Konsumentenverhalten, umweltorientiertes
1. Die Bedeutung des umweltorientierten Konsumentenverhaltens
Das umweltorientierte Konsumentenverhalten findet in den letzten Jahren in Publikationen zur Nachhaltigen Entwicklung und speziell zum ökologischen Wirtschaften zunehmende Beachtung. Grund dafür ist zunächst die rein quantitative Bedeutung des Konsums. So entfielen 1998 in der Bundesrepublik Deutschland 57% des Bruttoinlandproduktes auf Konsumausgaben der privaten Haushalte. Diese Finanzmittel werden gegenwärtig vielfach für Konsumaktivitäten eingesetzt, die in Art und Umfang voraussichtlich nicht mit den Zielen einer global nachhaltigen Entwicklung vereinbar sind. Als ökologisch problematische Konsumhandlungen werden dabei vor allem der Geund Verbrauch sowie die Entsorgung von Produkten diskutiert, speziell in den stark umweltrelevanten Bereichen Wohnen, Verkehr, Ernährung und Kleidung. Die besondere aktuelle Relevanz des Konsurns ist dabei auch Resultat der erfolgreichen Anstrengungen im Bereich des betrieblichen Umweltschutzes in den vergangenen Jahren. Statt der entsprechenden Produktionsprozesse werden heute vielmehr die Produkte als Hauptquelle ökologischer Probleme wirtschaftlicher Aktivität gesehen.
Geht man von einer erweiterten Perspektive aus, dann ist, wie schon Adam Smith (17231790) formulierte, der „Verbrauch allein Ziel und Zweck einer jeden Produktion“. Der Konsum zeichnet demnach nicht nur für die Umweltauswirkungen verantwortlich, die direkt von den Haushalten ausgehen, sondern letztlich für alle ökologischen Auswirkungen des Wirtschaftens. Da Unternehmen nur dann produzieren, wenn sie auf einen entsprechenden Absatz ihrer Waren hoffen können, ist der Konsum marktvermittelter Güter und Dienstleistungen als eine Art Abstimmung mit dem Geldbeutel zu betrachteten. Mit den Geldscheinen als Stimmzettel nimmt jeder Konsument - bewußt oder unbewußt - Einfluß darauf, was auf welche Weise hergestellt und angeboten wird. So entscheidet man beispielsweise mit dem Einkauf von Lebensmitteln nicht nur über den im Haushalt anfallenden Verpackungsmüll, sondern auch über die Produktions-und Distributionsbedingungen in der - ökologischen oder konventionellen - Landwirtschaft. Aufgrund dieser Vernetzungen ist die Erreichung eines ökologisch nachhaltigen Wirtschaftens ohne ein entsprechend umweltorientiertes bzw. an ökologischen Anforderungen ausgerichtetes Konsumentenverhalten schlicht nicht möglich.
2. Der Entscheidungsprozeß der Konsumenten als theoretischer Rahmen für die Analyse des umweltorientierten Konsumentenverhaltens
Bei der Analyse umweltorientierten Konsumentenverhaltens kann auf eine Vielzahl von Arbeiten aus der Konsumverhaltensforschung zurückgegriffen werden, die einen wesentlichen Teilbereich der Marketingwissenschaft darstellt. Auch wenn spezifische ökologische Fragestellungen im Rahmen der Theorieentwicklung bisher eine untergeordnete Rolle spielten, bietet die Konsumverhaltensforschung zahlreiche zentrale Ansatzpunkte gerade auch für eine Analyse des umweltorientierten Konsumentenverhaltens.
Hinter dem Begriff Konsumentenverhalten verbergen sich eine Vielzahl komplexer Sachverhalte und Prozesse. Grundsätzlich Umfaßt Konsumentenverhalten sämtliche inneren und äußeren Aktivitäten des Konsumenten, die dessen Funktion als Letztverbraucher marktvermittelter Produkte und Dienstleistungen betreffen. Dazu zählen neben dem beobachtbaren Verhalten von Konsumenten insbesondere jene Vorgänge im Inneren des Konsumenten, die sich einer unmittelbaren Beobachtung verschließen. Traditionellerweise wird davon ausgegangen, daß Konsumenten auf unternehmens- und umweltseitige Reize reagieren, deren Interpretation und Verarbeitung dann zu entsprechenden Reaktionen führt (neobehavioristisches Stimulus-Organismus-ResponseParadigma, kurz S-0-R). In jüngerer Zeit wird von verschiedenen Autoren zugleich die Einseitigkeit des S-0-R-Ansatzes kritisiert, auf die Wechselseitigkeit von KonsumentenUmwelt-Wirkungsmodellen verwiesen und das Modell um Rückflüsse erweitert. Dennoch scheint der Kern des S-0-R-Ansatzes geeignet zu sein, Grundprinzipien des Konsumverhaltens zu verstehen.
In der Theorie des Konsumentenverhaltens existieren verschiedene Totalmodelle (z. B. von Nikosia, von Howard und Sheth sowie von Engel, Blackwell und Miniard), die den in praxi unerfüllbaren Anspruch haben, sämtliche Elemente des konsumbezogenen Entscheidungsprozesses abzubilden, also das „O“ des S-0-R-Modells vollständig zu erfassen. Den Kern dieser Modelle bildet dabei in mehr oder minder stark variierender Form das Zusammenwirken der genannten fünf Phasen.
Bedürfniserkennung:
Das menschliche Verhalten ist maßgeblich davon geleitet, Bedürfnisse zu befriedigen bzw. Ziele zu erreichen („goal-oriented behavior“). Konsumbedürfnisse sind äußerst vielfältig und lassen sich beispielsweise in funktionale, ökonomische, soziale, psychologische sowie physiologische Aspekte unterteilen. Ökologische Bedürfnisse stellen dabei keine eigenständige Kategorie dar, sondern spielen vielmehr im Rahmen der zuvor genannte Bedürfnisarten eine Rolle. So kann eine Energiesparlampe erworben werden, weil sie angenehmeres Licht abgibt und länger hält (funktionaler Aspekt) oder weil der geringere Stromverbrauch die Möglichkeit bietet, Geld zu sparen. Sozial bedingtes ökologisches Konsumverhalten ergibt sich, wenn etwa mit dem Verzicht auf das eigene Auto den Wertmaßstäben ökologieorientierter Bezugsgruppen entsprochen werden soll. Vielfach ist der Kauf ökologischer Produkte auch psychologisch zu interpretieren, wenn der Konsument so versucht, seinem angestrebten Selbstbild als „verantwortliche Person“ zu entsprechen. Und auch physiologische Bedürfnisse können im Sinne einer Gesundheitsorientierung den Kauf schadstoffarmer und damit ökologischerer Produkte befördern. Motivation im Sinne einer Aktualisierung vorhandener Bedürfnisse ist die zentrale Antriebskraft des Konsumenten. Damit ein Konsumbedürfnis verhaltenswirksam wird, bedarf es stets eines Mindestmaßes an emotionaler Aktivierung des Konsumenten.
2. Informationssuche:
Ist ein Konsument motiviert, bedarf es einer Konkretisierung seines Bedürfnisses im Hinblick auf geeignete Produkte und/oder Dienstleistungen als Mittel der Bedürfnisbefriedigung. Die vorhandenen Alternativen werden dazu von Konsumenten in verschiedene Kategorien („sets“) eingeteilt: von der Menge bekannter Angebote („awareness set“) kommt in der Regel nur eine vergleichsweise geringe Anzahl von Marken für einen Kauf auch tatsächlich in Frage („evoked set“). Damit ein Konsument ein ökologisches Angebot in seinen evoked set aufnimmt, ist es also notwendige Bedingung, daß es ihm überhaupt bekannt ist. Soll eine nähere Auseinandersetzung und konkrete Bewertung erfolgen, ist darüber hinaus eine grundsätzliche Entsprechung von Leistungsmerkmalen und Konsumentenbedürfnissen erforderlich. Kenntnis und Wissen über ein Angebot kann ein Konsument grundsätzlich aus drei Arten von Informationsquellen gewinnen:
herstellerseitige Informationen;
Informationen anderer Konsumenten („Mundwerbung“);
von Dritten (z. B. Umwelt- und Verbraucherorganisationen oder Massenmedien) bereitgestellte Informationen.
3. Alternativenbewertung:
Die Bewertung der geeignet erscheinenden Alternativen erfolgt unter Heranziehung von vorhandenem Produkt-und Markenwissen sowie bestehender Einstellungen. Einstellungen bezeichnen die gelernte und vergleichsweise stabile Bereitschaft eines Konsumenten, in einer entsprechenden Situation gegenüber einem Produkt oder einer Dienstleistung regelmäßig mehr oder weniger stark positiv bzw. negativ zu reagieren. Die Bewertung bezieht sich auf verschiedene Leistungsmerkmale, die entweder auf kompensatorische oder nicht-kompensatorische Weise miteinander verknüpft werden. Ökologische Eigenschaften stehen im Rahmen dieses Bewertungsprozesses in Konkurrenz- oder Komplementärbeziehung zu anderen Leistungsmerkmalen.
Leistungsübernahme:
Das Ergebnis der Altemativenbewertung ist ein entsprechendes Handeln des Konsumenten. Dieses kann verschiedene Formen annehmen. Neben dem Kauf ökologischer Produktalternativen stehen umweltorientierten Konsumenten evtl. auch Möglichkeiten der Miete, der Gemeinschaftsnutzung oder des bewußten Kaufverzichts zur Verfügung.
Nachkaufverhalten:
Die sich einem Kaufvorgang anschließende Nachkaufphase stellt einen in der Konsumentenforschung über lange Zeit vernachlässigten Bereich dar. Dies muß vor allem auch aus ökologischer Perspektive als unbefriedigend angesehen werden, da der Nutzung ein besonderer Stellenwert zukommt; so fallen beispielsweise rund 80% des Energieverbrauches eines PKWs in der Nutzungsphase an. Erst in der Nachkauf-phase kann ein Konsument zudem beurteilen, ob ein Angebot tatsächlich in der Lage war, seine Bedürfnisse zu befriedigen und damit Nutzen zu stiften. Die Bewertung des Produktes in der Nachkaufphase bildet die Grundlage für die Zufriedenheit des Kunden, deren Ausmaß die Einstellung des Konsumenten sowie dessen Mundwerbung und Wiederkaufneigung beeinflußt. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die Handlungsoptionen des Konsumenten in der Nachkaufphase, die jeweils mit spezifischen ökologischen Konsequenzen verbunden sind.
Ob und auf welche Weise die geschilderten Phasen des Entscheidungsprozesses von der Bedürfniserkennung bis zum Abschluss der Nachkaufphase tatsächlich alle durchlaufen werden hängt nach der Theorie des Konsumentenverhaltens maßgeblich von dem Involvement des Konsumenten ab. Das Involvement kennzeichnet die persönliche Bedeutung einer Leistung oder einer Kaufhandlung für einen Konsumenten. Die Höhe des Involvements hängt dabei sowohl von leistungs- und konsumentenbezogenen Merkmalen ab, als auch von den Spezifika der jeweiligen Entscheidungssituation. Damit ökologische Kriterien im Entscheidungsprozeß des Konsumenten überhaupt eine eigenständige Rolle spielen, muß ein Mindestmaß an Involvement für Umweltprobleme vorliegen.
3. Der Zusammenhang zwischen Umweltbewußtsein und -verhalten als Kern der umweltorientierten Konsumentenverhaltensforschung:
Im Rahmen der Erforschung des umweltorientierten Konsumentenverhaltens wurden bisher erst Teile des zuvor geschilderten Entscheidungsprozesses vertiefend betrachtet. Im Mittelpunkt stand dabei meist die Frage nach der Erfassung und dem Zusarnmenhang zwischen Umweltbewußtsein und Umweltverhalten. In diesem Zusarnmenhang ist auffällig, daß sich hinter gleichen Bezeichnungen oftmals ganz unterschiedliche Begriffsauffassungen verbergen. So wird Umweltbewußtsein zwar relativ einheitlich als mehrdimensionales Konstrukt definiert, jedoch sind die Operationalisierungen höchst verschieden. Vorherrschend ist ein Verständnis des Umweltbewußtsein als Einstellung, die mit einer Operationalisierung über eine affektiv-emotionale, eine kognitiv-rationale und eine konativintentionale Komponente einhergeht. Andere Wissenschaftler sehen im Umweltbewußt-sein einen hinter konkreten Einstellungen stehenden Wert und operationalisieren diesen über verschiedene, faktoranalytisch ausgewählte Statements. Für eine dritte Gruppe ist das Umweltbewußtsein ein Oberbegriff, zu dessen Bestimmung neben der Umwelteinstellung auch Umweltwissen und (allgemeines) Umweltverhalten heranzuziehen sind. Schon auf der grundsätzlichen Begriffsebene gibt es also starke Unterschiede, die in der empirischen Forschung durch eine variierende Verhaltensnähe konkreter Fragebogen-Items noch verstärkt wird. Diese Begriffsvielfalt ist zu berücksichtigen, wenn empirische Ergebnisse verschiedener Studien miteinander in Beziehung gesetzt werden.
Als einheitliches Ergebnis der Umweltbewußtseinsforschung zeigte sich bis Anfang der 90er Jahre ein stetiges Ansteigen dies Umweltbewußtseins in Deutschland. Der Anteil von umweltbewußten Konsumenten an der Gesamtbevölkerung wurde dabei - aller definitorischen und methodischen Differenzen zum Trotz - in verschiedenen Studien mit knapp 2/3 beziffert. Seither mehren sich jedoch empirische Ergebnisse, die - ausgehend von diesem hohen Niveau - eine Stagnation bzw. sogar ein Sinken des Umweltbewußtseins aufzeigen. Bezüglich der sozio-demographischen Zusammensetzung des Segmentes der umweltbewußten Konsumenten zeigt sich vielfach, daß jüngere Personen und Menschen mit höherem Schulabschluss vergleichsweise überrepräsentiert sind, d. h. ein höheres Umweltbewußtsein aufweisen.
Auch bei der Abgrenzung des Begriffes Umweltverhalten gibt es in der Literatur unterschiedliche Herangehensweisen. Viele Untersuchungen konzentrieren sich auf das (z. T. von den Befragten selbst zu definierende) ökologische Kaufverhalten; das Nachkaufverhalten mit seinen vielfältigen Elementen ist seltener Gegenstand der Analyse. Insgesamt weisen viele Studien zum umweltorientierten Konsumentenverhalten eine Orientierung an eher symbolischen Handlungen wie Verpackungsvermeidung oder Mülltrennung auf. Konsumbereiche mit objektiv wesentlich höheren ökologischen Neben- und Folgewirkungen, wie etwa der Eigenheimbau oder die Flugreise sind demgegenüber weitaus seltener Gegenstand ökologischer Verhaltensforschung. Insgesamt läßt sich nicht nur zwischen verschiedenen Konsumentengruppen, sondern auch bezüglich des Verhaltens der einzelnen Konsumenten eine hohe Heterogenität im Umweltverhalten nachweisen. Kaum ein Konsument verhält sich durchgängig umweltorientiert; umgekehrt kann fast jeder Bereiche anführen, in denen er zumindest versucht, ökologisch vorbildlich zu handeln. Allerdings ist bezüglich der Interpretation von Verhaltensdaten, die ganz überwiegend auf Selbsteinschätzungen der Konsumenten beruhen, Vorsicht geboten, da jüngere Forschungen große Defizite im handlungsorientierten Umweltwissen der Bevölkerung aufgedeckt haben. So stimmen in Umfragen z. T. über 60% der befragten Konsumenten der Aussage zu, zumindest manchmal Lebensmittel aus kontrolliert biologischem Anbau zu kaufen - die Frage, wie solche Produkte zu erkennen sind, kann jedoch nur ein wesentlich geringerer Anteil zutreffend beantworten.
Unabhängig von bestehenden Operationalisierungs- und Meßproblemen konstatieren fast alle Forscher als Ergebnis ihrer Studien eine hohe Diskrepanz zwischen dem Umweltbewußtsein und dem tatsächlichen Umweltverhalten, gerade auch für die Gruppe der besonders umweltbewußten jungen Konsumenten mit höherer Schulbildung. Starke umweltorientierte Werte oder Einstellungen führen offenbar nicht „automatisch“ zu einem entsprechenden Verhalten, weshalb dieses Phänomen auch als -Verhaltenslücke bezeichnet wird.
4. Ansätze zur Erklärung und Verringerung der Diskrepanz zwischen Umweltbewußt-sein und -verhalten
Zur Erklärung der Frage, warum hohes Umweltbewußtsein nicht ein entsprechendes umweltorientiertes Verhalten nach sich zieht, werden unterschiedliche Ansätze zu Rate gezogen. Viele davon lassen sich entweder auf informationsökonomische oder nutzentheoretische Erklärungen zurückführen, aus denen sich dann auch Maßnahmen zur Schließung der diagnostizierten Verhaltenslücke ableiten lassen.
Informationsökonomische Erklärungen fokussieren auf die Informationsunsicherheit, die Konsumenten bei der umweltorientierten Bewertung alternativer Konsumangebote verspüren. Diese Unsicherheit beruht zum einen auf marktexogenen generellen Informationsdefiziten, die wiederum Folge der Komplexität, Langfristigkeit und Dynamik ökologischer Probleme sind: Viele ökologische Neben- und Folgewirkungen des Konsums sind auch Experten bis heute weitgehend unbekannt oder werden kontrovers diskutiert. Zum anderen sind Informationsdefizite bei Konsumenten aber häufig marktendogener Natur und basieren auf einer Informationsasymmetrie zwischen Anbietern und Nachfragern. Aus Sicht der Konsumenten lassen sich Produkteigenschaften einteilen in Such-, Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften (search, experience und credence qualities). Nur Sucheigenschaften wie Farbe und Form kann der Konsument bereits vor dem Kauf nachprüfen. Bei Erfahrungseigenschaften wie Haltbarkeit, Funktionsfähigkeit oder Energieverbrauch benötigt er für ein eigenes Qualitätsurteil eine entsprechende Konsumerfahrung, und Vertrauenseigenschaften wie Materialzusammensetzung oder Produktionsbedingungen kann ein Konsument ohne Hilfe in der Regel gar nicht valide bewerten. Umweltbewußte Konsumenten stehen nun vor dem Problem, daß es sich bei Umwelteigenschaften überwiegend um Vertrauenseigenschaften handelt. Zwar lassen sich Einzelaspekte wie z. B. die Verpackungsmenge bereits durch bloße Inaugenscheinnahme beurteilen; welche Zusammensetzung und ökologische Konsequenzen der verwendete Verpackungsstoff jedoch hat, können jedoch - wenn überhaupt - nur Anbieter oder Experten beurteilen. Konsumenten können umweltorientierte Auswahlkriterien aber nur anwenden, wenn sich die angebotenen Leistungen von ihnen auch hinsichtlich ihrer ökologischen Qualität beurteilen lassen. Ist dies nicht der Fall, kann sich ein ökologischer Qualitätsvorteil auch nicht in erhöhter Zahlungsbereitschaft niederschlagen, wodurch Anbieter ökologisch vorteilhafter Produkte ihre ggf. höheren Erstellungskosten am Markt nicht abgegolten bekommen.
In dieser Analyse steckt allerdings zugleich ein Schlüssel zur Verringerung des Problems: Es geht darum, ökologische Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften in „Quasi-Sucheigenschaften“ zu überführen und ihnen damit höhere Relevanz für die Konsumentscheidung zu verschaffen. Dabei findet ein Abbau marktendogener Informationsdefizite durch eine Informationsübertragung von Anbietern und/oder Experten auf die Konsumenten statt. Eine Form der direkten Informationsübertragung bei Vertrauenseigenschaften ist die Öffnung von Produktionsstätten zur Inspektion durch die Konsumenten, wie es beispielsweise beim Hofladen-Verkauf von Bio-Lebensmitteln der Fall ist. Da eine solche direkte Überprüfung für die Masse von Konsumenten und Unternehmen kaum möglich ist, sind Formen der indirekten Informationsübertragung, z. B. über entsprechende verläßliche Angaben auf der Produktverpackung oder in Printmedien, von größerer Bedeutung. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die Bereitschaft und Fähigkeit zur Aufnahme ökologieorientierten Faktenwissens angesichts einer generell konstatierten Informationsüberlastung von Konsumenten begrenzt ist. Weite Verbreitung hat deshalb das sog. Öko-Labeling gefunden. Öko-Label sind Schlüsselinformationen (information chunks), in denen das Gesamturteil eines ökologischen Bewertungsprozesses in komprimierter, leicht verständlicher Form abgebildet wird. Sollen solche Oko-Label bei den Konsumenten die erwünschte Glaubwürdigkeit erzeugen, müssen die ökologischen Bewertungen von entsprechend fachkompetenten und unabhängigen Institutionen durchgeführt werden. Beispiele sind hier der von der Jury Umweltzeichen vergebene Blaue Engel, das Qualitätsurteil der Zeitschrift Oko-Test oder auch die Warenzeichen der Anbauverbände der AGÖL (Arbeitsgemeinschaft ökologischer Landbau). Durch Firmen-Label, die nicht auf dem Urteil unabhängiger Dritter beruhen, ist es in den letzten Jahren jedoch zu einer Label-Hypertrophie und damit einhergehend zu einer Verunsicherung der Konsumenten gekommen, wodurch entsprechende Schwierigkeiten für den Einsatz dieses Instrumentes entstanden sind. Eine relativ leicht zugängliche, von unabhängiger Seite erstellte Informationsquelle ist in Deutschland auch der sozial-ökologische Unternehmenstest, in dem über die Produktebene hinaus das soziale und ökologische Verhalten des gesamten Unternehmens untersucht wird. Dieser Test wird vom Institut für Markt-Umwelt-Gesellschaft (imug) in Zusammenarbeit mit zahlreichen Verbraucherverbänden durchgeführt und in Form branchenbezogener Einkaufsführer publiziert.
Informationsdefizite erklären jedoch nur einen Teil der ökologischen Verhaltenslücke. Die Empirie zeigt, daß selbst in Bereichen, in denen der Umweltvorteil einer ökologischen Alternative anerkannt ist, umweltbewußte Konsumenten trotz vorhandenen Wissens entgegen ihrer ökologischer Werte und Einstellungen handeln. An dieser Stelle greifen nutzentheoretische Überlegungen, die auf der Charakterisierung der natürlichen Umwelt als öffentlichem Gut basieren. Derartige Güter sind dadurch gekennzeichnet, daß zum einen niemand von ihrer Nutzung ausgeschlossen werden kann (fehlendes Ausschlußprinzip) und zum anderen die Grenzkosten ihres Konsums gleich Null sind (keine Konsumrivalität), was bedeutet, daß es (theoretisch) irrelevant ist, ob von dem Gut eine Einheit mehr oder weniger genutzt wird: Ob ein weiterer Konsument in den Kurzurlaub fliegt, verschlechtert nicht die globale Umweltsituation. Daraus ergibt sich umgekehrt, daß auch die Reduzierung der Umweltnutzung durch den einzelnen nur marginale, nicht direkt spürbare Umweltschutzeffekte hat. Zudem wird jede Umweltwirkung „sozialisiert“, kommt also allen gleichermaßen zugute, während entstehende Kosten bzw. Nutzeneinbußen vom Umweltschützer privat zu tragen sind. Auf der Konsumentenseite hemmt eine solche Konstellation die Eigeninitiative und fördert das sog. Trittbrettfahrer-Verhalten (FreeRider-Verhalten): Ein Konsument der z. B. Fahrrad anstatt Auto fährt, kann so evtl. erhebliche Zeit- und Bequemlichkeitseinbußen erleiden, ohne daß er durch eine bessere Luftqualität entschädigt würde. Verzichten jedoch viele auf das Auto, so kann die dadurch erreichte Verbesserung der Umweltqualität auch von den wenigen verbliebenen Autofahrern genossen werden.
Somit stellt sich die Frage, warum Konsumenten dann überhaupt ökologisch handeln. Aus nutzentheoretischer Sicht und anknüpfend an die oben vorgenommene Kategorisierung von Bedürfnissen ergeben sich dafür zwei Erklärungsansätze. Zum einen kann ökologischeres Handeln generell, also auch bei fehlendem Umweltbewußtsein, einen individuell höheren Netto-Nutzen stiften, wenn es mit geringeren Kosten oder zusätzlichen funktionalen oder physiologischen Nutzenkomponenten verknüpft ist. So bietet das Rad fahren im Gegensatz zum Autofahren ggf. die Möglichkeit zu (fast) kostenloser gesunder Bewegung an frischer Luft; Lebensmittel aus ökologischem Anbau sind häufig gesünder und schmackhafter als konventionell erzeugte Ware. Neben diesem generellen Nutzen gibt es mit dem psychologisch orientierten Selbstachtungs- und dem sozial basierten Fremdachtungsnutzen aber auch spezielle ökologisch bedingte Nutzenkomponenten, die nur von umweltbewußten Konsumenten bzw. von Konsumenten mit einem umweltbewußten Umfeld realisiert werden können. Dabei entsteht der individuelle Nutzen des ökologischeren Handelns nicht aus den tatsächlich erreichten Umweltverbesserungen als Handlungsergebnis, sondern aus der Übereinstimmung des Handlungsprozesses mit den eigenen Bedürfnissen sowie den Anforderungen der Bezugspersonen.
5. Perspektiven für das umweltorientierte Konsumentenverhalten
Die bisherigen Erkenntnisse zum umweltorientierten Konsumentenverhalten geben unterschiedlichen Akteursgruppen Hinweise für zukünftiges Handeln.
Unternehmen, die ein „echtes“ ökologieorientiertes Marketing (Marketing, ökologieorientiertes) betreiben, muß klar sein, daß der Umweltvorteil an sich weder erkennbar noch individuell nutzenstiftend ist. Nur durch eine entsprechende Leistungs- und Kommunikationspolitik kann es gelingen, zum einen den (sozialen) ökologischen Nutzen des eigenen Angebotes verständlich und glaubwürdig zu präsentieren und ihn zum anderen mit individuellen Nutzenkomponenten zu verknüpfen.
Ein unternehmerisches Öko-Marketing, das auch auf das Streben von Konsumenten nach einem ökologisch bedingten Fremd-und Selbstachtungsnutzen setzt, ist dazu jedoch auf ein ausreichendes Umweltbewußtsein angewiesen. Dieses sicherzustellen ist Ziel eines Marketing für -Ökologie, das v. a. von Umweltverbänden und staatlichen Institutionen betrieben wird und in Zeiten stagnierenden bzw. sogar fallenden Umweltbewußtseins neu an Bedeutung gewinnt.
Von Seiten der umweltorientierten Konsumentenverhaltensforschung kann ein solches Unterfangen unterstützt werden durch eine Schwerpunktverlagerung, weg von der primär deskriptiven Erforschung des Umweltbewußtseins hin zu Möglichkeiten seiner bewußten Stimulierung und Steigerung. Dazu scheint eine stärkere Verknüpfung der umweltorientierten Forschung mit Theorien und Methoden der traditionell marktorientierten Konsumforschung notwendig zu sein. Daneben sind weiterhin Ansätze zur Schließung der Verhaltenslücke sowie die Suche nach Möglichkeiten des umweltgerechten Verhaltens ohne explizit umweltorientierten Antrieb von besonderer Relevanz. Insgesamt wird sich zum einen der Trend zu einer Ausdifferenzierung der umweltorientierten Konsumentenforschung weiter fortsetzen, um so die Spezifika der unterschiedlichen Bereiche wie Wohn-, Verkehrs-, Ernährungsund Kleidungsverhalten konkret herauszuarbeiten. Zum anderen wird es aber auch darauf ankommen, Querschnittsthemen zu entdecken und zu vertiefen, die eine Übertragung von Erkenntnisgewinnen zwischen den einzelnen Untersuchungsfeldern erleichtern. Aktuell diskutierte Themen sind dabei beispielsweise öko-effiziente Dienstleistung und Konsum ohne Eigentum, ökologische Konsum- und Lebensstile oder Fragen der Verknüpfung der Umweltorientierung mit der sozialen Dimension der Nachhaltigkeit.
Weiterführende Literatur:
Cornwell, T B./ Schwepker Jr., C. H.: Ecologically Concerned Consumers and Their Product Purchases, in: Polonsky, M. J./Mintu-Wimsatt, A. T. (eds.): Environmental Marketing. Strategies. Practice. Theory, and Research, New York/London 1997; Engel, J. F./ Blackwell, R. D./ Miniard, P. W.: Consumer Behavior, 8. Aufl., Fort Worth 1995; Hansen, U./ Schrader, U.: A Modern Model of Consumption for a Sustainable Society, in: Journal of Consumer Policy, Vol. 20, No. 4, o. O. 1997; HennigThurau, T.: Konsum-Kompetenz, Frankfurt u. a. 1998; Meffert, H./ Kirchgeorg, M.: Okologieorientiertes Konsumentenverhalten als markt- und wettbewerbsstrategische Herausforderung für das Umweltmanagement, in: Steger, U. (Hrsg.): Handbuch des integrierten Umweltmanagements, München 1998; Scherhorn, G./ Reisch, L./ Schrödl, S.: Wege zu nachhaltigen Konsummustern. Überblick über den Stand der Forschung und vorrangige Forschungsthemen, Marburg 1997.
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