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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Keynesianismus

Diese wirtschaftspolitische Richtung geht zurück auf den britischen Politiker und Nationalökonom John Maynard Keynes (1883 - 1946). Sie war nach dem zweiten Weltkrieg bis Ende der siebziger Jahre weltweit die vorherrschende gesamtwirtschaftliche Konzeption. Nach der keynesianischen Lehre ist die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ausschlaggebend für die wirtschaftliche Entwicklung einer Volkswirtschaft und somit für die Veränderungen der Preise, des Einkommens und der Beschäftigung. Staatliche Wirtschaftspolitik muss demzufolge an der Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage ansetzen, um ihre Ziele zu erreichen.

Bis Mitte der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts dominierte in der Nationalökonomie die klassische Lehre, die die gesamtwirtschaftliche Geldmenge als zentrale Komponente der wirtschaftlichen Entwicklung ansah: Die klassische Theorie der Wirtschaftspolitik geht davon aus, dass kurzfristige Schwankungen der gesamtwirtschaftlichen Güternachfrage durch Veränderungen der gesamtwirtschaftlichen Geldmenge verursacht werden. Die klassische Theorie setzt das gesamtwirtschaftliche Güterangebot als gegeben voraus. Nachfrageschwankungen können daher keine Auswirkungen auf reales Einkommen und Beschäftigung haben, sondern lediglich das Preisniveau beeinflussen: Steigt die Nachfrage, steigt auch das Preisniveau und umgekehrt. Um solche für das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht unerwünschte Störungen der Preisstabilität zu vermeiden, wird eine stetige Politik der angemessenen Geldmengenversorgung angestrebt.

Diese Grundlagen der klassischen Theorie wurden erstmals ernstlich angezweifelt, als die Weltwirtschaftskrise 1929 ausbrach und einen drastischen Rückgang des Einkommens sowie eine anhaltende Massenarbeitslosigkeit verursachte. Die Politik sah sich nicht in der Lage, die Probleme der Weltwirtschaftskrise mit den Geldmengen-Instrumenten der klassischen Theorie zu lösen. Eher geeignet zur Erklärung der Krise und ihrer Bekämpfung schien die Theorie, die John Maynard Keynes, britischer Politiker und Nationalökonom, in seinem grundlegenden Werk "The General Theory of Employment, Interest and Money" aus dem Jahr 1936 entwickelte. Danach bestimmt nicht die Geldmenge, sondern die gesamtwirtschaftliche Nachfrage - zusammengesetzt aus privatem Konsum, privater Investition und Staatsausgaben - das Niveau und die Veränderung der Preise, des Einkommens und der Beschäftigung.

Zudem verabschiedet sich Keynes von der klassischen These, dass sich selbst bei kurzfristigen Störungen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts durch eine angemessene Geldmengenpolitik langfristig immer wieder Preisstabilität und Vollbeschäftigung herstellen lässt, also eine Rückkehr zum gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht möglich ist. Vielmehr geht Keynes davon aus, dass sich bei einer gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, die zu gering ist, um Vollbeschäftigung zu erreichen, in jeder Volkswirtschaft ein dauerhafter Zustand der Unterbeschäftigung einstellen kann, sich also ein neues - aber nicht wünschenswertes - Gleichgewicht bildet. Die im Konjunkturabschwung eintretenden Zinssenkungen sind nach Keynes nicht immer ausreichend, um die Unternehmen zu vermehrten Investitionen anzuregen, die dann wiederum die gesamtwirtschaftliche Nachfrage steigern würden.

Wirtschaftspolitisch ergibt sich aus der Theorie des britischen Nationalökonomen, die sich als so genannter "Keynesianismus" durchsetzte, dass der Staat über Beeinflussung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die volkswirtschaftlichen Daten in die eine oder andere Richtung verändern kann. In einer Situation mit anhaltender Massenarbeitslosigkeit - wie sie in den dreißiger Jahren in vielen Ländern gegeben war - ist es daher Aufgabe des Staates, das gesamtwirtschaftliche Nachfragedefizit durch erhöhte Staatsausgaben auszugleichen. Die erhöhten Staatsausgaben können durch Kredite finanziert werden. Umgekehrt kann der Staat bei einer Überhitzung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage die Staatsausgaben drosseln und damit eine Übernachfrage nach Produkten und Arbeitskraft sowie die daraus entstehende Inflation verhindern.

Zudem kann der Staat nach Keynes auch über Steuerung der Investitionen direkten Einfluss auf die gesamtwirtschaftliche Entwicklung nehmen. Keynes schreibt einer direkten staatlichen Investitionssteuerung größere Effektivität zu als einer indirekten Investitionslenkung über die Zinspolitik.

In Zeiten einer anhaltenden weltweiten wirtschaftlichen Depression fand die keynesianische Theorie während der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts viele Anhänger. Sie prägte bis Ende der siebziger Jahre das wirtschaftspolitische Denken. In Deutschland fand die keynesianische Theorie vor allem ihren Niederschlag im 1967 verabschiedeten "Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft" (Stabilitätsgesetz). Danach haben Bund und Länder ihre wirtschafts- und finanzpolititischen Maßnahmen an den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts auszurichten.

Grundlage des Instrumentariums, das das Stabilitätsgesetz dem Staat bereitstellt, ist die so genannte antizyklische Fiskalpolitik. Das heißt, der Staat verhält sich bei seiner Ausgabenpolitik entgegengesetzt zum Konjunkturverlauf. Im Konjunkturabschwung, also bei Schwächung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, erhöht der Staat die Staatsausgaben. Diese gesteigerten Staatsausgaben müssen - falls nötig - über Kreditaufnahme finanziert werden. Umgekehrt kürzt der Staat im konjunkturellen Aufschwung, nämlich bei Überhitzung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage, seine Staatsausgaben und legt die eingesparten Mittel bei der Zentralbank in einer so genannten Konjunkturausgleichsrücklage fest.

Nachdem der Keynesianismus jahrzehntelang weltweit das wirtschaftspolitische Denken beherrscht hatte, entstand seit den 60er Jahren eine Gegenbewegung, da sich immer deutlicher zeigte, dass ein übermäßiger Einsatz der keynesianischen Instrumente (ihr "Abusus", wie Karl Schiller es nannte), ebenfalls zu unerwünschten ökonomischen Folgen führte, also insbesondere die Inflation beschleunigte. Es kam zu einer Neuformulierung der klassischen Theorie, insbesondere durch Milton Friedman (1956), der als der Begründer des modernen Monetarismus gilt. Die Kritik richtete sich vor allem gegen eine Vernachlässigung des monetären Sektors in der keynesianischen Lehre.

Zudem zeigte sich, dass in den siebziger Jahren und zu Beginn der achtziger Jahre selbst umfangreiche und immer weiter steigende kreditfinanzierte Staatsausgaben nicht ausreichten, um einen wieder zu hoher Beschäftigung führenden Aufschwung herbeizuführen. Überdies gerieten zahlreiche Staaten in eine Schuldenfalle: Da die erhöhten Staatsausgaben nicht den gewünschten Erfolg hatten, über eine allgemeine Belebung der Wirtschaft auch wieder zu höheren Steuereinnahmen zu führen, lasten die wachsende Zins- und Tilgungsverpflichtungen immer stärker auf den öffentlichen Haushalten und engen den politischen Gestaltungsspielraum immer weiter ein. Dies führte einen Wechsel zu einer stärker angebotsorientierten Politik (supply-side economics) herbei. Die keynesianische Lehre hat infolgedessen seit den frühen achtziger Jahren nicht nur in Deutschland, sondern in den meisten Industrieländern an Bedeutung verloren.

Nach den Bundestagswahlen 1998, die die SPD gewonnen hatte, flackerte die Diskussion über nachfrageorientierte auf der einen und angebotsorientierte Wirtschaftspolitik auf der anderen Seite neu auf, vor allem angestoßen durch den vorübergehenden Finanzminister Oskar Lafonaine (SPD).



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