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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Umweltbewußtsein

Im Begriff des Umweltbewußtseins haben sich zwei sehr allgemeine und unterschiedlich verstandene Begriffe Umwelt und Bewußtsein vereinigt. Nach Hellpach umfaßt Umwelt sowohl psychophysische, soziale und kulturelle Aspekte; verwandte Begriffe: Lebensraum, Lebenswelt. Uexküll führte die Unterscheidung zwischen Umgebung und Umwelt ein: während Umgebung die physikalisch objektiven Bedingungen kennzeichnet, von denen ein Lebewesen, ein Subjekt, umgeben ist, bezeichnet Umwelt die Tatsache, daß Lebewesen sich aus den Umgebungen ihre art- und individualspezifischen Umwelten schaffen. In den Sozial- und Verhaltenswissenschaften existieren unterschiedliche Modelle einer Mensch-Umwelt-Beziehung: Reflextheorien, Reiz-Reaktions-Theorien, Instinkttheorien, Gestalttheorien, Handlungstheorien, Feld-und Lebensraumtheorien, das Linsenmodell von Brunswik, der Behavior-Setting-Ansatz von Barker. Von nicht zu überschätzendem Einfluß wird man die Gottes-, Mensch-, Welt- und Natur-Auffassungen der Religionen und unterschiedlichen Kulturen betrachten. Sie prägen oftmals vergessenermaßen den Urngang mit dem Kosmos, der Umwelt, der Natur, der belebten und unbelebten Welt und ihren -’Ressourcen. Die hier entwickelten -Wmweltethiken enthalten Aussagen über das Wert- und damit teilweise auch das Umweltbewußtsein ganzer Regionen, Gruppen und Religionsgemeinschaften. Das Nachdenken über Umweltbewußtsein erfolgt in unterschiedlichen Disziplinen: Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Politologie, Soziologie, Psychologie, Theologie und Ethik, Soziobiologie. Insofern verwundert nicht, wenn die geringe theoretische Integration der vielen empirischen Einzelbefunde beklagt wird. Erachtet man einen solchen Anspruch auch als eine unerfüllbare Utopie, bleibt die Ordnung der unübersehbar vielen Einzelbefunde trotzdem und gerade deswegen eine wichtige Aufgabe. Über die hier genannten Disziplinen hinaus bleibt zu bedenken, daß die wissenschaftliche Erklärung von Umgebung bzw. Umwelt eine Frage des objektiven Wissens über Umweltsachverhalte darstellt. Die Polarität von objektivem Wissen und subjektivem, vermeintlichem Wissen kennzeichnet das Nachdenken über UmweltbewuBtsein in besonderer Weise. Der nachfolgende Beitrag orientiert sich deshalb absichtlich an folgenden gesetzlichen Vorgaben und aktuellen Gegebenheiten: Seit den 70er-Jahren sind verhaltensbedingte Umweltverschmutzungen und globale Umweltveränderungen (Stichworte: Ozonloch, Treibhauseffekt) thematisch geworden. Wasser, Boden, Luft und Ruhe sind deshalb gesetzlich in besonderer Weise geschützt, weil sie wichtige Grundlagen für Lebendiges überhaupt darstellen. Die Erzeugung und der Verteilung aller Konsumgüter unseres Alltags bis hin zu den Nahrungsmitteln sind mit dem Verbrauch bzw. der Inanspruchnahme und Belastung der genannten Ressourcen verbunden. UmweltbewuBtsein wird danach durch Intensitätsgrad, Alltagsverbindlichkeit und - konkretheit bei der gedanklichen Auseinandersetzung mit den Umweltgegebenheiten, deren emotionalen Verankerung sowie des praktischen Tuns zum Schutz der Umwelt gekennzeichnet. Menschen sind jedoch als Betroffene nicht nur vor erheblichen Gefahren, Nachteilen und erheblichen Belästigungen zu schützen, sondern tragen gleichzeitig Verantwortung als Verursacher und „potentielle Bewältiger“ (Kruse) der Umweltverschmutzungen. Menschen nehmen diese teilweise wahr; teilweise wissen sie darum, bewerten deren Folgen und entwickeln Vorstellungen über Schutzmaßnahmen. Als wichtige Leitbegriffe und Konzepte der Umweltbewertung haben sich eingeführt: Umwelt- und Gesundheitsverträglichkeit, subjektive Morbidität, Belästigung, Wohlbefinden, Zufriedenheit, Nachhaltigkeit, Lebensqualität, Umweltattraktivität. In den Sozialwissenschaften werden Fragen zum Umweltbewußtsein sehr breit unter der Einstellungs- und der Werteveränderungsthematik behandelt (environmental attitudes). In den meisten Lehrbüchern wird die Entstehung, Wirkung, Funktion von Einstellungen und deren Änderung weniger nach inhaltlichen Kategorien als nach den unterschiedlichen Theorien beschrieben. Einstellungen zur Umwelt und den Umweltressourcen lassen sich nach Strukturen und Funktionen beschreiben. Konzepte von Einstellungsstrukturen orientieren sich am traditionellen Schema von Denken (kognitive Komponente), Fühlen (affektive Komponente), Wollen (konative Komponente). Will man Umweltbewußtsein erzeugen, so muß man aufzeigen, wofür Einstellungen tauglich und gut sind: Einstellungen können der Orientierung und Planung des Handelns dienen. Sie können sich auch durch bestimmte Nützlichkeitsfunktionen ausweisen - etwa derart, daß sie die Beibehaltung angenehmer oder nützlicher Zustände gestatten. In der Identitätsfunktion sind wir uns der Umwelt bewußt, weil diese Einstellung zu uns gehört; man ist sich seiner persönlichen Verantwortung gegenüber der Umwelt bewußt. Der Begriff der Nachhaltigkeit im Sinne der Erhaltung intakter Umweltgüter für zukünftige Generationen bekommt hier seinen Ort (Umweltbewußtsein als Zukunftsleistung). Oft wird dieses Funktionsniveau durch Vorbilder begünstigt. Von Sinnfunktion sprechen wir, wenn wir Einstellungen aus ethischen Maximen heraus vertreten. Die Vermittlung von Umweltbewußtsein stellt ein Kernproblem dar: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Menschen von Umweltbewußtsein erfüllt sind und dementsprechend handeln? Fragen dieses Inhalts werden im Rahmen der Umweltkommunikation, des Firmen- und Produktmarketing sowie der Umwelterziehung behandelt. Die Frage, inwieweit Einstellungen unser Verhalten, auch Konsumverhalten, bestimmen (Konsistenz/Inkonsistenz zwischen Einstellung und Verhalten; transsituative Verhaltenskonsistenz), durchzieht auch die gesamte Forschung über Umweltbewußt-sein und Umweltverhalten (umweltbezogenes, umweltgerechtes oder umweltverantwortliches Verhalten). Während man lange Zeit meinte, daß Einstellungen beinahe automatisch bestimmte Verhaltensweisen bestimmen oder umgekehrt ausschließen, konnten in der Literatur nicht mehr als 10 - 20% des selbstberichteten Verhaltens aufgeklärt werden (Fuhrer 1995). Deshalb werden Einstellungen als Teilprozeß innerhalb eines komplexeren Informationsverarbeitungsprozeßes gesehen, z. B. innerhalb eines NutzenKosten-Kalkulationsprozeßes in bestimmten Situationen. Um solche kognitiven und emotionalen Abwägungsprozeße darzustellen, werden oftmals psychologische Entscheidungstheorien und Risikomodelle verwendet. Besonders bedeutsam erscheint hier auch die Bereitstellung von Wissen, welches für den einzelnen handlungsrelevant und unter konkreten Alltagsbedingungen umsetzbar werden kann. Trotz der Vielzahl empirischer Untersuchungen gibt es derzeit keine Modelle, um das konkrete Verhalten in Bezug auf Umweltsachverhalte zu erklären; auch Bildungsstand und demographische Variablen tragen wenig zur Erklärung bei. Insgesamt erscheint die Forschung manchmal motivational befangen, weil die Forschenden selbst vielleicht unter der Prämisse arbeiten, ihren eigenen Lebensstandard und Lebensstil keinesfalls aufzugeben; so kommt es zu vielfachen Widersprüchen zwischen emotionaler Empörung („ich ärgere mich, wenn ...“) und eigener Praxis; diesen Eindruck gewinnt man gelegentlich beim Lesen der Fragebögen zum Umweltbewußtsein: Lärmbekämpfer und Umweltpolitiker reisen angesichts enger Zeitpläne in Flugzeugen, benutzen selten die empfohlene Bahn, sondern den Dienstwagen; Naturschützer schützen die Affen in Kenia, regionale Zeitungen setzen sich für den Umweltschutz ein und werben gleichzeitig immer mehr für Leser-Fernreisen, deutsche Kindergruppen helfen bei der Pflege von Baumhecken in England. Vom umweltschonenden Lebensstil und Lebensgewohnheiten der Mönche sind wir noch weit entfernt. Das Dilemma lautet: Über subjektive Rationalitätsgesichtspunkte auch des Umwelthandelns kann nicht objektiv entschieden werden. In der Forschung zeigt sich jedoch, daß man Konsumgewohnheiten in jenem Rahmen ändern kann, soweit damit die wesentlichen Lebensgewohnheiten und Ansprüche beibehalten werden können. Hier wird deutlich, wie konstruiert, ja sogar artifiziell, der Begriff „Umweltbewußtsein“ ist; er scheint kein handlungsleitendes naturgegebenes Phänomen, wie es beispielsweise der Schmerz oder Gefühle sind. Eine umweltbewußte Politik steht deshalb oft vor der Entscheidung, inwieweit sie einerseits auf das Expertenurteil, andererseits auf das individuelle und sehr widersprüchliche Umweltbewußtsein der Bürger Rücksicht nehmen soll. Ein weiterer Aspekt betrifft die Unterscheidung nach invidualspezifischen und sozialen Funktionen der Einstellung: während Einstellungen im ersten Fall der Kontrolle des Handelns innerhalb des autonomen Individuums dienen, erfolgt im zweiten Fall die Kontrolle auf der Basis einer Gruppenzugehörigkeit. Die Frage geht hier dahin, welche Einstellungen ein Mensch haben muß, um als Mitglied einer Gruppe, beispielsweise eines Betriebes oder einer Behörde, einer Gewerkschaft und eines Betriebsrates, handlungsfähig zu sein. Vertrauen in Zuverlässigkeit auf vermittelnde Instanzen des Umweltbewußtseins erscheint als zentrale Kategorie für Handeln innerhalb einer Gruppe. Innerhalb dieser Betrachtungen bekommt die soziale Anerkennung umweltbewußten Verhaltens eine bedeutende Rolle. Dem gemeinsamen Ritual als Ursprung von Bewußtsein wird eine große Bedeutung zugesprochen; von dieser Idee werden manche Ansätze der Umwelterziehung getragen (Aktionen in Gruppen und Vereinen, Betriebsprämierungen). Die sozialfunktionale Betrachtungsweise des Umweltbewußtseins spielt zunehmend eine Rolle im Produktmarketing, bei der Formulierung von Leitbildern, in der Bilanzierung der Umweltlasten von Firmen aller Sparten (vgl. Audit-Verordnungen, ökologische -Kennzahlen, Umweltgütezeichen). Für die empirische Erfassung von Umweltbewußtsein wurden verschiedene Fragebögen verschiedenen Inhaltes entwickelt: dabei werden zum einen Wissen, Werthaltungen, Einstellungen zu Umweltsachverhalten und entsprechende Handlungsweisen ganz allgemein erfragt; zum anderen werden auch Einstellungen zu enger definierten Sachverhalten erfaßt, wie beispielsweise das Lärmbewußtsein, die Einstellung zur Müllsortierung, zur Kernkraft oder Luftverschmutzung, zum umweltbewußten Umgang mit Nahrungsmitteln und anderen Konsumgütern. Die Untersuchungen mit solchen Skalen belegen immer wieder, daß das Umweltbewußtsein nicht einfach das gesamte Alltagsverhalten prägt, sondern eher bereichsspezifisch wirkt (Müllsortierer sind nicht automatisch lärmbewußt). Die Breite des so erfaßten Umweltbewußtseins reicht vom individuellen Zustand bis hin zur bevölkerungsrepräsentativen Öffentlichen Meinung; solche Studien beschränken sich jedoch in ihrer Aussagekraft auf inhaltlich und zeitlich sehr eingeschränkte Umweltsachverhalte. Andererseits wird das Umweltbewußtsein zunehmend weltweit bzw. auf europäischer Ebene erfaßt und länderweit verglichen. Weiterführende Literatur: Auer, A.: Umweltethik. Düsseldorf 1984; Dierkes, M./ Fietkau, H.- J.: Umweltbewußtsein. Umweltverhalten. Gutachten für den Rat von Sachverständigen für Umweltfragen. Wissenschaftszentrum Berlin, Berlin 1987; Fuhrer, U.: Sozialpsychologisch fundierter Theorierahmen für eine Umweltbewußtseinsforschung. Psychologische Rundschau, 46, o. 0. 1995; Kuckartz, U.: Umweltbewußtsein und Umweltverhalten. Berlin 1998; Requate. T.: Die Wertschätzung von Umweltqualität aus ökonomischer Sicht. Umweltpsychologie, 3(1), o. 0. 1999; Ruh, H.: Argument Ethik. Zürich 1991; Urban, D.: Was ist Umweltbewußtsein? Z. für Soziologie, 15 (5), o. 0. 1986.



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