Informationen, umweltbezogene
1. Einführung
Ziel des folgenden Textes ist die systematische Darstellung „umweltbezogener Informationen“ mit ihren verschiedenen Formen und Typen und die Beschreibung der Anwendung umweltbezogener Informationen in der gesellschaftlichen Praxis. Dabei wird davon ausgegangen, daß umweltbezogene Informationen nur dann Sinn ergeben, wenn sie in der gesellschaftlichen Praxis (Öffentlichkeit, Politik, Verwaltung, öffentliche und private Institutionen, Unternehmen, Alltag, Privatsphäre u. ä.) zu Handeln führen oder führen sollen, sie also über ihre informationstheoretische Funktion hinaus, nämlich Unsicherheit zu reduzieren, eine Steuerungsfunktion zugewiesen bekommen.
Unter „umweltbezogenen Informationen“ werden im Folgenden das Wissen und die Inhalte verstanden, die einen Bezug zur Umwelt im ökologischen Sinne haben und die für umweltbezogene Ziele relevant sind. Oberbegrifflich wird kein Unterschied hinsichtlich der Informationsqualität gemacht, so daß unter „umweltbezogenen Informationen“ von wissenschaftlich gewonnenen bis hin zu Handlungsempfehlungen alle diesbezüglichen Informationen verstanden werden. Der Frage, wer welche umweltbezogenen Informationen produziert, wird an dieser Stelle nicht nachgegangen, sondern eine Beschränkung auf die inhaltlichen bzw. steuerungsbezogenen Aspekte derartiger Informationen vorgenommen.
Umwelt als Bezugspunkt für umweltbezogene Informationen wird in einem umfassenden Sinne verstanden als die äußeren Lebensbedingungen für die menschliche und gesellschaftliche Existenz einschließlich der natürlichen Lebensgrundlagen (Boden, Luft, Wasser, Flora und Fauna). Im einzelnen wird nicht unterschieden in ökologische, politologische, soziologische u. ä. Umweltbegriffe, da diese Unterscheidungen, solange die natürliche Umwelt im Blickpunkt steht, unter Zielgesichtspunkten irrelevant sind.
Begrifflich und systematisch haben Informationen mit Umweltbezug spätestens mit Inkrafttreten zweier gesetzlicher Regelungen politisch, rechtlich und in der Öffentlichkeit erheblich an Gewicht gewonnen: Zum einen durch das Umweltinformationsgesetz (UIG), das Bedingungen und Verfahren für Staat, Länder und Kommunen festlegt, wie und welche Informationen zum Zustand der Umwelt an die Bürger weitergegeben werden müssen bzw. können. Andererseits durch das Umweltauditgesetz (UAG), das gemäß EGUmweltaudit-Verordnung die Erhebung und Verarbeitung betrieblicher Umweltkennzahlen regelt.
Länger schon veröffentlicht das Umweltbundesamt einen regelmäßigen Jahresbericht, der die Arbeit des Umweltbundesamtes beschreibt und gleichzeitig einen informatorischen Überblick zu den aktuellen Umweltproblemen und -aktivitäten bietet. Einen systematischen Überblick zum Zustand der Umwelt in Deutschland bieten die zweijährlich seit 1984 ebenfalls vom Umweltbundesamt veröffentlichten „Daten zur Umwelt“ (jüngst 1997).
Die Kommunen (Städte, Kreise und Gemeinden) versuchen seit den 70er Jahren die Situation ihrer lokalen Umwelt mit Hilfe kommunaler Umweltberichte zu erfassen und zu beschreiben. Sicherlich dienten diese der Entscheidungsvorbereitung und der umweltpolitischen Planung, obgleich auch ein starker Druck bestand, derartige Berichte zu erstellen bzw. erstellen zu lassen, ohne daß die Perspektive eines veränderten politischen Handelns bestand, so daß viele dieser Berichte mehr oder weniger sang- und klanglos in den Schubladen verschwanden.
Diese umfassende, und damit der Gefahr einer nicht handhabbaren Informationsflut unterliegende Form, wird seit den 90er Jahren faktisch abgelöst oder ergänzt durch Sachgebiets- bzw. problembezogene Informationen, wie Energiebericht, Boden-, Emissions-, -Immissions- oder Grundwasser - kataster, die systematische, detaillierte und häufig regelmäßig fortgeschriebene Berichte für den kommunalen Umweltschutz darstellen. Diese waren nicht als inhaltliche Ablösung zu verstehen, da Umweltberichte und -kataster unterschiedliche Fragestellungen bearbeiten und verschiedene Zielgruppen ansprechen; letztere sind eher Informationen für Fachleute und die Basis für Detailentscheidungen im Umweltschutz.
Erhebung und Umgang mit umweltbezogenen Informationen unterliegen methodisch denselben Bedingungen wie alle Informationen. Erschwerend hinzu kommen die Komplexität des Gegenstandsbereichs, die Heterogenität der Daten bzgl. Herkunft und Erfassung, ihre zeitliche Variabilität (NichtWiederholbarkeit von Messungen), die großen Datenmengen, die unterschiedlichen und vielfältigen Einflußgrößen, unterschiedliche anthropogene Einflüsse und permanente neue Erkenntnisse, die sich ständig verändernde Anforderungen an die Daten und die Datenverarbeitungssysteme zur Folge haben.
2. Überblick
Eine klare begriffliche Unterscheidung verschiedener Typen umweltbezogener Informationen existiert nicht. So werden die im Folgenden als Informationsträger verstandenen Begriffe Kennzahlen, Indikatoren, Indizes, Daten u. ä. in teils unterschiedlicher, teils identischer Weise verwandt; fit weitere Verwirrung sorgt die Unterscheidung in quantitative und qualitative Informationen.
Während Umweltinformationen in einem allgemeinen Sinn Inhalte/ Kenntnisse/ Aussagen über die Umwelt darstellen, sind Umweltdaten die Informationen, die empirisch erhoben werden (können), wobei die methodischen Implikationen und Probleme an dieser Stelle nicht diskutiert werden.
Umweltkennzahlen wiederum beschreiben steuerungsrelevante, also beeinflußbare Sachverhalte, die aus den erhobenen Umweltdaten errechnet werden, bspw. die CO2Emissionen pro Einwohner oder der Energieverbrauch pro Nutzer einer Einrichtung. Die konkrete Ausprägung, z. B. 13t CO2 pro Einwohner, ist entsprechend als Kennzahlenwert zu bezeichnen. Dadurch wird eine Fülle von Einzeldaten verdichtet, um entscheiden und steuern zu können. Das Bewertungsproblem bei der Auswahl und Zuordnung der Daten, bei der Entscheidung über die Wichtigkeit (Steuerungsrelevanz) einer Kennzahl kann letztlich nur auf dem Konsensweg der Kennzahlen-Anwender gelöst werden.
Eine Unterscheidung zwischen Umweltkennzahlen und -indikatoren ist sinnvollerweise nicht zu treffen, da Kennzahlen auch Indikatoren, also „Anzeige?\' oder „Repräsentanten“ für einen Sachverhalt sein können; obige Kennzahl könnte bspw. als Indikator für eine erfolgreiche oder nicht erfolgreiche —Umweltpolitik verstanden werden - je nach Zusammenhang, in dem sie verwandt wird. Einschränkend ist hinzuzufügen, daß Umweltindikatoren begrifflich oft verwandt werden, wo Sachverhalte nicht direkt meßbar oder per Kennzahl darstellbar sind. So kann die Artenvielfalt oder das Auftreten einer bestimmten Spezies ein Indikator für die nicht direkt meßbare Qualität eines ökologischen Systems sein.
Umweltkennzahlen, -indikatoren und -indizes beschreiben Umweltsysteme oder Umwelt-Teilsysteme und sollen Entscheidungshilfen bieten, um die Komplexität des Realsystem Umwelt zu reduzieren. Aus Vereinfachungsgründen ist zu empfehlen, Kennzahlen bzw. Indikatoren nach den jeweiligen Steuerungszwecken, also den mit Hilfe von Maßnahmen oder Strategien anzustrebenden Zielen, zu bilden und zu verwenden. Damit bleiben diese Informationsträger begrenzt auf einzelne Umweltmedien (Boden, Luft, Wasser und Teilbereiche davon) und/oder Umweltthemen (Abfall, Verkehr, Energie usw.).
Insgesamt ist eine jeweils eindeutige Zuordnung der einzelnen Begriffe nicht möglich: So überschneiden sich die Ziele für alle vier Ebenen, sind möglicherweise sogar weitgehend deckungsgleich. Auch die Zielgruppen können allenfalls schwerpunktmäßig zugeordnet werden. Etwas aus dem Rahmen fällt die Ebene Öffentlichkeitsarbeit, da hier auf Ergebnisse der anderen Beschreibungs-/ Handlungsebenen zurückgegriffen wird bzw. Öffentlichkeitsarbeit Konsequenz aus der Umweltberichterstattung usw. ist - zudem wird auf den ersten drei Ebenen auch Öffentlichkeitsarbeit betrieben.
Die in der mittleren Spalte als Informationssysteme beschriebenen Systeme überschneiden sich ebenfalls und beinhalten alle jeweils Daten (bzw. die Darstellung der Daten). So beinhaltet Umweltbeobachtung immer auch -analyse und wird in Form von Umweltberichterstattung an die entsprechenden Adressaten übermittelt. Auch die Handlungsebenen weisen Überschneidungen auf (so dient der Vergleich bspw. auch der Informationsbeschaffung für Steuerungszwecke), so daß die obigen begrifflichen Unterscheidungen nur aus Darstellungsgründen klar voneinander zu trennen sind.
Die angegebenen Ziele beanspruchen keine Vollständigkeit, sondern verdeutlichen die Akzente der jeweiligen Handlungsebenen. Zudem sind die jeweiligen Ziele nicht auf die angegebene Handlungsebene beschränkt. Nicht abgebildet werden kann die Tatsache, daß selbstverständlich Umweltbeobachtung/ -berichterstattung ein Umwelt-Zielsystem voraussetzt, da andernfalls Beschreibung und Analyse der Umweltsituation sinnlos werden - legitimatorische Absichten als politologisch zu analysierendes Thema seien an dieser Stelle vernachlässigt.
Ein schwierige methodische Frage ist darin zu sehen, daß die Zuordnung von Kennzahlen u. ä. zu Zielen bzw. die Abbildung der Zielerreichungsgrade einen hohen definitorischen Aufwand erfordert, wobei die kausalen Beziehungen damit noch nicht geklärt bzw. oft nicht zu klären sind. Welche Maßnahmen tragen zur Zielerreichung bei, wo doch so viele unterschiedliche, teils widersprüchliche Faktoren zusammenspielen, externe Einflüsse hinzukommen, so daß häufig nur vermutet werden kann, welche Maßnahmen erfolgreich sind und welche nicht. Hinzu kommt das Problem der Messung von Umweltzuständen und Umweltbeeinflussungen (s. o.).
Die begriffliche und methodische Problematik verliert vor dem Hintergrund der praktischen Anwendung umweltbezogener Informationen an Bedeutung, wenn wie oben beschrieben davon ausgegangen wird, daß umweltbezogene Informationen zielbezogen erhoben und für/von bestimmten Zielgruppen genutzt werden.
Letztlich werden umweltbezogene Informationen jeder Art nach folgendem Schema generiert:
In der Realität wird mit Hilfe von Messungen (z. B. in bundesweiten Meßnetzen) der Ist-Stand der Umwelt erfaßt und in Form von Umweltdaten abgebildet.
Diese werden bearbeitet, verwaltet und verfügbar gemacht mittels Datenbanken, Umweltinformationssystemen usw.
Daraus werden ggf. zur Reduktion der Daten- /Informationsfülle Kennzahlenwerte berechnet, die abgebildet in Kennzahlensystemen Steuerungshilfen für Planungen und Maßnahmen bieten.
Umgesetzte Maßnahmen führen zu Veränderungen in der Umwelt bzw. bzgl. einzelner Meßgrößen, so daß der Kreislauf von vorne losgeht.
Übergreifendes Ziel ist bei der Erfassung und Verwendung umweltbezogener Informationen letztlich - neben dem Gesamtziel der Wahrung und Verbesserung von Natur und Umwelt - die Überwachung, Kontrolle und Steuerung von Umweltzuständen bzw. umweltbedeutsamen Prozessen.
Umweltbezogene Informationen werden von unterschiedlichen Gruppen genutzt bzw. für unterschiedliche Gruppen generiert. Aus dem Blickwinkel der Zielgruppen bzw. der tatsächlichen oder potentiellen Handlungsträger und ihrer möglichen Handlungsziele ergeben sich Anforderungen an die Informationen, die zur Zielerreichung benötigt werden bzw. diese unterstützen.
Auf nationaler Ebene und in den einzelnen Bundesländern ist die Flut umweltbezogener Informationen in Form von Berichten, Meßberichten, Bilanzen, Programmen, Plänen, Atlanten (z. B. Badegewässeratlas), Statistiken, Abschätzungen (Gefährdungsabschätzungen), Datenzusammenstellungen, Katastern, Konzepten u. ä. nicht mehr überschaubar - weder für die Experten noch für diverse Nutzergruppen. Allein für den Bund zählen die „Daten zur Umwelt 1997“ insgesamt 123 und für die Bundesländer 96 verschiedene Schriften mit Umweltinformationen auf, was vermutlich nur die Spitze des „umweltpolitischen Informations-Eisbergs“ darstellt. So verweisen andere Autoren auf über 600 Berichte von Bund, Ländern und Kommunen zu Umwelt und Natur mit der entsprechenden Verwendung von Indikatoren, die von 1971 bis 1991 veröffentlicht wurden.
3. Einzelbeschreibungen
Umweltbezogene Informationen deskriptiver Art haben sicherlich in den vergangenen Jahrzehnten dominiert. Diese Informationsfülle hat(te) einerseits ein normative Seite (angesichts der aktuellen Ozonbelastung [-Ozon, Ozonloch] weniger Auto zu fahren, den individuellen Energieverbrauch zur Verhinderung der Klimakatastrophe zu reduzieren, den Müll zu sortieren, usw.) und andererseits eine lähmende Wirkung, da individuelles, politisches und gesellschaftliches Handeln aussichtslos erscheint angesichts von Umfang, Intensität und Mächtigkeit der Umweltprobleme - ausgewiesen und belegt durch die jedem zugänglichen umweltbezogenen Informationen.
Die bisherige Beschreibung hat gezeigt, daß die Verwendung umweltbezogener Informationen von folgenloser Deskription, über die Frühwarnsystem-Funktion bis hin zu rein legitimatorischen Zwecken reicht - dies gilt für alle Informationen. Generell haben umweltbezogene Informationen prinzipiell folgende Funktionen:
Aufklärungs- und Meinungsbildungsfunktion;
Entscheidungsgrundlage;
Evaluierungsfunktion (bzgl. der Effektivität von Umweltschutzmaßnahmen); Frühwarnfunktion; Visualisierungsfunktion (Zustände, Schäden u. a. großräumig erfassen und sichtbar machen).
Folgend werden die unterschiedlichen Typen und Formen umweltbezogener Informationen kurz beschrieben, wobei mit den bereits oben angesprochenen Informationsträgern begonnen wird:
Informationsträger
Umweltdaten sind die in der Wirklichkeit mit Hilfe empirischer Methoden gewonnenen quantitativen oder qualitativen Informationen, die anschließend statistisch verarbeitet und dargestellt werden und/oder der Berechnung von Kennzahlen u. ä. zugrunde liegen.
Umweltindikatoren/Umweltkennzahlen Umweltkennzahlen und -indikatoren beschreiben Ist- und Sollzustände in Umweltsystemen bzw. unter umweltbezogenen Fragestellungen und machen damit Zustandsoder Qualitätsbeschreibungen möglich.
Damit bilden sie das Gerüst für die Umweltberichterstattung, insbesondere für die vergleichende Umweltberichterstattung. Letztlich werden immer Kennzahlen benötigt, wenn Umwelt beeinflußt werden soll, da nur mit ihrer Hilfe der Erfolg von Maßnahmen, Planungen usw. erfaßt werden kann.
Die Verwendung von Umweltkennzahlen - berechnet aus Umweltdaten (s. o.) - ein gemeinsames Leitbild oder zumindest ein vereinbartes, oft implizites, Zielsystem voraus, vor dessen Hintergrund die relevanten Kennzahlen ausgewählt oder gebildet werden können. Anders formuliert: Umweltkennzahlen/ -indikatoren drücken die Abweichung der Umweltsituation oder den Folgen geplanter Einflüsse von den Umweltzielen, Umweltqualitätsstandards usw. aus.
Eine weitere Verdichtung und damit Abbau von Komplexität wird erreicht, wenn auf nur noch wenige Schlüsselkennzahlen zurückgegriffen wird, mit deren Hilfe gesteuert wird.
Der Sachverständigenrat für Umweltfragen weist Umweltindikatoren folgende Aufgaben zu:
Beschreibung des aktuellen Zustands;
Bestimmung der Tragekapazität (=Aufnahme- und Abbaufähigkeit der Umweltmedien Boden, Luft und Wasser);
Diagnose bestehender Belastungen;
Erfolgskontrolle für Umweltschutzmaßnahmen;
Erleichterung der politischen Willensbildung;
Öffentliche Aufklärung und Kommunikation;
Prognose von Belastungen (Trends).
Mehrere Kennzahlen werden zu Kennzahlensystemen zusammengefaßt:
Ein Kennzahlensystem kann problem-/ sachbezogen verstanden werden (Kennzahlensystem Lärm) oder den Steuerungsaspekt betonen (Kennzahlensystem Energiemanagement). Von besonderer Bedeutung ist das Indikatorensystem der OECD, das zwischen Belastungs-, Zustands- und Gegenmaßnahmenindikatoren unterscheidet.
In der (betriebswirtschaftlich orientierten) Kennzahlenliteratur werden Kennzahlen z. B. unterschieden in „Messuhren“, die die eigene Leistung im Verhältnis zu einem Standard beschreiben, und „Büchsenöffner“, die weiteren Klärungsbedarf andeuten.
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