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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Modernisierung, ökologische

Nicht in der Blockade des technisch-ökonomischen Fortschritts, sondern in der Korrektur seiner Dynamik und Richtung liegen Entwicklungschancen für den Übergang unserer hochkomplexen Industriegesellschaft in ein ökologisch ausbalanciertes Wirtschaftssystem. Dank dieser ebenso plausiblen wie schillernden Botschaft vom ökonomisch-ökologischen Doppelnutzen ist das programmatische Leitbild der ökologischen Modernisierung seit mittlerweile zehn Jahren gesellschaftlich akzeptiert und zum Paradigma einer sich transdisziplinär etablierenden Umweltforschung geworden. Daß dieses Leitbild janusköpfig ist und keineswegs den Königsweg für eine ökologische Realpolitik an der Schwelle zum Jahrhundert der Umwelt (von Weizsäcker) offenbart, ist inzwischen nicht nur ein akademisches Thema. Seitdem ökologische Modernisierung zum Gegenstand von Regierungs- und Unternehmenspolitik avanciert, wird sie nicht nur als verheißungsvolle, sondern auch als ebenso voraussetzungsvolle Modernisierung der Moderne erfahrbar. Entstanden ist der Diskurs der ökologischen Modernisierung im Verlauf einer insbesondere von Politikwissenschaftlern und Ökonomen geführten Auseinandersetzung mit den nationalen und internationalen Erfahrungen der Umweltpolitik der sechziger und siebziger Jahre. Zu den dabei entwickelten, auch die Nachhaltigkeitdebatte prägenden Wissensbeständen gehören die Grenzen des qualitativen Wachstums und die Modernisierungsanforderungen einer Readaption von anthropogenen in geogene Stoffkreisläufe. Folgenschwere modernisierungspolitische Konsequenzen offenbart nicht zuletzt auch das Katastrophenparadox (von Prittwitz): Da Umweltprobleme auch und gerade in hochdifferenzierten Industriegesellschaften erst dann thematisiert und lösbar werden, wenn sie ihren katastrophalen, die Akteure und Institutionen überfordernden Charakter verlieren und neue gesellschaftliche Handlungskapazitäten entstehen lassen, ist die schwierige (und soziologisch umstrittene) Lernfähigkeit zwischen den Teilsystemen der Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Technik und Massenmedien unverzichtbar. Zum Scheitern verurteilt sind deshalb Modellvorstellungen, mit qualitativen Wachstum oder ökologischen Marshallplänen (Wicke) einen allein auf Umweltnachfrage konzentrierten Strukturwandel zu induzieren. Industriellen Strukturwandel in einen ökologischen zu überführen, ist - so die Quintessenz der multinationalen Erfahrungen mit selektivem oder qualitativem Wachstum - ohne eine makro- wie mikroökonomisch zu gewährleistende Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch nicht möglich. Notwendig wird also eine Schwerpunktverlagerung vom klassischen, auf die nachträglich-kompensierende Reparatur von umweltmedialen Schäden fixierten Umweltschutz auf einen proaktiv-präventiven, produkt- und produktionsintegrierten Ressourcenschutz. Unerläßlich ist ebenfalls eine schrittweise aber drastische Verteuerung von Energie und Mobilität als Innovationsanreiz zur Steigerung der Ressourcenproduktivität, eine Integration von Umweltpolitik in die Wirtschafts-, Finanz-, Technologie-und Arbeitsmarktpolitik und nicht zuletzt eine Modernisierung des schon mit umweltpolitischer Regulierung tendenziell überforderten staatlichen Politiksystems mittels zivilrechtlicher und verhandlungsorientierter Politikformen. Das neue Leitziel Wechselseitigkeit und Anschlußfähigkeit ökologischer und industrieller Stoffwechselprozesse ist zwar den komplexen, synergiereichen Umweltbelastungen adäquat, impliziert jedoch eine gesellschaftliche Selbstbefähigung zur strukturellen Ökologisierung (von Prittwitz). Jenseits ökologischer Nischenerfolge, singulärer Pionierbeipiele oder zufälliger Trends wird entscheidend, ob und wie die drei Nachhaltigkeitsstrategien der Effizienz, Konsistenz und Suffizienz (Huber) miteinander kombiniert werden. Mit der modelltheoretischen Unterscheidung dieser Nachhaltigkeitsparameter offeriert das Konzept der ökologischen Modernisierung Möglichkeiten, die bislang disziplinär separierten umweltechnischen, umweltökonomischen und umweltpolitischen Modellkonstruktionen nachhaltiger Entwicklung aufeinander zu beziehen und bisherige Entwicklungs-, Ökonomie- und Politikstandards zu reformulieren: Die Effizienz-Strategie zielt darauf ab, die systematische Steigerung der Arbeits- und Kapitalproduktivität um die systematische Steigerung der Ressoucenproduktivität zu ergänzen, so daß gewünschte Produktionsleistungen mit geringstmöglichem Material- und Energieeinsatz möglich werden. Die Konsistenz-Strategie bezieht sich auf Umweltverträglichkeit von Stoffund Energieströmen mit dem Ziel, daß anthropogene und geogene Stoffströme einander nicht stören oder wechselseitig verstärken. Die Suffizienz-Strategie wirft die mittels Effienz- und Konsistenzstrategie nicht zu lösende Frage auf, ob ökologisch notwendige Obergrenzen der Wirtschaftsentwicklung zu definieren, solche Sättigungsgrenzen ökonomisch tragfähig und ökonomische Selbstbegrenzungen sozialverträglich zu gestalten sind. Diese Nachhaltigkeitsstrategien sind, obwohl ein inzwischen auch betriebswirtschaftlich und ingenieurswissenschaftlich fundiertes Set von Wissensbeständen, Methoden und Techniken entwickelt ist, auf je unterschiedliche Weise gesellschaftlich akzeptiert und praxisrelevant. Am weitesten operationalisiert ist die Öko-Effizienzstrategie, von der aufgrund ihrer ökologischen Economy-Effekte, ihrer Prozeß- und Produktinnovationen ein scheinbar leichterer Einstieg in eine ökologische Unternehmensführung erwartet wird. Dennoch steht die Umweltforschung bei der interdisziplinierten Erforschung und Entwicklung von Ökologisierungspfaden erst am Anfang. Es fehlt nicht nur an Erfindung, Erforschung und Praxistransfer von technisch-stofflichen und ökonomischen Innovationen. Ungeklärt ist auch, wie angesichts korporatismusgestützter Besitzstandsverteidigung alle Nachhaltigkeitsstrategien - und nicht nur die mit der vorherrschenden Produktionsweise am ehesten anschlußfähige Öko-Effizienzstrategie - auf den Makro-, Meso- und Mikroebenen der Gesellschaft, national wie international wirksam werden können. Die mit solchen Konzeptionalisierungs- und Operationalisierungdefiziten einhergehende Interpretationsoffenheit begünstigt den Vorwurf, daß auch das Modell der ökologischen Modernisierung mehr Beteuerung als Programm ist. Ökologie und Ökonomie voreilig und widerspruchsfrei zu versöhnen, das technisch-stoffliche Innovationspotential zu über- und das Risikopotential von Wissenschaft und Technik zu unterschätzen, sind die immer wiederkehrenden Kritikpunkte, die bei genauer Prüfung seiner Forschungslinien und empirischen Befunde kaum haltbar sind. Auch wenn ein technologisch-stofflicher Innovationssprung zur regenerativen Ressourcennutzung als möglich erachtet wird, besteht zumindest im wissenschaftlichen Diskurs der ökologischen Modernisierung Konsens, daß die Endlichkeit der Regenerationsfähigkeit der Natur ebenso wie das Risikopotential moderner Technik technologisch nicht aufhebbar, soziale Innovationen und institutionelle Reformen deshalb umso unverzichtbarer sind. Kritisierbar ist deshalb in sozialwissenschaftlicher Perspektive eher die organisationsanalytische Prägnanz und die modernisierungstheoretische Fundierung, die im Konzept der ökologischen Modernisierung defizitär bleiben. Selbst eine transdisziplinär optimierte Umweltforschung und machtpozentierte Umweltpolitik ist mit der Entwicklung von drehbuchartigen Wendeszenarien oder Masterplans überfordert: zu differenziert und variantenreich sind die Umweltrisikoprofile der Unternehmen, zu spezifisch ihre technisch-stofflichen, die produktions- und marktökonomischen Gegebenheiten, zu kurzfristig und kostenorientiert die Planungshorizonte, zu turbulent die sich global oder regional ändernde Konkurrenz. Umweltziele und Leitbilder auf der Grundlage von Makroindikatoren, Hochrechnungen und Aggregatdaten bleiben praxisirrelavante Modellkonstruktionen, solange die in praktischen Modernisierungsprojekten radikal deutlich werdende Komplexität, Kontingenz und Brisanz ihrer Realisierung ausgeblendet wird. Daß der Praxistransfer von Umwelttechnik, Umweltpolitik und Umweltökonomie ohne soziologische und organisationswissenschaftliche Microfoundation kaum erfolgreich gelingen kann, ist eine Einsicht, die in diesen disziplinär separierten Diskursen der Umweltforschung gleichermaßen unterentwickelt bleibt. Unhinterfragt wird meist gegen besseres Wissen und alle Erfahrung an der Fiktion des friktionsfrei, effektiv und schnell zu reorganisierenden Unternehmens festgehalten. Das Technikleitbild des integrierten Umweltschutzes, die neuen umweltorientierten Sofwaresysteme der Produkt- und Produktionssteuerung, das Instrumentarium nichtdirigistischer Umweltpolitik und nicht zuletzt die Modelltheorien ökologischer Wettbewerbsstrategien unterstellen mehr oder minder eine unbegrenzte, eigeninteressierte und eigenverantwortliche Fähigkeit zur Innovation, Zweckrationalität und Selbstorganisation. Selbst in ambitionierten technisch-ökonomischen Reorganisationsprojekten wird jedoch diese zweifellos unerläßliche Modernisierungsanforderung weder im Selbstlauf noch als Nebenfolge erfüllt. Gerade die theoretisch evidenten technischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Optimierungspotentiale ökologischer Wettbewerbsstrategien realisieren sich in der Praxis nicht als gradliniger one best way, sondern immer umwegig, mit ebenso komplexen wie unerwarteten Nebenfolgen. Die Emergenz und Kontingenz, die jede Reorganisation oder Umstrukturierung im Unternehmen kennzeichnet, ist bei ökologischen Innovationen besonders ausgeprägt. Es stehen technisch, stofflich, ökonomisch, organisatorisch und nicht zuletzt interessenapolitisch immer mehrere Entwicklungsvarianten und Handlungsoptionen offen, deren Auswahl, Bewertung und Entscheidung so unübersichtlich wie konflikthaltig und damit ergebnisoffen sind. Dies gilt gerade auch für differenziert elaborierte und operarionalisierte Unternehmenstrategien wie die der Company Oriented Sustainability (Dyllik, Belz, Schneidewind). Was die Umschichtung der Produktpalette und die Ausweitung bisheriger Geschäftsfelder (von der Produkt- und Produktionsebene auf die Funktions- und Bedürfnisebene) für die Reorganisation der Unternehmensführung, die Entwicklung und Anwendung technisch-stofflicher Produkt- und Verfahrensinnovationen und vor allem für das Organisations-, Wissens- und Lernmanagement bedeuten, ist sowohl wissenschaftlich als auch in der Praxis nur als emergenter, sozialevolutionärer Prozeß zu erkunden. Erst die Perspektive der Ökologisierung als sozialer Prozeß (Burschel) eröffnet den Konzepten der ökologischen Modernisierung und der Nachaltigkeit neue Möglichkeiten, diesen komplizierten Paradigmawechsel in der Praxis der Unternehmen realanalytisch wie reformpolitisch zu präzisieren und jeweils unternehmensspezifische Antworten auf das ungelöste Problem seiner Pfadabhängigkeit zu finden: daß nämlich die Schritte evolutionärer Reformstrategien nicht ex ante determiniert, sequentiell zu planen und in ihrer Implementation zu steuern sind, sondern sukzessiv aufeinander folgend in ein Neuland führen, in dem sich jeder neue Schritt erst zu bewähren und neu zu orientieren hat. Selbst im makropolitischen Reformfeld der Beschäftigungspolitik ist inzwischen unbestritten, daß industriegesellschaftliche Modernisierung angewiesen ist auf einen offenen Politikprozeß, der Platz läßt für erfahrungsgestützte Korrekturen unerwünschter Nebenfolgen und unvermeidlicher Folgeprobleme (Streek, Heinze). Gerade die ökologische Modernisierung ist eine industriegesellschaftliche Reform, die einem gesellschaftlichen Mehrebenen-Prozeß ausgesetzt ist, der hochgradig inkremental, kontingent und ungleichzeitig abläuft. Als unterkomplex und anachronistisch haben sich modernisierungstheoretische Vorstellungen erwiesen, diesen Prozeß als Stufenabfolge, als lineare oder gar unumkehrbare Entwicklung zu analysieren oder zu planen. Während noch vor einigen Jahren Umbaukonzepte und Wendeszenarien Konjunktur hatten, werden heute in EnqueteKommissionen Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit als reflexive Entdeckungs- und Gestaltungsprozesse (Minsch u. a.) konzipiert und - wie am Beispiel der ökologischen Steuerreform exemplarisch zu beobachten - mit weitaus größeren Schwierigkeiten in Regierungshandeln umzusetzen versucht. Ökologische Modernisierung bleibt also angewiesen auf ein gesellschaftliches Prozessieren mit und in allen Institutionen, ihren Arenen und Akteuren, das nur als Doppelprozeß der Konstitution von oben und der Emergenz von unten (Luhmann) erfolgreich sein kann. Sie wird auch weiterhin von einem Gemisch aus Teil-, Halb- und Gegenmodernisierung (Beck) geprägt werden. Selbst wenn es gelingen sollte, die für die einfache industrielle Modernisierung typische Dialektik des Neuen und immer Gleichen (Benjamin) zu korrigieren, bleibt ökologische Modernisierung eine reflexive. Immer wird sie mit nichterwarteten und nichtintentionalen Nebenfolgen ihrer Erfolge konfrontiert, deren Bewältigung Indikator und Maßstab ihrer Fähigkeit zur Selbstveränderung und Selbstreflexion ist. Könnte es z. B. nicht auch an der Art und Weise des ökologischen Modernisierungsdiskurses liegen, daß er immer noch eher eine Angelegenheit eines relativ kleinen Kreis von Experten, Überzeugungstätern und Umweltmarkt-Teilnehmern (Burschel) bleibt? Weiterführende Literatur: Beck, U./ Giddens, A./ Scott Lash, S.: Reflexive Modernisierung, Frankfurt a. Modernisierung, ökologische 1996; Hafer, Modernisierung, ökologische A.: The Politics Of Environmental Discourse. Ecological Modernization and the Policy Process, Oxford 1995; Huber, J.: Nachhaltige Entwicklung. Strategien für eine ökologische und soziale Erdpolitik, Berlin 1995; Minsch, J./ Feindt, P.- H.l Meister, H.- P.1 Schneidewind, U./ Schulz, T.: Institutionelle Reformen für eine Politik der Nachhaltigkeit, Berlin/Heidelberg/New York 1998; v. Prittwitz, V. (Hrsg.): Umweltpolitik als Modernisierungsprozeß. Politikwissenschaftliche Umweltforschung und -lehre in der Bundesrepublik, Opladen 1993.



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