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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Antizyklische Konjunkturpolitik

Unter antizyklischer Konjunkturpolitik versteht man die nach dem bis Anfang der 70er Jahre vorherrschenden keynesianischen Theorieansatz ausgerichtete Geld- und Finanzpolitik der Industrieländer. Danach sollten konjunkturelle Schwankungen durch antizyklischen, also dem Konjunkturverlauf entgegengerichteten, Einsatz der geld- und finanzpolitischen Instrumente abgeschwächt werden.

Volkswirtschaften weisen über längere Zeitabschnitte mehr oder weniger regelmäßig wiederkehrende Auf- und Ab-Bewegungen auf. Diese Schwankungen ergeben eine Welle, deren Stationen mit ”Krise” (Tiefststand) – ”Aufschwung” – ”Hochkonjunktur”(Höchststand) und ”Abschwung” bezeichnet werden. Die Rede ist hier von Konjunkturzyklen.

Bund und Länder haben nach Artikel 109 Absatz 2 des Grundgesetzes ganz allgemein der Pflicht nachzukommen, mit ihrer Politik den Erfordernissen eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts gerecht zu werden. §1 Satz 2 des Gesetzes zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft (StabG) ergänzt im Speziellen, dass gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus zu einem hohen Beschäftigungsgrad, einem ausgeglichenen Außenhandel und stetigem Wachstum beigetragen werden soll. Ziel der Konjunkturpolitik ist es daher, diese vier Determinanten der Schwankungen ausgesetzten Volkswirtschaft zu stabilisieren und möglichst gleichzeitig für deren Erfüllung zu sorgen.

Die vollständige Erreichung aller vier Ziele ist nicht möglich, deshalb spricht man auch vom magischen Viereck. Bis heute legt man in der Bundesrepublik vornehmlich Priorität auf die Faktoren Preisniveaustabilität und Beschäftigung, doch selbst hier entstehen Zielkonflikte. Man geht davon aus, dass die Variation eines Faktors den anderen nicht unberührt lassen kann. Das spiegelt die so genannte "Phillips-Kurve” anschaulich wieder: Sie beschreibt die Abhängigkeit zwischen Inflation und Beschäftigungsniveau. Anhand über längere Zeiträume erhobener volkswirtschaftlicher Daten kann sie für viele Länder beweisen, dass bei steigender Inflation auch die Beschäftigung zunimmt und umgekehrt. Die Träger der Konjunkturpolitik könnten sich demnach wie von einer Speisekarte aussuchen, ob sie lieber wertstabiles Geld oder ein konstantes Beschäftigungsniveau wollen. Aus der Kurve, würde sie verlässlich funktionieren, könnte man ablesen, wieviel mehr an Inflation man hinnehmen müsste, um ein Prozent mehr Beschäftigung zu erhalten. Die heutigen Realitäten zeigen, dass zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit mehr gehört, als die Erhöhung der Geldmenge.

Um Preisniveaustabilität und Vollbeschäftigung definieren zu können werden Indikatoren benötigt, mit deren Hilfe so genannte Indizes errechnet werden. Beim Preisniveau (Inflation) sind das die Indikatoren Bruttosozialprodukt und Lebenshaltungskosten. Das Bruttosozialprodukt ist die Summe aller Güter und Dienstleistungen, die in einer Wirtschaftsperiode in einer Volkswirtschaft produziert wurden, bewertet zu Marktpreisen. Die Lebenshaltungskosten müssen aus Durchschnitten ermittelt werden. Verschiedene Konsumgüter werden zu einem repräsentativen Warenkorb zusammengestellt, der zu verschiedenen Terminen (Basisjahr und Referenzjahr) preislich bewertet und verglichen wird. Ersichtlich wird aus beiden Werten, wie sich die Preise von einer zur nächsten Periode entwickelt haben. Das Beschäftigungsniveau umfasst im ursprünglichen Sinne die Produktionsfaktoren Boden, Kapital und Arbeit – im hier benötigten engeren Sinne nur noch den Faktor Arbeit. Als Indikatoren gelten die Arbeitslosenquote sowie das Verhältnis der offenen Stellen zur Zahl der Arbeitslosen.

Das Instrumentarium der Wirtschaftspolitik weist vier Politikbereiche auf, die von drei Akteuren wahrgenommen werden.

1.    Finanzpolitik: Die Bundesregierung trägt durch die Gestaltung der staatlichen Nachfrage, dass heißt durch Variation der Staatsausgaben, der Steuern, der Abschreibungsmodalitäten und der Subventionen zur Stabilisierung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage bei.

2.    Geldpolitik: Die Bundeszentralbank steuert mit ihrer Mindestreservepolitik, den Diskont-, Rediskont- und Lombardzinssätzen und mit ihrer Offenmarktpolitik die im Umlauf befindliche Geldmenge und das Zinsniveau.

3.    Währungspolitik: Zentralbank und Regierung sichern mit Interventionen am Devisenmarkt, der Auf- und Abwertung der Währung und der Swapsatzpolitik den Außenwert der Währung.

4.    Lohnpolitik: Die Tarifparteien (Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) und die Regierung vermeidet durch Sondierungsgespräche (z.B. innerhalb des Bündnis für Arbeit) und Lohnleitlinien stabilitätswidrige Tarifabschlüsse.

Die keynesianische Lehre gibt der dem Markt innewohnenden Instabilität der Nachfrage (durch Konsum und Investitition) die Hauptschuld für konjunkturelle Schwankungen.

Mit dem Aufkommen der monetaristischen Wirtschaftslehre, die als Kritik am Keynesianismuns und als dessen Nachfolger betrachtet werden kann, trennten sich die Regierungen in den Industrieländern mehr und mehr von den Methoden der antizyklischen Konjunkturpolitik. Die bis in die 80er Jahre typischen konjunkturellen Verlaufsmuster waren danach nicht mehr zu beobachten. Die staatliche Globalsteuerung hat zu einer Immunisierung der Märkte gegen nachfrageorientierte Konjunkturpolitik geführt. Die Kritik war insbesondere, dass diese Instrumente keinen stetigen Konjunkturverlauf hervorbringen konnten, im Gegenteil sogar die Schwankungen verstärkten oder überhaupt erst verursachten.

Antizyklische Interventionen wurden insbesondere von Seiten der Zentralbanken im Folgenden weitgehend unterlassen. Stattdessen richtete sich die Geldpolitik an der mittelfristigen Entwicklung der Wirtschaft aus. Es etablierte sich die Regel, dass eine expansive Geldpolitik nicht dazu führen darf, dass die Geldmenge schneller wächst, als das reale gesamtwirtschaftliche Güterangebot. Eine Regel, die die Durchführung antizyklischer Konjunkturpolitik weitgehend unmöglich machte. Eine Ausnahme bilden lediglich die beiden Extremsituationen einer sich kumulativ verstärkenden Krise beziehungsweise einer entfesselten Hochkonjunktur, denen entgegenzuwirken die antizyklische Konjunkturpolitik nach wie vor geeignet ist.

Einige Beispiele von Wirtschaftsstaaten, die die antizyklische Konjunkturpolitik ablehnen bzw. befürworten:

  • "Thatcherismus” (Großbritannien ab 1979): lehnt die Politik ab; betreibt in erster Linie monetaristische Geldpolitik.
  • "Reaganomics” (USA ab 1980): lehnt die Politik ab; verfolgt ebenfalls monetaristische Ziele und betreibt eine angebotsorientierte langfristige Fiskalpolitik.
  • Fiskalismus (Frankreich ab 1981): nutzt die nachfrageorientierte antizyklische Konjunkturpolitik zum Ausgleichen der gesamtwirtschaftlichen Nachfrageschwankungen.
  • Konzertierte Aktion (Deutschland um 1970): verbindet die Globalsteuerung unter den dargelegten Gesichtspunkten mit einer abgestimmten angebotsorientierten Lohnpolitik.



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