Globalisierung und Nachhaltigkeit
Globalisierung
Der Begriff der Globalisierung muß unter Berücksichtigung der historischen Entwicklung interpretiert werden. Im weiteren Sinne sind darunter zunächst die friedlichen Bemühungen der Menschen zu verstehen, ihren Lebensraum zu erweitern bzw. neuen Lebensraum zu erschließen. Ein Teil der großen Völkerwanderungen ist daher durchaus als erster Globalisierungsschritt zu werten, der von Menschen verursacht wurde. Mit Beginn der -Industrialisierung standen aus Sicht der Unternehmen vermehrt die Fragen der Markterweiterungspotentiale mit dem Ziel im Vordergrund, durch eine internationale Standortpolitik Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Allerdings waren diesbezügliche Entwicklungsmöglichkeiten bis Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die standortgebundene, vorrangig materialorientierte Produktion sehr begrenzt. Die Entscheidung über den Unternehmensstandort wurde in der Regel über die Abbauverfügbarkeit der Eingangsstoffe determiniert, was u. a. zu einer Bildung großer Industriezentren geführt hat (z. B. Ruhrgebiet). Diese mehr lokale, an einzelne Standorte gebundene Orientierung der Unternehmen, wurde mit Beginn des 20. Jahrhunderts durch die erste von der Wirtschaft getragene Globalisierungswelle abgelöst, als es darum ging, durch eine internationale Standortpolitik vermehrt „economies of scale“ zu nutzen. Die sich international annähernden Produktionsanforderungen und Konsumneigungen, der technische Fortschritt und nicht zuletzt die verbesserten Transportmöglichkeiten machten diese Entwicklung möglich (Porter, M. E., Der Wettbewerb auf globalen Märkten: Ein Rahmenkonzept, in: Globaler Wettbewerb: Strategien der neuen Internationalisierung, Porter, M. E. (Hrsg.), S. 47, Wiesbaden 1989). Mit der drastischen Senkung der realen Transportkosten durch innovative Entwicklungen im Transportsektor gewann die Globalisierungstendenz ab 1950 zusätzlich an Dynamik (beispielsweise haben sich die durchschnittlichen Transportkosten je Flugmeile für Passagiere von 0,68 US-Dollar [bezogen auf die Kaufkraft 1990] im Jahr 1930 auf 0,15 US-Dollar im Jahr 1990 reduziert, in: Petschow, U., et. al., Nachhaltigkeit und Globalisierung, EnqueteKommission „Schutz des Menschen und der Umwelt des 13. Deutschen Bundestages“, S. 4, Heidelberg 1998). Gleichzeitig stiegen aber auch die Koordinierungs- und Logistikanforderungen an global operierende Unternehmen, worin der rasante technische Fortschritt in den Informations- und Kommunikationstechnologien u. a. begründet liegt (ein dreiminütiges Transatlantikgespräch zwischen London und New York kostete 1930 noch rund 245 US-Dollar, 1990 nur noch 3,3 US-Dollar). Der jetzige und zu erwartende Globalisierungstrend am Ende des 20. Jahrhunderts und für das 21. Jahrhundert wird zunehmend von den Nutzungsmöglichkeiten dieser modernen IuKTechnologien geprägt.
Durch diese kurze Darstellung wird bereits deutlich, daß der Begriff der Globalisierung unmittelbar mit der Entwicklungsfähigkeit international tätiger Unternehmen zusammenhängt. Sofern man die dadurch entstandene Quantität und Qualität des Produkt- und Dienstleistungsangebotes als Maßstab für den Erfolg dieser Entwicklung interpretieren möchte, muß man zwangsläufig zu dem Umkehrschluß kommen, daß die Länder und Menschen von diesem Trend ausgeschlossen werden, die dem technischen Fortschritt nicht folgen können. Genau an dieser Stelle setzt beispielsweise die Kritik der WTOGegner oder auch die Kritik an den Weltausstellungen an. Darüber hinaus besteht aus ökologischer Sicht die Gefahr, daß die begrenzt verfügbaren Ressourcen für alle Menschen von nur einem geringen Prozentsatz genutzt werden und nach dem Gebrauch/ Verbrauch in einer Form an die Natur zurückgegeben werden, die keine Reproduktionsfähigkeit bzw. Integration in die natürlichen Kreisläufe ermöglicht (beispielsweise umfaßt die Bevölkerung der USA nur 6% an der Weltbevölkerung, verursacht aber ca. 25% des sogenannten biologischen Fußabdrucks; Indien und China machen zusammen 52% der Weltbevölkerung aus, verursachen aber gegenwärtig nicht mehr als 20% des weltweiten biologischen Fußabdrucks, in: Sturm, A., et. al., Die Gewinner und die Verlierer im globalen Wettbewerb, S. 36 f., Zürich, 1999).
Nachhaltigkeit
Der Begriff der Nachhaltigkeit ist nicht erst durch die Arbeiten des Club of Rome Anfang der 70er Jahre über die Grenzen des Wachstums (Meadows, D. L.: The Limits of Growth, New York, 1972) oder die Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.): Konferenz der UNCED, Dokumente: Agenda 21, Bonn, 1993) 1992 in Rio de Janeiro geprägt worden, sondern u. a. auch durch die Praxis der Forstwirtschaft. In Abhängigkeit von der Art beträgt das Wachstum eines Baumes in Europa durchaus zwischen 150 und 300 Jahren, bevor eine Verwertung als hochwertiges Nutzholz erfolgen kann. Dies bedeutet zwangsläufig, daß derjenige, der einen Baum für kommerzielle Zwecke pflanzt, diese Entscheidung nicht für kurzfristig angelegte Ertragsaussichten trifft, sondern frühestens für die Existenzsicherung der übernächsten Unternehmergeneration. Da der Wald darüber hinaus nicht nur ein wertvolles Sozialgut, sondern auch für die Sicherung und den Erhalt des weltweiten Ökosystems von zentralem Stellenwert ist, kommt den Entscheidungen über „Pflanzen und Fällen“ eine besondere Bedeutung zu. Andere Beispiele belegen ebenfalls, daß ein Ökosystem immer dann stabil ist, wenn der Natur nicht mehr entnommen bzw. an dieselbe abgegeben wird, als die natürliche Reproduktionsrate bzw. die Aufnahme- und Regenerationskapazität zuläßt. Werden diese Grenzen nicht beachtet, entstehen instabile Zustände, die den Fortbestand des gesamten Systems gefährden. Unter Beachtung dieser bekannten und wissenschaftlich belegten Kriterien kann der Begriff der Nachhaltigkeit im allgemeinen Kontext wie folgt definiert werden: „Die Gestaltung einer dauerhaften Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen (in Anlehnung an die Definition der International Union for Conservation of Nature and Natural Resources, 1980)“. Die Leitlinie aus Sicht betrieblicher Entscheider könnte somit lauten: „Die Gestaltung eines effizienten und effektiven Umganges mit den begrenzt verfügbaren Ressourcen bzw. Aufnahmekapazitäten der Natur mit dem Ziel, die Verund Entsorgungssicherheit auch für nachfolgende Generationen zu gewährleisten“.
Dilemmasituation und Herausforderung für das 21. Jahrhundert
Die gegenwärtig wertschöpfungsorientierte Ausrichtung der Wirtschaft durch Abschöpfung der natürlichen Ressourcen ist hingegen auf Dauer durch die begrenzte Verfügbarkeit derselben determiniert. Diese Restriktion müßte zwar zwangsläufig zu einem wirtschaftlichen Umgang mit den knappen Ressourcen führen, denn Knappheit ist nach Auffassung der Ökonomen die Grundlage für die Entwicklung von effizienteren Strukturen. Das Dilemma besteht jedoch u. a. in der fehlenden Intemalisierungsmöglichkeit der sogenannten externen Effekte, wodurch die Quantifizierbarkeit der Nachhaltigkeitsziele im Rahmen einer globalen interdisziplinären Nutzen- und Wohlfahrtsfunktion unmöglich wird. Die Harmonisierung dieser Wechselbeziehung zwischen Globalisierung und Umweltschutz kann daher durchaus als die prioritäre Zielstellung des 21. Jahrhunderts für die internationale Staatengemeinschaft aufgefaßt werden. Globaler Umweltschutz bzw. die Globalisierung im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung kann daher definiert werden als: „Ökonomisch tragfähige, ökologisch verträgliche und sozial ausgewogene sowie gerechte Gestaltung einer dauerhaften Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen weltweit lebenden Menschheit entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil frei zu wählen“. Auf Grundlage dieser Definition werden im Folgenden die einzelnen Handlungsmöglichkeiten zur Harmonisierung der Spannungsfelder zwischen Globalisierung und Umweltschutz aufgezeigt.
Interdisziplinäre Dimensionen zur Harmonisierung zwischen Globalisierung und Umweltschutz
Wirtschaftliche Dimensionen
Eine sowohl aus yolks- als auch aus betriebswirtschaftlicher Sicht wesentliche Voraussetzung für den internationalen Handel sind niedrige Transportkosten, die die wirtschaftliche Globalisierung überhaupt erst rentabel werden lassen. In dem Maße, in dem diese Kosten nicht mehr subventioniert werden und deshalb entsprechend steigen würden, wäre auch davon auszugehen, daß ein Großteil des internationalen Handels jeweils gleichartiger Produkte und damit auch des umgeschlagenen Stoffstroms zurückginge. Dies würde allerdings nicht zwangsweise zu einer Abkehr von der Globalisierung per se führen, sondern lediglich zu einer Relativierung der Sinnhaftigkeit eines bestimmten globalen wirtschaftlichen Engagements.
Im Bereich der weltweiten Direktinvestitionen von Unternehmen besteht die Frage, inwieweit temporär niedrigere Umweltstandards Investitionsanreize darstellen und zu einer umweltinduzierten Standortverlagerung, verbunden mit einer Verschlechterung der Umweltsituation vor allem in Entwicklungsländern führen könnten. Die verfügbaren empirischen Untersuchungen sprechen allerdings gegen eine solche Entwicklung, da auch aus rein betriebswirtschaftlichem Kalkül eine solche Investitionsstandortpolitik wenn überhaupt, dann nur kurzfristig und in wenigen, nicht kapitalintesiven Branchen Sinn machen würde. Aufgabe der Wirtschaft muß es daher sein, insbesondere in wirtschaftlich schwachen Regionen eine Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch zu forcieren, um die globale Umweltbelastung zu reduzieren. Dafür gibt es unterschiedliche Maßnahmen, wie beispielsweise den durch internationale Emissionszertifikatskäufe und -verkäufe initiierte und finanzierte Transfer moderner integrierter Umwelttechnologien in Länder, die ihre Emissionszertifikate nicht ausschöpfen. In Costa Rica beispielsweise soll eine solche Politik dazu führen, daß sich das Land in absehbarer Zeit komplett mit regenerativen Energiequellen auf der Basis moderner, importierter Umwelttechnologien versorgt.
Politische Dimensionen
Im Bereich der Politik stellt sich die Frage, ob in einer Zeit, in der immer größere Konzerne mit weltweiten Standorten und entsprechend großem wirtschaftlichen und politischem Einfluß agieren, nationalstaatliche Maßnahmen zum Umweltschutz überhaupt noch durchsetzbar sind und welche möglichen Alternativen es dazu gibt. In diesem Zusammenhang wird vor allem das Konzept der Global Governance diskutiert. Ziel dieses Konzeptes ist die Schaffung eines Weltordnungsrahmens, der allerdings nicht durch eine Weltregierung im Sinne eines Global Government, sondern durch konsensuale Absprachen staatlicher und nichtstaatlicher Akteure umgesetzt werden soll. Dies sollte unter Berücksichtigung des jeweils national unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen sowie des damit verknüpften ökologischen Niveaus entsprechend in permanenter Abstimmung zwischen Handels- und Umweltpolitik erfolgen. Momentan sind diesbezüglich funktionierende Strukturen erst in Ansätzen erkennbar, d. h. die Effizienz der Anreiz- und Kontrollmöglichkeiten ist noch zu prüfen, jedoch ist davon auszugehen, daß sich diese in absehbarer Zeit realisieren lassen. Es ist allerdings auch bereits erkennbar, daß es von maßgeblicher Bedeutung sein wird, auf eine ausgewogene Besetzung der entscheidungsrelevanten Gremien zu achten, um einseitig forcierte Entwicklungen zu verhindern, wie z. B. das von den Unternehmen gewünschte und über die OECD geplante, mittlerweile aber aufgrund des öffentlichen Drucks wieder zurückgestellte „Multilateral Agreement an Investment“. Dieses sollte den Unternehmen ohne ausreichende Berücksichtigung ökologischer und sozialer Interessen aller Betroffenen einen einseitigen Schutz ihrer Investitionen zusichern und hat sich deshalb bislang in dieser Form auch noch nicht durchgesetzt.
Soziale Dimensionen
Die soziale Komponente des Verhältnisses von Globalisierung und Umweltschutz betrifft einerseits das Konsumverhalten der Menschen in ihren jeweiligen Ländern und die daraus resultierenden, unter Umständen globalen Umweltwirkungen, andererseits betrifft sie das Verhältnis der Länder untereinander in Bezug auf die Verfügbarkeit knapper Ressourcen bzw. moderner integrierter Umwelttechnologien. Dies bringt sowohl die hochentwickelten Länder als auch die Entwicklungsländer in eine soziale Dilemmasituation auf verschiedenen Ebenen. Einerseits wird es schwierig sein, das Konsumverhalten und den damit verbundenen Ressourcenverbrauch in den hochentwickelten Ländern auf ein wesentlich niedrigeres Niveau zu senken, andererseits sind sich alle Länder bewußt, daß ein weltweit gleiches Konsumverhalten vom ökologischen System global in dieser Form nicht verkraftet werden kann. Allerdings kann man den Entwicklungsländern trotzdem nicht verwehren, daß sie das in den hochentwickelten Ländern übliche Wohlstandsniveau anstreben. Das bedeutet, daß man Lösungen finden muß, die die Entwicklung moderner Umweltschutzverfahren und deren Transfer in Entwicklungsländer beschleunigen sowie ein unter globalen Gesichtspunkten ökologisch und sozial verträglichen Umgang mit knappen Ressourcen fördern. Hier wird für die nächsten Jahre ein wesentlicher Schwerpunkt der internationalen Umweltpolitik liegen müssen, will man verhindern, daß es tatsächlich zu bereits heute prognostizierten Konflikten um weltweit knapper werdende Ressourcen kommt.
Ökologische Dimensionen
Mit Zunahme der Globalisierung kommt es auch zu einer sowohl qualitativen als auch quantitativen Veränderung der globalen Stoffströme bei einem gleichzeitig steigenden Ressourcenverbrauch. Dabei ist jeder einzelne Akteur als Element in einem komplexen System zu verstehen, zwischen denen verschiedene Beziehungen bestehen. Bei der Gestaltung dieses Systems gilt es insbesondere, negative Rückkopplungen zu vermeiden und positive Rückkopplungen mit dem Ziel zu fördern, eine effizientere Nutzung des Ressourcenverbrauchs zu gewährleisten (u. a. auch als Effizienzrevolution bezeichnet). Die Optimierung des Beziehungsgefüges in dem vorher skizzierten interdisziplinären Kontext ist Voraussetzung für eine Harmonisierung im Sinne eines stabilen Kreislaufsystems.
Als Basis für die nachhaltige globale Gestaltung des o. a. Beziehungsgefüges können beispielsweise die von der Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages „Schutz des Menschen und der Umwelt“ aufgeführten Grundregeln gelten:
Die Abbaurate erneuerbarer Ressourcen darf deren Regenerationsrate nicht überschreiten (Aufrechterhaltung der ökologischen Leistungsfähigkeit).
Stoffeinträge in die Umwelt müssen sich an der Belastbarkeit der als Senken dienenden Umweltmedien in allen ihren Funktionen orientieren (Verbot der Überlastung der belebten und unbelebten Umwelt).
Nicht erneuerbare Ressourcen sollen nur in dem Umfang genutzt werden, wie ein gleichwertiger Ersatz in Form erneuerbarer Ressourcen oder eine höhere Produktivität der erneuerbaren sowie der nicht erneuerbaren Ressourcen geschaffen werden kann (Forderung nach ökologisch orientierten -Innovationen).
Das Zeitmaß anthropogener Einträge bzw. Eingriffe in die Umwelt muß in einem ausgewogenen Verhältnis zu der Zeit stehen, die die Umwelt zur Reaktion benötigt (Beachtung der Ökologie der Zeit).
Weiterführende Literatur:
Beck, U.: Was ist Globalisierung? Frankfurt a. M. 1997; Brodel, D.: Internationales Umweltmanagement, Wiesbaden 1996; Meadows, D.: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, Stuttgart 1994; Petschow, U.l Hübner, K.l Droge, S.l Meyerhojf J.: Nachhaltigkeit und Globalisierung, Berlin/ Heidelberg/ New York 1998.
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