Verbraucherpolitik
Gesamtheit aller staatlichen bzw. staatlich unterstützten Maßnahmen mit dem Ziel, eine freie Konsumentscheidung der Verbraucher zu gewährleisten und dem Verbraucherinteresse zu einer stärkeren Durchsetzung zu verhelfen. Verbraucherpolitik beruht auf der Erkenntnis, dass der Verbraucher im marktwirtschaftlichen Prozess nicht die Funktion einnimmt, die ihm im theoretischen Marktmodell zugewiesen wird. Die deskriptive Verwendung des Theorems von der .- Konsumentensouveränität im Sinne einer Steuerung des Angebots durch die Konsumenten ist nicht mehr haltbar angesichts zunehmender - Konzentration auf der Angebotsseite, der Überlegenheit der Anbieter bezüglich der Verfügung über materielle und geistige Ressourcen sowie in Anbetracht planmäßig eingesetzter Marketingstrategien und -instrumente. Als normative Forderung in dem Sinne, dass der Wirtschaftsprozess durch die autonomen Kaufentscheidungen rational handelnder und nutzenmaximierender Verbraucher gelenkt werden soll, bildet die Konsumentensouveränität aber weiterhin eine wesentliche Legitimationsgrundlage für die Verbraucherpolitik. Zur Sicherung von Konsumfreiheit und zur Interessendurchsetzung stehen der Verbraucherpolitik v.a. Instrumente der Wettbewerbspolitik, der Verbraucherinformation und -bildung sowie des Verbraucherschutzes zur Verfügung. Darüber hinaus wird über Förderung und Unterstützung von Verbraucherorganisationen eine Verminderung des Machtungleichgewichts zwischen Anbietern und Verbrauchern angestrebt. Im Rahmen der praktischen und wissen- schaftlichen Diskussion um die Verbraucherpolitik werden je nach instrumenteller Schwerpunktsetzung unterschiedliche Modellvorstellungen zur Verbraucherpolitik unterschieden. Das Wettbewerbsmodell der Verbraucherpolitik, das anfänglich die verbraucherpolitische Praxis bestimmte, geht von der Erkenntnis aus, dass funktionsfähiger Wettbewerb machtverteilenden Effekt hat und zu einem bedürfnisgerechten Güterangebot führt. Deshalb wird die Verhinderung von Wettbewerbsbeschränkungen und Marktvermachtungen zur ordnungspolitischen Aufgabe des Staates und Wettbewerbspolitik zur (zunächst einzigen) Aufgabe der Verbraucherpolitik. Eng verbunden mit diesen Vorstellungen steht das Informationsmodell der Verbraucherpolitik. Die gewollte Lenkung des Angebots durch rationale Kaufentscheidungen setzt nämlich voraus, dass die Verbraucher über eine informatorische Grundlage für eine vernunftbestimmte Marktwahl verfügen. Deshalb sollen sie mittels Verbraucherinformation und Verbraucherbildung in die Lage versetzt werden, am Markt rational und flexibel zu handeln und auf diese Weise den Wettbewerbsdruck zu erhöhen. Der am Wettbewerbsmodell orientierten Politik wird angesichts verschärfter Konzentrationsprozesse häufig geringe Effizienz zugesprochen sowie die Vernachlässigung des Tatbestandes, dass der vielfach dominierende Nichtpreiswettbewerb die Markttransparenz beeinträchtigt und rationales Kaufverhalten erschwert. Das Informationsmodell wird kritisiert, weil es · die begrenzte Informationsverarbeitungskapazität der Verbraucher nicht berücksichtige, · selektiv bildungsmäßig bevorzugte Mittelschichten anspreche, · instinktive und emotionale Konsumverhaltensmuster ignoriere, · die Kosten-Nutzen-Relationen einer umfassenden Informationsbeschaffung und -auswertung unrealistisch einschätze und · übersehe, dass auch gut informierte Verbraucher nicht gegen gesundheitsschädigende Produkte, manipulative Beeinflussung oder Ausnutzung wirtschaftlicher Macht geschützt seien. Deshalb wird im Rahmen des Verbraucherschutzmodells eine Maßnahmenverlagerung von der Verbraucherinformation auf den Verbraucherschutz verlangt. Der Schwerpunkt der Verbraucherpolitik soll danach in der Durchsetzung rechtlicher Regelungen liegen, die den Verbraucher vor gesundheitlichen, materiellen und immateriellen Schäden schützen und seine Rechtsposition verbessern. Die am Modell der countervailing Power orientierte Verbraucherpolitik strengt eine Verminderung der Machtunterlegenheit von Verbrauchern an, indem kollektive Verbraucher-Gegenmacht gefördert wird (Konsumerismus). Dabei spielen am Markt agierende Organisationen (z.B. Konsumgenossenschaften) oder Aktionen (Kaufboykotte) nur eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht die Förderung verbandsmäßig verfaßter Verbraucherorganisationen. Die Verbraucherpolitik, die seit Mitte der 60er Jahre in der BRD betrieben wird, enthält Elemente aus allen bisher genannten Modellvorstellungen. Dies wird deutlich an den von verschiedenen verbraucherpolitischen Zielen wie · Stärkung der Stellung des Verbrauchers am Markt durch Erhaltung und Förderung eines wirksamen Wettbewerbs in allen Wirtschaftsbereichen, · Information und Beratung des Verbrauchers über grundlegende wirtschaftliche Zusammenhänge, über aktuelles Marktgeschehen, über Qualität und Preise, über richtiges Marktverhalten und über rationale Haushaltsführung, · Schutz der Verbraucher vor Irreführung, unlauteren Verkaufspraktiken und unzulässiger Einschränkung ihrer Rechte, · Schutz der Verbraucher vor Gefährdung ihrer Gesundheit und Sicherheit, · wirksame Vertretung der Verbraucherinteressen gegenüber Staat und anbietender Wirtschaft. Diese verbraucherpolitische Praxis wird in der Verbraucherwissenschaft z.T. wegen des als mangelhaft empfundenen finanziellen Mitteleinsatzes, ihrer reaktiven und punktuellen Vorgehensweise sowie wegen ihrer geringen Effizienz aufgrund der zersplitterten verbraucherpolitischen Zuständigkeiten kritisiert. Die Kritik ist die Basis für die Entwicklung eines verbraucherpolitischen Modells in partizipatorischer Absicht, das die Einrichtung institutioneller Regelungen vorsieht, die den Verbrauchern bzw. ihren legitimierten Vertretern eine frühzeitige und direkte Einflußnahme auf das Güterangebot ermöglichen sollen. Solche Modellvorstellungen haben allerdings keine praktische Bedeutung gewonnen. Die derzeitige verbraucherpolitische Praxis ist durch folgende Aspekte gekennzeichnet: · Ökologieorientierung: Die - Verbraucherorganisationen reagieren auf die stark wachsende Nachfrage nach ökologiebezogenen Verbraucherinformationen und bieten sie als - öffentliches Gut oder als privates Gut an (Empfehlungen zur Einsparung von Energie und zum ressourcenschonenden und abfallvermeidenden Konsum). · Ökonomisierung und Professionalisierung: Die Verbraucherorganisationen verstehen sich zunehmend als professionalisierte Dienstleistungsanbieter. Dies gilt nicht nur für die Stiftung Warentest, sondern auch für die Verbraucherzentralen, die über Schwerpunktaktionen (z.B. Schuldnerberatung) eine größere Effizienz anstreben sowie einen Teil ihrer Informationsleistungen als Marktangebot konzipieren und gegen Entgelt abgeben. · Sozialorientierung: Die Ökonomisierungstendenz wird in einer Art Doppelstrategie begleitet durch eine konzentrierte Bearbeitung von Problemen sozial- und einkommensschwacher sowie besonders gefährdeter Konsumentengrnppen. Die Okologieorientierung findet breite öffentliche Unterstützung, zumal mit der Förderung umweltgerechten Konsumverhaltens eine Reduzierung der ökologischen Probleme ohne direkte politisch-rechtliche Eingriffe möglich wird. Gegenüber der Doppelstrategie von Ökonomisierung und Sozialorientierung wird z.T. die Befürchtung geäußert, dass Verbraucherorganisationen mit zunehmendem ökonomischen Erfolg ihres Informationsangebots die Legitimation für ihre sozialpolitische Orientierung verlieren könnten. Literatur: Kuhlmann, E. (1990). Rock, R., Schaffartzik, K.-H. (1983). Scherhom, G. (1975)
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