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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Deregulierung

Deregulierung ist die Rücknahme staatlicher Regelungen, die Einschränkungen der freien Marktwirtschaft oder die Übernahme privatwirtschaftlicher Aufgaben durch den Staat zum Inhalt haben. Deregulierung dient der Freisetzung der Marktmechanismen und geht demzufolge zumeist einher mit einer Politik weit reichender Privatisierung und Flexibilisierung. Ziel der Deregulierung ist die Steigerung von Effizienz, Wettbewerb und Wirtschaftswachstum und damit letztlich der Abbau der Arbeitslosigkeit.

In jüngster Zeit ist Deregulierung beispielhaft zu beobachten an der Flexibilisierung des Telekommunikationsmarktes. Mit der Aufhebung des Monopols der Telekom im Telekommunikationssektor und der Zulassung freier Anbieter wurde der freie Wettbewerb möglich. Sofort wurde der Telekommunikationsmarkt zum heiß umkämpften Markt um neue Kunden mit täglich neuen Billigangeboten. Die Gebühren sind dadurch drastisch gesunken.

Wirtschaftsgeschichtlich beginnt der internationale Prozess der Deregulierung mit dem Zusammenbruch des Systems stabiler Wechselkurse und dem Ende der Vorherrschaft des keynesianischen Paradigmas Ende der Siebzigerjahre. Dieses hatte dem Staat die entscheidende Rolle in wirtschaftlichen Krisenzeiten eingeräumt. Gleichzeitig setzte sich der Neoliberalismus mit seiner neoklassischen Freihandelspolitik durch, in dessen Mittelpunkt die Freigabe des internationalen Devisen- und Kapitalverkehrs steht. In den USA wurde bereits Ende der Siebzigerjahre eine erste Welle der Deregulierung eingeleitet, insbesondere im Flugverkehrs-, Fernmelde-, Bank- und Börsenwesen, sowie auf dem Transport- und Energiesektor. In besonderem Maße wird diese Politik jedoch mit der Präsidentschaft Ronald Reagans und der Politik der rigiden staatlichen Ausgabenkürzung in Großbritannien unter Margaret Thatcher verbunden.

Einen neuen Deregulierungsschub erlebte die Weltwirtschaft mit dem Zusammenbruch des Sozialismus und dem Ende des Kalten Krieges. Die sprunghafte Zunahme der internationalen Direktinvestitionen führte zu globaler Standortkonkurrenz im Wettbewerb um die günstigsten Investitionsbedingungen. Die Globalisierung nach dem Ende des Kalten Krieges stellt dabei nur eine neue Stufe im Prozess des beschleunigten Zusammenwachsens der Weltwirtschaft dar. Bereits mit dem Abschluss des allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, dem "General Agreement on Tariffs and Trade" (GATT), vereinbarten die USA und Westeuropa 1948 einen gemeinsamen internationalen Handelsverbund zum Abbau nationalstaatlicher Handelshemmnisse. Deregulierung im internationalen Maßstab ging somit stets einher mit der Einschränkung nationalstaatlicher Befugnisse.

Seit Mitte der Neunzigerjahre, verstärkt seit dem Koalitionswechsel von 1998, betreibt auch die Bundesregierung eine Politik der Haushaltssanierung und Verschlankung des Staates. Im Zuge der Deregulierung des Arbeitsrechts wurden weit gehende Ausnahmen vom Prinzip des Flächentarifvertrags vereinbart, weiterhin ein Ausbau der Möglichkeit von Zeitverträgen und die Verringerung des Kündigungsschutzes. Dennoch bleibt die Frage umstritten, ob Deregulierung tatsächlich zur langfristigen Beseitigung der Arbeitslosigkeit beiträgt. Die Erfahrungen der USA in den letzten Jahren scheinen dies zu belegen. Bei der Folgenabschätzung ist jedoch zwischen betriebs- und volkswirtschaftlicher Perspektive zu unterscheiden. Hat in betriebswirtschaftlicher Hinsicht Deregulierung die Freisetzung von Investitionspotential zur Folge und ist somit betriebswirtschaftlich rentabel, sind die langfristigen Folgen in volkswirtschaftlicher Hinsicht noch nicht ausgemacht. Da Deregulierung regelmäßig zu Rationalisierungsinvestitionen führt, können entgegen der politischen Intention beschäftigungsneutrales Wachstum und sogar Arbeitsplatzabbau die Folge sein.

Verminderung staatlicher Eingriffe (z.B. in Form von Mindest- oder Höchstpreisen, bürokratischen Vorschriften, Marktordnungen), um wohlfahrtssteigernde Effekte des Wettbewerbs besser nutzen zu können. Regulierungen, die höhere Kosten verursachen, als sie Nutzen stiften, sind aufzuheben. Kann ein Regulierungsziel auch mit weniger drastischen oder kostspieligen Eingriffen erreicht werden, muss ebenfalls dereguliert werden. Die quantitative Bewertung von Regulierungen kann mit Kosten-Nutzen-Analyse erfolgen. Vielfach kann der Wissenschaftler nur die Wirkungen von Regulierungen erfassen und gegenüberstellen. Der Politiker und letztlich der Wähler muss dann entscheiden. Dabei sollte auch immer die durch die Regulierung bewirkte Einschränkung von Freiheitsrechten bewertet werden. Die politischen Institutionen westlicher Demokratien bringen viele ungerechtfertigte Regulierungen hervor. Denn Regierungen können sich dadurch profilieren und ihre Politiker Wählerstimmen sammeln, dass sie für Probleme Gesetze und Regelungen anbieten. Zum Zeitpunkt der Einführung neuer Regulierungen erhofft man sich eine Lösung der Probleme, die Nebenwirkungen und Kosten sind jedoch noch nicht bekannt. Oft sind die Nebenwirkungen und Kosten diffus verteilt und unter der Fühlbarkeitsschwelle, aber in ihrer Summe erheblich. Typisch sind Regulierungen, welche den Interessen kleiner Gruppen auf Kosten der Allgemeinheit dienen. So verschaffen sich Politiker Wählerstimmen, Spenden, Ansehen, Einfluss und Macht. Politiker bieten Regulierungen an. Organisierte Gruppen fragen Regulierungen nach. Sie wenden Ressourcen auf, um in den Genuss von Vorteilen zu kommen. Sie werden jedoch höchstens soviel in den Kampf um die Vorteile investieren, wie die Vorteile selbst wert sind. Wenn mehrere Gruppen mit gegensätzlichen Interessen um jeweils günstige Regelungen kämpfen, können die Kosten der Einflußnahme sogar die individuellen Vorteile in der Summe übersteigen. Der Wettbewerb um vorteilhafte Regulierungen verschlingt dann schon mehr Ressourcen, als individuelle Vorteile entstehen, die eigentlichen Kosten der Regulierung noch gar nicht berücksichtigt. So entstehen Verkrustungen der Volkswirtschaften, welche kreative wirtschaftliche Aktivitäten ersticken. Neue Regulierungen verschaffen den Begünstigten einen windfall gain (- Gewinn). Wird zum Beispiel eine Lizenzierung eingeführt, kann der schon vorher im Markt tätige Unternehmer die ihm als Verbriefung seines Besitzstandes übertragene Lizenz verkaufen. Je geringer die Anzahl der vergebenen Lizenzen und je größer die Nachfrage nach der lizenzierten Leistung ist, desto mehr ist die Lizenz wert. Dieser Aspekt ist typisch für Regulierungen, auch wenn keine Lizenzen vergeben wurden; denn Regulierungen errichten fast ausnahmslos als eine der Nebenwirkungen             Marktzutrittsbarrieren, welche die Gewinnmöglichkeiten erhöhen. Die Abschaffung von Regulierungen führt entsprechend zu windfall-Verlusten der vorher begünstigten Gruppen. Die Abschaffung einer Lizenzierung entwertet die Lizenz, die Öffnung von Märkten führt zu einer Erosion der regulierungsinduzierten Gewinne. Die von Regulierungen Begünstigten werden deshalb Ressourcen gegen die Abschaffung der Regulierungen mobilisieren. Aus politökonomischer Perspektive schließt sich die Frage an, ob nicht generell bei der Einrichtung und der Abschaffung von Regulierungen die Opposition der jeweiligen Verlierer durch Kompensationszahlungen aufgebrochen werden sollte. Die Kompensationszahlungen einschl. der durch zusätzliche Steuern abzudeckenden institutionellen Kosten der Regulierung würden die gesamtwirtschaftlichen Nachteile transparent machen. Die Forderung würde erhoben, dass dafür die von der Regulierung Begünstigten aufzukommen hätten. Damit wäre sichergestellt, dass nur solche Regulierungen durchsetzbar wären, die per Saldo die Wohlfahrt erhöhen. Umgekehrt würde jedoch die Position der Begünstigten in einer Abschaffungsdebatte gestärkt. Müßten doch die alle Vorteile aufwiegenden Kompensationszahlungen ausgehandelt und finanziert werden. Aus praktischer Sicht scheidet ein solcher an der Wahrung der jeweiligen Besitzstände orientierter Grundsatz aus. Die Vor- und Nachteile von Regulierungen lassen sich nur selten exakt bewerten. Außerdem würden die Verhandlungen über die Zahlungen schon wegen der strategischen Aspekte kaum durchführbar sein. Regelmäßig wird gegen die Abschaffung von Regulierungen der Verlust von Arbeitsplätzen als Argument angeführt. Allgemein kann eine ökonomisch gerechtfertigte Deregulierung, welche also per Saldo eine Wohlfahrtssteigerung verspricht, niemals zu einem gesamtwirtschaftlichen Verlust von Arbeitsplätzen führen. Denn die Deregulierung mindert Marktzutrittsbarrieren und führt zu neuen kostengünstigen und deshalb mehr nachgefragten Aktivitäten. Literatur: Deregulierungskommission (1991). Horn, M. u.a. (1988)



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