Umweltbildung
1. Verständnis von Umweltbildung
Für Umweltbildung stehen unterschiedliche Begriffe wie Umwelterziehung oder Ökopädagogik, Naturpädagogik, ökologisches Lernen oder Umweltlernen. Bereits 1969 wurde folgender Begriff in der angelsächsischen Literatur geprägt, der lange Zeit die allgemeine Diskussion um Umweltbildung bestimmt hat: „ Environmental education is the process of recognising values and clarifying concepts in order to develop skills and attitudes necessary to understand and appreciate the inter-relatedness among man, his culture, his biological surroundings. Environmental education also entails practice in decision-making and self-formulation of a code of behavior about issues concerning environmental quality“. In Anlehnung an den Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) soll ein Begriff von Umweltbildung zugrunde gelegt werden, der davon ausgeht, daß durch Bildungsprozesse den Menschen Einsichten, Einstellungen und Werthaltungen vermittelt werden können, die den Erhalt der Umwelt durch eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung ermöglichen. Umweltbildung wird als ein alle Bildungsbereiche umfassender Begriff verstanden.
Für die praktische Umweltbildungsarbeit lassen sich einige Grundsätze ableiten, die sich in den letzten Jahren in der theoretischen Diskussion um Umweltbildung herauskristallisiert haben. Umweltbildung ist als Bestandteil von Allgemeinbildung zu verstehen, über die eine eigenständige Auseinandersetzung mit der belebten und unbelebten Natur und mit der Rolle, die Menschen (als Teil der Natur und als kulturell geformte und Kultur produzierende Wesen) darin spielen, ermöglicht werden soll.
Das Verhalten des Menschen zu sich selbst und zur Natur ist kulturelle Leistung und was wir als Natur wahrnehmen, ist durch unsere kulturell geformte Wahrnehmung bestimmt. Umweltbildung soll dazu befähigen, dieses Verhältnis zu verstehen, zu reflektieren und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu gestalten. Das Ziel steht darin, Menschen zu qualifizieren, sich an der Gestaltung heutiger sozialer, ökologischer und ökonomischer Verhältnisse so zu beteiligen, daß dieses nicht auf Kosten anderer Menschen und nicht auf Kosten künftiger Generationen geschieht.
Umweltbildung soll weiterhin dazu beitragen, Menschen zu ermutigen und sie dabei zu unterstützen, ihre Kompetenzen und vielfältige Sichtweisen zu entwickeln. Dabei geht es darum, zukunftsfähige Lebensstile und Gestaltungsmöglichkeiten, Verhaltensweisen, ethische Positionen, Handlungsmöglichkeiten im Alltag, nachhaltige Konsummuster und Zusammenhänge zwischen einer befriedigenden Lebensweise und Umweltbedingungen kennenzulernen und ausprobieren zu können. Voraussetzungen dafür sind die Entwicklung von vielfältigen Wahrnehmungs- und Ausdrucksfähigkeiten, von grundlegenden Sach-, Orientierungs- und Zusammenhangswissen über Alltagssituationen, die Verstehen und Handeln erfordern.
Im Kontext von Umweltpolitik wird Umweltbildung als „persuasives“ Instrument verstanden, das sich auch den einzelnen Menschen, aber auch auf Gruppen von Individuen bezieht. Umweltbildung wird als ein aktives Instrument im Sinne von Umweltvorsorge aufgefaßt, wobei weiter zwischen Informations- und Steuerungsinstrumenten zu differenzieren ist.
2. Die Umweltbildungsdiskussion: international und national Umweltbildung steht spätestens seit Ende der 60er Jahre international auf der Tagesordnung. Seitdem haben zahllose internationale Konferenzen stattgefunden, die mit dem Ziel durchgeführt wurden, Umweltbildung in den verschiedenen Bildungsbereichen zu etablieren. Aktivitäten zur Umweltbildung wird vor allem das Bemühen der Vereinten Nationen (VN) und ihrer Organisationen deutlich, das Thema Umweltbildung weltweit zu verankern.
Als Fortsetzung aller bislang initiierten internationalen Umweltbildungsaktivitäten hat die UNESCO 1977 eine erste weltweite Konferenz über Umwelterziehung in Tiflis durchgeführt. Diese Konferenz sollte entscheidenden Einfluß auf das Verständnis und die Weiterentwicklung von Umweltbildung haben. Eine weitere zwischenstaatliche UNESCO-Konferenz - International Congress an Environmental Education - in Moskau (1987) verabschiedete einen „Internationalen Aktionsplan für Umwelterziehung“ in den neunziger Jahren, in dem die Erfahrungen seit der ersten Konferenz ausgewertet und vor allem Vorschläge für die Integration von Umweltthemen in Schule, Hochschule und Forschung unterbreitet wurden. Die internationale Diskussion über Umwelt und dauerhafte Entwicklung, die von den genannten Veröffentlichungen und Ereignissen ausgelöst wurde, hatte ihren Höhepunkt auf der Konferenz der Vereinten Nationen zu Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference an Environmental and Development, UNCED) in Rio de Janeiro 1992 (Rio Konferenz). Auf ihr wurden neben vielen anderen wichtigen Erklärungen und Übereinkünften die Agenda 21 verabschiedet (Lokale Agenda 21). Dieses Dokument beschreibt Handlungsmöglichkeiten, die ergriffen werden müssen, um das Ziel einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen. Obwohl in der Agenda 21 in fast allen Kapiteln durchgängig auf Umweltbildung Bezug genommen wird, wird in Kapitel 36 dieses Dokuments explizit die Frage Bildung, öffentliches Bewußtsein und Ausbildung thematisiert und ein entsprechender Handlungskatalog aufgestellt.
Die verschiedenen Initiativen und Aktivitäten zur Umweltbildung haben ab der zweiten Hälfte der 80er Jahre deutlich zugenommen. Vor allem seit der Welt-Umweltkonferenz von Rio hat es nochmals einen zusätzlichen Schub auf politisch-parlamentarischer Ebene, aber auch auf der Ebene der politischen Beratungsgremien ausgelöst. Bemerkenswert ist auch, daß bereits sehr früh in den 70er Jahren Umweltbildungsaktivitäten außerhalb traditioneller Bildungsinstitutionen stattgefunden haben, die eng mit der Arbeit und dem Engagement von Bürgerinitiativen verknüpft waren (z. B. VHS Wyhler Wald).
Für den deutschsprachigen Raum erfuhren die Tifliser Empfehlungen eine weitere Präzisierung auf einer Arbeitskonferenz zur Umwelterziehung in München (1978). Dabei ging es insbesondere darum, wie diese Empfehlungen in das Bildungssystem zu integrieren und Formen des Zusammenwirkens von öffentlichen und privaten Institutionen sowie die Einbeziehung der Massenmedien zu ermöglichen seien. Vor allem standen Überlegungen zur schulischen Umweltbildung im Vordergrund, die in der Folge darin im Beschluß der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK) zu „Umwelt und Unterricht“ (1980) ihren Niederschlag fand. In diesem Beschluß wurden für den Schulunterricht die Erzeugung von Bewußtsein für Umweltfragen, die Förderung eines verantwortlichen Umgangs mit der Umwelt und die Erziehung zum umweltbewußten Verhalten als erklärte Ziele von Umwelterziehung formuliert.
Bemerkenswert ist, daß sich auch verschiedene Beratungsgremien von Regierung und Parlament immer wieder mit Fragen der Umweltbildung auseinandergesetzt haben. Zunächst ist der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) zu erwähnen, der sich in seinen Urnweltgutachten von 1978 und 1987 u. a. mit der Frage beschäftigt hat, wie über eine Stärkung des Umweltbewußtseins umweltgerechtes Verhalten hervorgerufen werden kann. Dabei wurde allerdings auch deutlich gezeigt, daß die Vermittlung von Umweltwissen allein nicht ausreicht, sondern vor allem auch Handlungsangebote und Anreize für umweltgerechtes Verhalten gegeben sein; hiermit wird bereits eine Relativierung von Umweltbildung vorgenommen und eine Verknüpfung zu politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen hergestellt. Eine besondere Rolle haben auch die in der zweiten Hälfte der 80er Jahre eingerichteten Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages zu den Themenfeldern „Bildung“ und „Klima“ gespielt. In der Enquete-Kommission „Zukünftige Bildungspolitik -Bildung 2000“ standen neben anderen Aspekten vor allem die des „Umweltlernens“ in der Berufsbildung und der beruflichen Weiterbildung im Vordergrund, wobei die Forderung nach ökologischen Schlüsselqualifikationen erhoben wurde.
Die Rio-Konferenz der Vereinten Nationen 1992 ist auch als Beginn einer dritten Phase umweltbildungspolitischer Aktivitäten zu sehen. Das Kapitel 36 der Agenda 21 der Konferenz der Vereinten Nationen (UNCED) macht deutlich, daß das Konzept einer nachhaltigen Entwicklung (sustainable development) als neue Basis für Umweltbildung zu betrachten ist. Eine umwelt- und entwicklungsorientierte Bildung soll sich sowohl mit der Dynamik der physikalischen/biologischen und der sozioökonomischen Umwelt als auch mit der menschlichen Entwicklung auseinandersetzen und alle relevanten Fachdisziplinen einbinden sowie formale, nonformale Methoden und wirksame Kommunikationsmittel einsetzen.
Das Umweltgutachten 1994 des Rates von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU) greift dieses Konzept auf und versucht, es für die Umweltbildung in Deutschland zu konkretisieren. Im „Sustainability-Ethos“ geht es nach Auffassung des SRU darum, die ökonomische und soziale Entwicklung des Menschen mit den ökosystemaren Mechanismen der Natur und ihrer Eigenschaften dauerhaft in Einklang zu bringen. Als Schlüsselprinzip dieses umweltethischen Ansatzes wird „Retinität“ genannt, womit die Gesamtvernetzung der Kulturwelt mit der Natur gekennzeichnet ist. Die entscheidende „ökologische Schlüsselqualifikation“ sieht der SRU im Verstehen dieses Prinzips, wobei unterstellt wird, daß „Verstehen“ zu Handeln führt. Der SRU schätzt die sogenannten „Vermittlungsinstanzen“, Bildung und Medien, als wichtige Kompetenzträger ein. Beim Schließen der Schere zwischen technisch-ökonomischer und ökologischer Entwicklung werden den Bildungsinstitutionen und den in ihren arbeitenden Menschen eine besondere Bedeutung zugewiesen.
Daneben hat sich auch der „Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung: Globale Umweltveränderungen“ (WBGU) in seinen Jahresgutachten von 1993 und 1995 zu Wort gemeldet und sich u.a. mit Fragen zu globalen Umweltveränderungen durch den Menschen und seinen psychosozialen Einflußfaktoren beschäftigt. Da viele globale Umweltprobleme nicht unmittelbar anschaulich und erlebbar sind, kommt nach Auffassung des WBGU ihrer Vermittlung in alltäglicher Kommunikation, durch die Medien oder durch Bildungsmaßnahmen große Bedeutung zu. Der WBGU geht noch einen Schritt weiter und formuliert Kriterien, die den Rahmen für Urnweltbildung abgeben können (WBGU 1996). Danach ist Umweltbildung situationsorientiert anzulegen, indem Themen aus dem lokalen und regionalen Umfeld aufgegriffen werden sollen, die für die Lernenden (z.B. Schülerinnen und Schüler) bedeutsam sind; weiterhin soll angestrebt werden, Lernenden einen handelnden Umgang mit Umweltproblemen zu ermöglichen, indem sich Lernprozesse z.B. auf die Umgestaltung der schulischen oder näheren Umgebung ausrichten (Handlungsorientierung); weiterhin dürfen gesellschaftliche Bezüge von Umweltproblemen nicht ausgeklammert werden (Problemorientierung). Als bedeutsam werden zwei weitere Leitlinien für die Umweltbildung erachtet: Antizipation und Partizipation. Antizipation heißt zunächst einmal, wünschenswerte Ereignisse zu selektieren und darauf hinzuarbeiten, neue Alternativen bereitzustellen. Es gehört weiterhin ein Denken dazu, das zu erwartende künftige Entwicklungen bzw. Beeinflussungen von Natur- und Anthroposhäre trotz deren zwangsläufiger Unsicherheit bereits in die Gestaltung des jetzigen Lebensstils einbezieht. Hinsichtlich der Bewertung von Natur- und Umweltzuständen werden außerdem Fähigkeiten gebraucht, die für die Beteiligung an derartigen Bewertungsprogrammen grundlegend sind. Dabei handelt es sich vor allem um partizipatorische Möglichkeiten, die sich vor allem auf die damit verbundenen Entscheidungen im Rahmen eines gesellschaftlichen Diskurses beziehen.
Gemeinsames Merkmal dieser beiden Sachverständigengremien - SRU und WBGU - ist die Erkenntnis. daß Umweltprobleme auf der politischen Ebene nicht allein administrativ, technisch oder ökonomisch gelöst werden können und auf der Bildungsebene allein die Vermittlung von Wissen auch nicht ausreicht, sondern daß ein Umdenken erforderlich ist, das die Beziehung des Menschen zu seiner Umwelt auf ein neues Fundament stellt und zu verändertem Handeln führt. Der im Brundtland-Report eingeführte und durch die Rio-Konferenz populär gewordene Begriff der „Nachhaltigkeit“ wird als Bezugsrahmen gesehen, der auch für die Einbeziehung globaler Aspekte von Umweltentwicklung geeignet ist.
3. Theoretische Diskussionsstränge in der Umweltbildung
Seit Ende der 70er Jahre findet eine stärker theoretisch orientierte Diskussion zur Umweltbildung statt, die sich durch verschiedene Schwerpunkte kennzeichnen läßt, ohne daß damit eine zeitliche Abfolge der Theoriediskussion noch eine absolute Vollständigkeit der verschiedenen Aspekte beschrieben ist:
Umweltbildung wird als naturpädagogischer Ansatz verstanden und als unmittelbare Begegnung und pflegerischer Umgang mit Natur im Bildungsprozeß interpretiert. Naturbeobachtung, Sinneswahrnehmung oder Naturerfahrung sind Stichworte, die eng mit diesem Ansatz zusammenhängen. Diesem Ansatz wird unter anderem der Vorwurf gemacht, daß die gesellschaftliche Dimension wie auch der Handlungsaspekt nicht angemessen in das theoretische Gebäude integriert ist.
Umweltbildung wird als umwelterzieherischer Ansatz interpretiert, der darauf abzielt, im pädagogischen Prozeß vor allem kurzfristige Handlungsmöglichkeiten zu eröffnen, ohne zunächst auf die tieferen Ursachen der Umweltzerstörung einzugehen. Umwelterziehung stellt die bestehende gesellschaftliche Ordnung nicht grundsätzlich in Frage, wobei Schule vor allem als Ort der Umwelterziehung gesehen wird. In diesem Ansatz wird eine gesellschaftskritische Position vermißt, ebenso wird der in erster Linie auf das Individuum bezogene pädagogische Ansatz kritisiert.
Umweltbildung wird als ökopädagogischer Ansatz diskutiert, wobei Ökopädagogik als gesellschaftskritischen Reflexionsansatz zu charakterisieren ist, der insbesondere auf die Grenzen pädagogischen Wirkens verweist. Im Zentrum steht die Überlegung, daß wir uns in einem Reflexionsprozeß begeben sollten, in dem wir unsere individuelle, aber auch die gesellschaftspolitische Situation auf mögliche Zukunftsorientierungen hin hinterfragen. Zu dieser Position wird u. a. angemerkt, daß hier keine konkrete pädagogische Konzeption entwickelt wird, die auch für die praktische Bildungsarbeit weiterführende Anregungen bereit hält.
Umweltbildung wird als lebensweltlich orientierter Ansatz verstanden. Dieser Ansatz knüpft an die Lebenswelt der Teilnehmenden an Bildungsveranstaltungen und deren Deutungsmuster an. Er versucht, einen didaktischen Rahmen auf der Grundlage unterschiedlicher Kriterien wie Betroffenheit, Ganzheitlichkeit, Vernetzung, Wissenschaftsorientierung oder Handlungsorientierung zu entwikkeln, der für die praktische Bildungsarbeit relevant erscheint. Hier wird u. a. kritisiert, daß er möglicherweise zu individuenbezogen und nur schwer in die praktische Bildungsarbeit umzusetzen ist.
Umweltbildung wird als ökologisches Lernen interpretiert, das außerhalb aller Institutionen stattfindet und nicht „verpädagogisiert“ ist. Heute findet dieser Ansatz zumindest in Teilen seine Fortsetzung in der Bildungsarbeit beispielsweise von Umweltorganisationen wie Greenpeace (z. B. in den „Greenteams“).
Dies war in groben Zügen die Diskussion um theoretische Konzepte der Umweltbildung vor allem in den 80er Jahren. Es sind ergänzend unter anderem auch noch die Positionen des Club of Rome zu erwähnen, der sich bereits Ende der 70er Jahre kritisch mit dem sogenannten „tradierten“ Lernen auseinander gesetzt und in seinem Ansatz des „innovativen Lernens“ die Begriffe antizipatorisches und partizipatorisches Lernen geprägt hat. Oder es wäre ein theoretisches Konzept zur beruflichen Umweltbildung zu nennen, in dem Ganzheitlichkeit als ein entscheidendes Grundprinzip der beruflichen Umweltbildung entfaltet wird, um von der einseitig zweckrationalen Zugangsweise wegzukommen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Verstand, Ästhetik und Ethik zu fördern.
Hinsichtlich der Perspektiven und Trends der Theoriediskussion zur Umweltbildung lassen sich folgende theoretische Diskussionsstränge verdeutlichen:
1) Seit einiger Zeit greifen umweltpsychologische Erkenntnisse stärker in die Theoriediskussion zur Umweltbildung ein. Hier ist u. a. auf Arbeiten zu verweisen, die die Umweltkrise als Krise des menschlichen Verhältnisses zur Umwelt interpretieren. Um dieses Verhältnis zu bestimmen und zu verändern, ist nach Auffassung von Umweltpsychologen Wissen über die Bedingungen von Verhalten erforderlich. Da das Verhalten zu erlernen ist, wird an Stelle der Begriffe Umweltbildung oder Umwelterziehung den Terminus Umweltlernen bevorzugt. Dieses Lernen ist als hoch komplexe Aufgabe anzusehen, denn nachweislich besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen Bewußtsein und Verhalten. Abstraktes Wissen steht nur wenig in direkter Beziehung zum Verhalten. Weiterhin ist zu differenzieren zwischen einer Verhaltensabsicht und dem tatsächlichen Verhalten. In diesem Zusammenhang wird u. a. die Diskussion um Interventionsstrategien geführt. Dabei stehen folgende Aspekte im Vordergrund: Information und Aufklärung, Lernen an Vorbildern, Angebot von Verhaltensmöglichkeiten sowie Einsatz von Verhaltensverstärkern wie extrinsische Motivationen mit dem Ziel, eine intrinsische Motivation zu bewirken.
2) Ein weiterer Strang der Diskussion ist um den vom Sachverständigenrat für Umweltfragen wieder ins Gespräch gebrachten Begriff der ökologischen Schlüsselqualifikation zu führen. Nach Auffassung des SRU muß Umweltbildung die Vermittlung von ökologischen Schlüsselqualifikationen zur Bewältigung der Umweltkrise beinhalten. Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Bildung 2000“ hat die theoretische Auseinandersetzung hierüber Anfang der 90er Jahre neu belebt. Das Verstehen des ökologischen Schlüsselprinzips der Vernetzung (Retinität) setzt beim Menschen die grundlegende Fähigkeit des Denkens in Zusammenhängen voraus. Neben dem Erkennen von gesetzmäßigen Abläufen gehört hierzu das Aufspüren und Beheben von „Störfaktoren“, die einen Einfluß auf Natur und Umwelt ausüben. Dies schließt zugleich die Fähigkeit zur Reflexion ein, die das individuelle Verhalten wie auch gesellschaftliche Handeln hinterfragt, wie auch antizipatorische Fähigkeiten, die es ermöglichen, künftige Entwicklungen und Beeinflussungen von Natur und Umwelt abzuschätzen. Hinsichtlich der Bewertung von Natur- und Umweltzuständen sind durch ökologische Schlüsselqualifikationen außerdem Möglichkeiten für die Beteiligung an diesen Bewertungsprozessen zu eröffnen.
Verständigung und Kommunikation als zentrale Elemente von Umweltbildung bilden einen weiteren Strang der Theoriediskussion, der sich darauf konzentriert, den einzelnen in die Lage zu versetzen, die Motive für sein Alltagshandeln genauer im Blick zu haben und in Bezug auf Umweltauswirkungen in Frage zu stellen. Ausgangspunkt dieses Ansatzes bilden systemtheoretische und damit verbundene Überlegungen zur ökologischen Kommunikation (Luhmann). Umweltbildung soll danach zur Verbesserung einer verständigungsorientierten Kommunikation in der Gesellschaft beitragen. Im Rahmen dieses Ansatzes steht die entscheidungsorientierte Selbstreflexion.
Der Konstruktivismus als Wahrnehmungs- und Erkenntnistheorie geht davon aus, daß das Gehirn ein menschliches Organ ist, das Welten festlegt, aber keine Welten spiegelt. Es konstruiert eine Wirklichkeit neben anderen möglichen Wirklichkeiten, allerdings ist es eine Konstruktion mit hoher Viabilität, d. h. sie muß in die Welt „passen“. Grundsätzliche Kritik üben die Konstruktivisten vor allem an Modellen, die Erkennen und Lernen als Abbildung, Widerspiegelung und Verinnerlichung objektiver Realitäten definieren. Sie bestreiten auch, daß das gelernt wird, was gelehrt wird; vielmehr gehen sie davon aus, daß Lernen ein eigensinniger und eigenwilliger Vorgang ist. Die konstruktivistische Erkenntnistheorie bestätigt eine subjektorientierte Pädagogik, die die Selbststeuerung und Selbstverantwortung des lernenden Individuums betont. Eine Nähe zum lebensweltlichen Ansatz ist nicht zu verkennen.
Ein weiterer Diskussionsstrang in der Umweltbildung ist durch den Begriff „Kulturelle Wende“ zu charakterisieren, zu dem auch die Auseinandersetzung mit Lebensstilen gehört, wozu u. a. Formen des Sprechens, des Sich-Kleidens, des Benehmens, der Geselligkeit, der Gefühlsstruktur zu zählen sind, aber auch wie man sich selbst einschätzt und was man für Ausdrucksformen der Persönlichkeit hält. Die Attraktivität neuer Lebensstile wird sich über kulturelle Neuorientierungen herausstellen können. In der Auseinandersetzung um diese Seite der -Ökologie liegt die neue Dimension der Umweltbildung. Wer in diesem Feld unterrichten will oder Curricula entwickelt, kann dies nicht ohne Rückbezug auf die Umweltbewußtseinsforschung und die Forschungen zu den Lebensstilen tun.
4 Ansätze einer Bildung für eine nachhaltige Entwicklung
Mit dem Begriff „sustainable development“ oder Nachhaltigkeit scheint sich in den letzten Jahren trotz aller Kritik eine politische Leitvorstellung entwickelt zu haben, auf die sich über alle Interessenkonflikte hinaus Menschen auf der Welt verständigen können. Nachhaltige Entwicklung zu verstehen, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre eigenen Bedürfnisse nicht befriedigen können, stößt auf eine breite Zustimmung. Es geht um die Verknüpfung von ökologischen, sozialen, kulturellen und ökonomischen Entwicklungsdimensionen, die der Leitvorstellung zugrunde liegen. Dabei sind folgende Strategien von Bedeutung: die Ressourcenproduktivität, d. h. der Wirkungsgrad pro Einheit, ist deutlich zu erhöhen bzw. der Stoff- und Energieverbrauch absolut zu senken (Effizienzstrategie) und die Stoffund Energieströme sind qualitativ und quantitativ an die Regenerationsfähigkeit der Ökosysteme anzupassen (Konsistenzstrategie).
Allerdings stoßen diese Strategien auch auf ihre Grenzen, wenn diese nicht zugleich mit Selbstbescheidung und Verzichtsbereitschaft bei den Menschen verbunden sind. Es geht zusätzlich darum, die umwelt- und ressourcenbelastenden Praktiken einzuschränken bzw. durch weniger belastende Praktiken zu ersetzen (Suffizienzstrategie). Durch diese Strategien induzierte Innovationen werfen automatisch die Frage nach der politischen Durchsetzung wie auch nach der gesellschaftlichen Akzeptanz auf. Umwelteinstellungen und Umweltverhalten erhalten in diesem Zusammenhang eine ganz neue Bedeutung, weil nach ganz anderen Orientierungen für Leben und Wirtschaften gefragt wird. Hiermit eng verknüpft ist eine weitere Strategie, die als Bildungsstrategie charakterisiert werden soll, in der es um die Auseinandersetzung mit der Idee von Nachhaltigkeit und mit den damit gestellten Aufgaben sowie um die Förderung von „Nachhaltigkeitsbewußtsein“ geht.
Die Vielzahl der Dimensionen und ihre unterschiedlichen Komponenten von Nachhaltigkeit machen deutlich, daß ein Bildungskonzept zu „sustainable development“ die traditionellen Grenzen von Umweltbildung überschreiten muß, ohne sie jedoch völlig einzureißen. Umweltbildung bleibt als ökologische und politische Bildung ein Kernbereich der neuen Bildungskonzeption. Die neue Bildungskonzeption muß jedoch auch die ökonomische, soziale und kulturelle Dimension in gleicher Weise einbeziehen. In diesem Sinn sind die Bildungsziele und - inhalte von Umweltbildung einer kritischen Reflexion zu unterziehen und im Sinne der genannten Dimensionen des Leitbildes Nachhaltigkeit zu erweitern.
Indem sich Bildung für eine nachhaltige Entwicklung auf einen offenen gesellschaftlichen Problemlöse-, Dialog- und Lernprozeß bezieht, trifft sie auch auf alle Bereiche gesellschaftlicher Inforrnation, Erziehung, Meinungsbildung, Verhaltenssteuerung und Qualifizierung. Sie kann sich nicht als Aufgabe auf einzelne Lernprogramme oder Unterrichtseinheiten reduzieren bzw. an einzelne Bildungsinstitutionen delegieren lassen, vielmehr muß sie durch entsprechende Aus-, Weiterbildungs- und Umschulungsmaßnahmen einerseits auf die Qualifizierung wissenschaftlicher, technologischer, ökonomischer und politischer Fach- und Führungskräfte, andererseits auf eine breite Information und Bildung, Motivierung und Aktivierung möglichst vieler Bürgerinnen und Bürger abheben.
Als notwendig erweist sich eine umfassende Entfaltung von menschlichen Fähigkeiten wie Kreativität und Phantasie, Intelligenz und kritisches Denkvermögen, aber auch Verständigungs- und Kooperationsfähigkeit, Fähigkeit zur Entscheidungsfindung unter Risikobedingungen sowie Partizipationsmöglichkeiten. Insofern ist Bildung für nachhaltige, umweltgerechte Entwicklung als ein wesentlicher Eckstein einer modernen Allgemeinbildung zu verstehen, die allerdings einer weiteren theoretischen Fundierung bedarf.
Weiterführende Literatur:
Beyer, A. (Hrsg.): Nachhaltigkeit und Umweltbildung, Hamburg 1998; Beyersdorf, M./Michelsen, G./Siebert, H. (Hrsg.): Umweltbildung. Theoretische Konzepte, empirische Erkenntnisse, praktische Erfahrungen. Neuwied 1998; Bolscho, D./Michelsen, G.: Umweltbildung unter globalen Perspektiven, Bielefeld 1997; Bolscho, D./Seybold, H.: Umweltbildung und ökologisches Lernen. Ein Studien- und Arbeitsbuch, Berlin 1996; De Haan, G. u. a.: Umweltbildung als Innovation, Berlin, Heidelberg 1997; Der Rat von Sachverständigen für Umweltfragen (SRU): Umweltgutachten 1994. Für eine dauerhaft-umweltgerechte Entwicklung, Wiesbaden 1994; Eulefeld, G./Bolscho, D./Rost, J./Seybold, H.: Entwicklung der Praxis schulischer Umwelterziehung in Deutschland. Ergebnisse empirischer Studien, Kiel 1993, IPN; Fischer, A.: Wege zu einer nachhaltigen beruflichen Bildung. Theoretische Überlegungen, Bielefeld 1998; Michel-sen, G.: Entwicklung und Perspektiven der Umweltbildung, in: Internationales Jahrbuch der Erwachsenenbildung, Bd. 24. Köln, Weimar, Wien 1996; Michelsen, G.: Bildungspolitische Instrumentarien einer dauerhaft-umweltgerechten Entwicklung, Stuttgart 1994; Politische Ökologie: Zukunftsaufgabe Umweltbildung. Auf der Suche nach neuen Perspektiven, Jg. 15., H. 51, 1997; Stoltenberg, U./Michelsen, G.: Lernen nach der Agenda 21: Überlegungen zu einem Bildungskonzept für eine nachhaltige Entwicklung, in: NNA-Berichte, 12. Jg, H. 1, 1999, Schneverdingen, S. 45-54. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen: Welt im Wandel. Herausforderung für die deutsche Wissenschaft., Jahresgutachten 1996. Berlin u. a. 1996.
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