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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Lokale Agenda 21

Agenda (lat.) bedeutet wörtlich übersetzt: „was getan werden muß“, „was zu verhandeln ist“. 21 verweist auf das 21. Jahrhundert und lokal definiert die Handlungsebene: Städte und Gemeinden, Kommunalpolitik und -verwaltung, Leben, Wohnen, Arbeiten und Wirtschaften „vor Ort“. Programmatisch verankert ist die Lokale Agenda 21 in dem 1992 auf der Konferenz für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen (UNCED) in Rio de Janeiro von 179 Staaten verabschiedeten Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert. Die RioKonferenz hebt die Debatte um Ziele und Maßnahmen einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung (Sustainable Development) erstmals auf eine viel beachtete internationale politische Bühne. Inhaltlich geht es dabei nicht nur um den Versuch, die allenfalls als allgemeines und unverbindliches Leitbild konsensfähige Idee der nachhaltigen Entwicklung zu konkretisieren. In der Rezeption des Rio-Dokuments vielfach unbeachtet geht es darin über die Zielformulierung hinaus auch um den Weg bzw. den Prozeß der Zielrealisierung und um damit zusammenhängende Anforderungen an die Akteure, Institutionen und Organisationen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. In dieser Perspektive betont die Agenda 21 die Notwendigkeit eines neuen, auf Partizipation und Konsensfindung orientierten Politikmodells, ohne daß die Umsetzung einer zukunftsfähigen Entwicklung und darauf abgestimmter Maßnahmen gar nicht gelingen kann. Unter der Überschrift „Stärkung der Rolle wichtiger Gruppen“ geht es dabei namentlich um „Engagement und echte Beteiligung aller gesellschaftlicher Gruppen“, „umfassende Beteiligung der Öffentlichkeit an der Entscheidungsfindung“, „Notwendigkeit neuer Formen der Partizipation“ und „echte gesellschaftliche Partnerschaft“. Damit betont erstmals ein global abgestimmtes Aktionsprogramm die Wichtigkeit der Zusammenarbeit von Regierungsund Nicht-Regierungsorganisationen, Unternehmen, Initiativen und anderen bürgerschaftlichen Gruppen. Um Dialog und öffentliche Beteiligung zu ermöglichen, fordert die Agenda 21 Transparenz und Offenheit des administrativen Handelns. In diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben wird die Beteiligung und Mitwirkung der Kommunen, die ihrerseits mit einer Lokalen Agenda 21 auf die Initiierung eines innovativen Prozesses zur Entwicklung und Anwendung eines beteiligungsorientierten Politikmodells bzw. neuen Steuerungsmodells verpflichtet werden. Wörtlich heißt es in Kapitel 28 der Agenda 21: „Jede Kommunalverwaltung soll in einen Dialog mit ihren Bürgern, örtlichen Organisationen und der Privatwirtschaft eintreten und eine kommunale Agenda 21 beschließen. Durch Konsultation und Herstellung eines Konsenses würden die Kommunen von ihren Bürgern und von örtlichen Organisationen von Bürger-, Gemeinde-, Wirtschafts- und Gewerbeorganisationen lernen und für die Formulierung der am besten geeigneten Strategien die erforderlichen Informationen erlangen. Durch den Konsultationsprozeß würde das Bewußtsein der einzelnen Haushalte für Fragen der nachhaltigen Entwicklung geschärft und kommunalpolitische Programme, Leitlinien, Gesetze und sonstige Vorschriften zur Verwirklichung der Ziele der Agenda 21 bewertet und modifiziert“. Derartig konzipiert beinhaltet die Lokale Agenda 21 im Kern die Aufforderung zur Repolitisierung bzw. politischen Aufwertung der lokalen Ebene, zur Weiterentwicklung und Anwendung eines partizipativen, dialogischen Politikmodells, das Konsultation - also das gemeinsame Beratschlagen über zukunftsfähige Leitbilder der Stadtentwicklung, eine sozialökologische Erneuerung städtischen Lebens und die Entwicklung darauf abgestimmter Diskussions-, Planungsund Entscheidungsprozesse in den Mittelpunkt stellt. Dabei geht es weder um die Aushebelung etablierter Formen des kommunalpolitischen Planungs- und Entscheidungsprozesses sowie des Verwaltungshandelns, noch um ihre bloße Ergänzung um unverbindliche und letztlich unproduktive „Laiendiskurse“ oder kommunalpolitisch irrelevante „Spielwiesen“. Im Gesamtzusammenhang betrachtet handelt es sich bei der hier verfolgten „Strategie nachhaltiger Entwicklung“ vielmehr um die Organisation von Suchprozessen nach immer besseren Problemlösungen und das Experimentieren mit darauf abgestimmten neuen Formen der Beteiligung und Vernetzung von unterschiedlichen Akteuren bzw. Akteursgruppen. Die im Konzept der Lokalen Agenda 21 zum Ausdruck kommende „Redefinition des Lokalen“ bzw. Aufwertung des „demokratischen Nahbereichs“ (U. Beck) hängt mit der Erkenntnis zusammen, daß viele globale Probleme ihre Ursachen auf der lokalen Ebene haben (Produktion und Konsum, Siedlungsstrukturen, Flächenverbrauch, Verkehr, Energieverbrauch, Lebensstile) und dementsprechend auch primär dort zu bearbeiten wären. Zum anderen bietet die Kommune, der Stadtteil oder allgemeiner ausgedrückt, die Lebenswelt des Alltags, d. h. der Ort, der den alltäglichen Erfahrungshorizont der Bürgerinnen und Bürger bestimmt, am ehesten Anknüpfungspunkte für ihre aktive Beteiligung an notwendigen Innovationsprozessen. Konsultation und Beteiligung im Sinne der Lokalen Agenda 21 beinhalten Chancen und Potentiale im Hinblick auf eine zukunftsfähige Innovation von Politik und Verwaltung auf kommunaler Ebene. Bürgernahe Informationen und die frühzeitige und unbürokratische Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in den kommunalen Planungs- und Entscheidungsprozeß reduzieren das Risiko von Fehlplanungen und helfen somit, Kosten zu sparen. Die vor Ort vorhandene Sachkompetenz auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger, der Verbände, sowie der Wirtschaft kann systematisch genutzt und das bürgerschaftliche Engagement problem- und bedarfsorientiert weiter aktiviert werden. Zugleich kann die Akzeptanz für bestimmte kommunalpolitische Entscheidungen und Maßnahmen gesteigert werden. Nicht zuletzt entstehen durch konsultative und dialogische Verfahren der Bürgerbeteiligung neue und zielgruppenspezifische Formen der Solidarität. Dialog als Austausch unter Gleichen, gegenseitige Beratung und gegenseitiges Lernen als Öffnung des politischen Prozesses sowie die Erarbeitung von Konsens zwischen allen Beteiligten sind dabei die Leitplanken für einen sozialökologischen Innovationsprozeß auf kommunaler Ebene. Insofern bietet der Lokale Agenda Prozeß für die Kommunen die Chance, vorhandene Blokkierungen und Innovationshemmnisse zu überwinden und inhaltlich wie strategisch neue Perspektiven zu entwickeln. Er lebt vom Engagement und den Erfahrungen, die die Menschen vor Ort und die sog. kommunalpolitisch relevanten Akteure in diesen Prozeß aktiv einbringen. Wesentliche Voraussetzung dafür, daß verkrustete Strukturen und eingeschliffene Routinen überwunden und notwendige Trendwenden eingeleitet werden können, ist, daß vor allem die tatsächlich brisanten und vor Ort umstrittenen Themen in der Perspektive auf die Erarbeitung konsensualer Zielsetzungen und Problemlösungen zur Diskussion gestellt werden. Weil - wie die Agenda 21 betont - die Unternehmerschaft „eine der wichtigsten Triebkräfte für Innovationen“ ist und „eine wichtige Rolle in der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung eines Landes“ spielt, ist die systematische Einbeziehung von Akteuren der lokalen Wirtschaft in den Agenda-Prozeß von ausschlaggebender Bedeutung - und ist darüber hinaus auch ganz nebenbei eine erfolgversprechende Form der „Rationalisierung“ von intransparenten und kaum kontrollierbaren Interessenverflechtungen im kommunalpolitischen Planungs- und Entscheidungsprozeß. Der Text des Rio-Dokuments sieht vor, daß bis 1996 die Mehrzahl der Kommunalverwaltungen in den Unterzeichnerländem einen Konsens hinsichtlich einer Lokalen Agenda 21 erzielt haben sollte. Eine vom Internationalen Rat für Kommunale Umweltinitiativen (ICLEI) gemeinsam mit dem Department for Policy Coordination and Sustainable Development der Vereinten Nationen durchgeführte weltweite Erhebung weist Ende 1996 ca. 1.800 Kommunen in 64 Ländern aus, die bis zu diesem Zeitpunkt in einen lokalen Agenda-Prozeß eingetreten sind; das ist weniger als 1% aller Kommunen. Mit 1576 Fällen liegt der Schwerpunkt - mit einem deutlichen Nord-Süd-Gefälle - eindeutig bei den europäischen Städten. Zum Erhebungszeitpunkt wurden in Deutschland 30 Städte mit lokalen Agenda-Aktivitäten erfaßt. Wie nicht anders zu erwarten, ist die Beteiligung in den Ländern am größten, in denen der Prozeß auf nationaler Ebene koordiniert und unterstützt wird. Thematisch wird in den westlichen Industrieländern eine starke Konzentration auf Umweltschutzfragen, insbesondere in den Handlungsfeldern Verkehr, Energie, Flächennutzung und Innenstadtentwicklung festgestellt. Dabei differieren die strategischen und prozessualen Vorgehensweisen sowohl zwischen als auch in den einzelnen Ländern z. T. sehr stark. In den sog. „Entwicklungs-“ und „Schwellenländern“ dominieren hingegen eindeutig soziale und entwicklungspolitische Aspekte. Den regelmäßig durchgeführten Recherchen von Agenda-Transfer, Bonn, zufolge, haben bis März 1999 (Stand vom 18. 03.) bereits 869 Kommunen in Deutschland (5,8%) - mit einem sehr ausgeprägten West-Ost-Gefälle und anteiligen Schwerpunkten in den Bundesländern Hessen und Nordrhein-Westfalen - einen Ratsbeschluß zur Lokalen Agenda 21 herbeigeführt. Wie die bisher mit der lokalen Agenda 21 gesammelten Praxiserfahrungen zeigen, ist die Realisierung einer tragfähigen Kooperation mit der örtlichen Wirtschaft ebenso wie die Einbeziehung von unorganisierten und kommunalpolitisch unengagierten Bürgerinnen und Bürgern bislang fast überall eine ungelöste Aufgabe. Auffällig ist eine weitgehende Konzentration auf Öffentlichkeitsarbeit, Information, Motivation und (Umwelt-) Bildung auf der einen Seite und auf den Auf-und Ausbau formaler Organisationsstrukturen (Agenda-Büro, -Beauftragte, -Beiräte, -Foren, -Fachforen, -Arbeitskreise u. ä.) bei gleichzeitig weitgehender Unklarheit über die damit im einzelnen verbundenen Kompetenzen auf der anderen Seite. Mit der Folge von handlungslähmenden Friktionen ist in vielen Fällen hochgradig umstritten, ob bei der Lokalen Agenda 21 nun der Weg bzw. der (soziale Innovations-)Prozeß oder das, was dabei im einzelnen und konkret herauskommt, das Entscheidende ist. Entsprechend der unterschiedlichen Bedeutung, die der lokalen Agenda 21 in den Kommunen von Seiten der Kommunalpolitik und -verwaltung zugeschrieben wird, variiert darüber hinaus die unter dem Gesichtspunkt praktischer Relevanz nicht unerhebliche Ausstattung mit Personal- und Sachmitteln einerseits und die konkrete Art und Weise der Einbindung in die bestehende Verwaltungsstruktur andererseits. Ein im Sinne der Realisierung zukunftsfähiger Leitbilder, Ziele und Problemlösungen auf kommunaler Ebene erfolgreicher Agenda-Prozeß entwickelt sich nicht im Selbstlauf. Die Lokale Agenda muß auf der Basis politischer Beschlüsse von Politik und Verwaltung nicht nur proklamiert, sondern aktiv und öffentlich mitgetragen werden. Sie als lästige Pflichtübung mißzuverstehen oder sie „von oben“ zu diktieren, hieße, die notwendigen internen und externen Veränderungen unmöglich zu machen. Die Initiierung und Organisation eines lokalen Agenda-Prozesses erfordert zunächst neue und zusätzliche Aktivitäten der Kommune. In der Anschubphase sind entsprechend zusätzliche personelle und finanzielle Mittel, insbesondere zur Koordination und Moderation der Konsultationsprozesse, aufzuwenden. Mittel-und langfristig wird die Lokale Agenda 21 in vielen Handlungsfeldern Wege eines effizienteren Mitteleinsatzes aufzeigen und damit Kosten einsparen. Der Agenda-Prozeß beginnt mit der Entwicklung eines unter Beteiligung der Bürger und örtlichen Organisationen auf die Bedingungen vor Ort abgestimmten Handlungskonzepts. Hauptaufgabe dieses Konzeptes ist die verbindliche und transparente Regelung und Koordination von Aufgaben, Themen, Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Bürgerbeteiligung ist weder Anhängsel noch „Schmiermittel“ des Agenda-Prozesses, sondern seine eigentliche Substanz und Qualität. Bürgerbeteiligung allerdings weder in einem auf Bildung und Akzeptanzbeschaffung reduzierten Sinne, noch mißverstanden als basisdemokratische Chaotisierung von Planungs- und Entscheidungsprozessen. Bürgerbeteiligung dient ausdrücklich vielmehr und ausschließlich dem Zweck, daß „die Kommunen von ihren Bürgern und örtlichen Organisationen, von Bürger-, Gemeinde-, Wirtschafts- und Gewerbeorganisationen lernen und für die Formulierung der am besten geeigneten Strategien die erforderlichen Informationen erlangen“. Hierfür problem- und aufgabenbezogen geeignete arbeits- und entscheidungsfähige Formen zu finden, ist eine Hauptaufgabe und zugleich Erfolgsbedingung des Agenda-Prozesses. Die gesamte Bandbreite der Interessen ist dabei ebenso zu berücksichtigen wie die Umsetzung und Erfolgskontrolle. Daß dies in der Regel nicht ohne Konflikte und Reibungen erfolgt, spricht keineswegs gegen ein solches Vorgehen, sondern für ein professionelles Management und den Einsatz geeigneter Verfahren. Von besonderer Bedeutung ist die systematische Einbeziehung der Wirtschaft in konkrete Projekte regionaler Kooperation. Den Dialog zwischen Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Akteuren vor Ort ideell, materiell und organisatorisch zu fördern, ist ein entscheidender Hebel zur Überwindung der viel beklagten Innovationskrise und zugleich ein wichtiger Schritt in Richtung auf eine „Innovation der Innovation“. In der Perspektive auf die Entwicklung eines sich selbst tragenden und steuernden, permanenten Lernprozesses scheiden enge zeitliche Vorgaben aus. Die realistische Formulierung von problem- und aufgabenorientierten „Meilensteinen“ hingegen ist notwendiger Bestandteil dieses Prozesses. Der Agenda-Prozeß zielt dezemats- und ämterübergreifend auf eine zukunftsfähige Entwicklung der Stadt als ein Ort, der seinen Bürgern hohe Lebensqualität, soziale Gerechtigkeit und Umweltverträglichkeit bietet, dies aber auch gleichermaßen den Mitbürgern auf der „Einen Welt“ zugesteht. Thematisch läßt er sich also weder auf ein reines Umweltprogramm noch auf die klassischen Ressorts und Pflichtaufgaben der Kommunalverwaltung reduzieren. Eine Entwicklung zur zukunftsfähigen Stadt ist ohne ein systematisches Zusammenwirken von Umweltschutz, nachhaltigem Wirtschaften, sozialer Integration und erweiterter Bürgerbeteiligung nicht zu erreichen. Weiterführende Literatur: Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung im Juni 1992 in Rio de Janeiro. Dokumente, Agenda 21, Bonn o. J.; Kuhn, S. Suchy, G./ Zimmermann, M. (Hrsg.), Internationaler Rat für Kommunale Umweltinitiativen. Lokale Agenda 21. Deutschland. Kommunale Strategien für eine zukunftsbeständige Entwicklung, Berlin/ Heidelberg/ New York 1998; Jäger, TI Schwarz, M.: Das sozial-ökologische Innovationspotential einer nachhaltigen, zukunftsfähigen Entwicklung auf betrieblicher und kommunaler Ebene, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament, B 50/98, o. 0., o. J; Stark, S.: Lokale Agenda 21. Hemmnisse. Risiken. Chancen, Wuppertal Paper Nr. 73, Wuppertal 1997; CAF/AgendaTransfer: Lokale Agenda 21. Anregungen zum Handeln. Beispiele aus der Praxis, Bonn 1998.



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