheinbar unentgeltliche oder nicht kostendeckende Leistungsabgabe gekennzeichnet. Die Finanzierung dieser Leistungen erfolgt indirekt über Steuern und Abgaben und entzieht sich somit dem Einflußbereich der Verwaltungen. Die Preisbildung öffentlicher Unternehmen ist durch die starke Kostenorientierung und die ausgeprägten politischen Einflüsse gekennzeichnet. Obwohl eine Preisdifferenzierung als auch das Instrument des preispolitischen Ausgleichs zum Teil eingesetzt werden, sind die Freiräume zur aktiven Gestaltung der Preispolitik auch hier begrenzt.
Im Gegensatz hierzu weist die Kommunikationspolitik öffentlicher Betriebe kaum Handlungsrestriktionen auf. Die Verwaltungsbehörden setzen insbesondere zur Bekanntmachung öffentlicher Aktionsprogramme bereits in starkem Maße auf kommunikationspolitische Maßnahmen (Anti-Raucher-Kampagne, AIDS-Kampagne, City-Marketing-Aktionen etc.). Obwohl in jüngster Zeit vor allem beim Sponsoring verstärkte Aktivitäten zu beobachten waren, kommen bei öffentlichen Betrieben grundsätzlich alle Kommunikationsinstrumente zum Einsatz. Der Dienstleistungscharakter der meisten von öffentlichen Betrieben angebotenen Güter führt bezüglich der Distributionspolitik zu weitgehend denselben Fragestellungen, denen sich auch private Dienstleister ausgesetzt sehen. Als zentraler Unterschied erweist sich lediglich die Dominanz des Direktvertriebs im staatlichen Bereich und die sich hieraus ergebenden Implikationen.
Zusammenfassend läßt sich festhalten, dass sich grundsätzlich in allen staatlichen Institutionen ein Marketingdenken und -handeln nicht nur einführen läßt, sondern einzel- und gesamtwirtschaftlich auch wünschenswert erscheint. Die ausgeprägte Heterogenität öffentlicher Betriebe macht es jedoch zwingend erforderlich, bei der Entwicklung einer Marketing-Konzeption die im Einzelfall tatsächlich gegebenen Handlungsfreiräume im Rahmen einer umfassenden Situationsanalyse differenziert zu analysieren.
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