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Leistungsmotivation

Leistungsmotivation ist ein  hypothetisches Konstrukt, das zunächst in den 1950er von dem amerikanischen Psycholo­gen David C. McClelland in seinem 1961 veröf­fentlichten Buch The Achieving Society” (deutsch 1966: “Die Leistungsgesellschaft”), dann von John W. Atkinson und, im deutschspra­chigen Raum, von Heinz Heckhausen zur Er­klärung interindividueller (und auch intraindividu­eller) Unterschiede des Leistungsverhaltens, sei­ner Intensität, Konsistenz und Richtung, unter im übrigen gleichen Antriebsbedingungen herange­zogen wurde. Diese Autoren gehen davon aus, dass die Leistungsmotivation im sozialen Kontext erlernt und wie alle übrigen Motive durch die erfahrungsabhängige Verknüpfung der Erwar­tung einer Affektänderung mit bestimmten Auslösebedingungen charakterisiert ist. Die Theorie von der Leistungsmotivation war übrigens ein Nebenprodukt allgemeiner psycho­logischer Forschung, wie McClelland schrieb: “Das vorliegende Buch ist genaugenommen ein Zufall. Es ist keineswegs aus dem Wunsch her­aus entstanden, Lösungen für Probleme zu fin­den, die für Ökonomen und Soziologen von Inter­esse sind. Der Ausgangspunkt war vielmehr ein rein theoretisches Problem der Psychologie, nämlich der Versuch, einige der elementaren menschlichen Motive zu isolieren und quantitativ zu messen. Erst nach umfangreicher Grundla­genforschung über diese Motive entstand der Gedanke, dass eines davon etwas mit wirtschaftli­chem Wachstum zu tun haben könnte.” Dass David C. McClellands Werk sich trotzdem als “Psychologische Analyse der Voraussetzun­gen wirtschaftlicher Entwicklung” darstellt — so der Untertitel der “Leistungsgesellschaft” —, liegt nicht zuletzt an der Fülle widersprüchlicher Aus­sagen der klassischen Ökonomie, auf die McClelland bei seiner Arbeit stiess. Die grundle­gende Schwierigkeit zu erklären, warum ein Volk zu gewissen Zeiten tatkräftiger ist als zu ande­ren, wie sich das zum Beispiel für das Italien der Renaissance und der Jahrhunderte danach be­sonders exemplarisch zeigen läßt, lenkte das Au­genmerk des Psychologen McClelland auf die Art der Annäherung der Ökonomen an diese Fragen: “Im Prinzip ist das Entwicklungsmodell des Öko­nomen ein rationales, eines, in dem aufgeklärtes Selbstinteresse des Menschen die Kräfte, die von innen oder von außen auf das wirtschaftliche System einwirken, in Aktivitäten umwandelt, die zu erhöhter Produktivität oder zu vermehrtem Wohlstand führen.” McClelland zweifelt, dass der ursprüngliche Impe­tus für wirtschaftliches Wachstum rationaler Art ist. Er zitiert die Umstände des Baus der Schie­nenwege durch den nordamerikanischen Konti­nent, für den es zum historischen Zeitpunkt kaum eine Rechtfertigung gab, da an der Westküste nur unbedeutende, kleine Ansiedlungen existier­ten. Folgerichtig verloren auch Tausende von In­vestoren ihr in Eisenbahnaktien angelegtes Geld. Doch “ohne die Entschlossenheit dieser Men­schen wäre der amerikanische Westen niemals für die ,rationale\' Ausbeutung erschlossen wor­den”. Generell sind zwei Komponenten des Leistungs­motivs zu unterscheiden: das Streben nach Er­folg (achieve success) und die Vermeidung von Mißerfolg (avoid failure). Je nachdem, ob eine Si­tuation Hoffnung auf Erfolg oder Furcht vor Miß­erfolg aktiviert, resultiert eher ein - Appetenz-oder eher ein - Aversionsverhalten. Die aufsu­chenden und meidenden Tendenzen bestimmen sich als Produkt von Erfolgs- bzw. Mißerfolgs­wahrscheinlichkeit und des Anreizes von Erfolg bzw. Mißerfolg sowie der überdauernden Motiv­stärke, Erfolg zu erzielen und Mißerfolg zu mei­den. “Dabei verhalten sich (1) Erfolgs- und Miß­erfolgswahrscheinlichkeit komplementär zuein­ander und (2) ist Erfolgsanreiz eine inverslineare Funktion und Mißerfolgsanreiz eine lineare Funk­tion der Erfolgswahrscheinlichkeit. Nach dieser multiplikativen Funktion erreichen aufsuchende und meidende Tendenzen ein Maximum, wenn die Erfolgswahrscheinlichkeit gleich 50 % ist. Je nachdem, ob das überdauernde Motiv, Erfolg zu erzielen oder das Motiv, Mißerfolg zu vermeiden, stärker ist, ist die resultierende Motivierungsten­denz bei Aufgaben mittleren Schwierigkeitsgra­des am stärksten bzw. am schwächsten. Empi­risch konnte immer wieder nachgewiesen wer­den, dass Erfolgszuversichtliche und Hochmoti­vierte im Vergleich zu Mißerfolgsängstlichen und Niedrigmotivierten mittlere bis leicht überhöhte Schwierigkeitsgrade bevorzugen.” (Heinz Heck-hausen) McClelland ging von der Hypothese aus, Lei­stungsmotivation (need for achievement) sei ein das wirtschaftliche Wachstum mitbestimmender Faktor. Dabei handele es sich jedoch nicht um ein allgemeiner und subjektiver Beurteilung zu­gängliches Phänomen, dessen Stärke oder Schwäche ohne weiteres geschätzt werden könnte. McClelland betont den Unterschied zwi­schen Motivation und Handlung, zwischen Leistungswunsch und tatsächlicher Leistung. Das Leistungsmotiv oder -bedürfnis ist eine psy­chische Größe, die von anderen psychischen An­trieben isoliert, experimentell untersucht und quantifiziert werden kann. Auf der Grundlage seiner empirischen Befunde charakterisierte McClelland die Verhaltenswei­sen und Persönlichkeitsmerkmale hochleistungs­motivierter Personen und ihr unternehmerisches Rollenverhalten wie folgt: · Mäßige Risikobereitschaft: Vertrauen in die ei­genen Fähigkeiten, solange das Risiko bere­chenbar erscheint. Verläßt sich jedoch nicht auf Chancen im Sinne des Glücksspiels. · Bevorzugt mittelschwere Aufgaben, die neu sind und persönliche Initiative und Kreativität ver­langen. · Konzentriert sich auf die Aufgabe, nicht so sehr auf Mitarbeiter. · Ist zukunftsorientiert und setzt sich selbst Maßstäbe für die zu erreichende Leistung. · Bezieht Leistung eher aus dem Gefühl, eine erfolgreiche Handlung initiiert zu haben, als aus öffentlicher Anerkennung. · Schätzt Geld nicht um seiner selbst willen, sondern nur als Mass des persönlichen Erfolgs. Da Hochleistungsmotivierte unabhängiger von Bedürfnissen zu sozialem Anschluss sind, neigen sie weniger dazu, Positionen nach Kriterien wie Freundschaft in ihren Unternehmen zu besetzen. Sie bevorzugen den jeweils bestmöglich verfüg­baren Experten. Die Untersuchungen ergaben indes auch, dass Personen mit hohem Leistungsbedürfnis keines­wegs unter allen Bedingungen besser abschnei­den. McClelland: “Erfordert die Lösung der Auf­gabe bloße Routine oder schließt sie Zusammen­arbeit mit anderen oder Sonderbelohnungen wie freie Zeit oder Geldpreise ein, dann werden Per­sonen mit anderen Motiven besser abschnei­den.” In diesem Sinn lassen sich zwei unter­schiedliche Typen von “Leistern” unterscheiden: “den Menschen, der mehr oder weniger unterschiedles schwer und tüchtig an jeder Aufgabe arbeitet, und den anderen, der nur an solchen Aufgaben hart arbeitet, die, weil sie eine Heraus­forderung enthalten, ihm nach ihrer Lösung das Gefühl vermitteln, persönlich etwas vollbracht zu haben.” Leistungsmotivation ist für McClelland wesentli­che Voraussetzung für einen Manager. In in­ternationalen Vergleichstests sammelte er Bele­ge dafür, dass Manager eine signifikant höhere Leistungsmotivation aufweisen als andere Be­rufsgruppen mit vergleichbarer Ausbildung. Da­bei zeigt seine Charakterisierung des Menschen mit starkem Leistungsbedürfnis Anklänge an Jo­sef Schumpeters Bild vom erfolgreichen und “schöpferischen” Unternehmer. McClelland weitete so seine Motivationstheorie über den individualpsychologischen Bereich aus und erklärte das Leistungsmotiv zum eigentli­chen Motor gesamtwirtschaftlicher Entwicklung. Ausgehend von Max Webers Hypothese über Einfluss der protestantischen Ethik auf den Geist des Kapitalismus postulierte er, dass dieser An­trieb zu wirtschaftlicher Entwicklung in seinem Wesen irrational ist: “Auf einfachste Art gesagt, entstehen in einer Gesellschaft Bedingungen — oft hervorgerufen durch eine ideologische Bewe­gung —, die die Eltern veranlassen, ihren Kindern frühzeitig eine ganz bestimmt geartete Erziehung zu geben. Dadurch werden mehr Kinder mit ho­her Leistungsmotivation hervorgebracht, die un­ter günstigen Bedingungen später erfolgreiche Geschäftsunternehmer werden können.” McClelland fand eine positive Korrelation zwi­schen Leistungsmotivation und späterer wirt­schaftlicher Entwicklung. Dabei geht ein niedri­ges oder hohes Leistungsniveau, wie es sich in der Literatur darstellt, jeweils etwa ein halbes Jahrhundert einem wirtschaftlichen Niedergang beziehungsweise Aufschwung voraus. Damit wird die Bestimmung der in einer Gesell­schaft manifesten Leistungsmotivation zum In­strument für wirtschaftliche  Prognosen. McClelland hat sich in den 1960er Jahren selbst Fragen der Entwicklungspolitik in der dritten Welt gewidmet und seine Erfahrungen, vor allem in In­dien und Tunesien, in Empfehlungen für einen “achievement development course” niedergelegt. Die Beeinflussung des individuellen Leistungs­bedürfnisses durch psychologische Trainingsmethoden erscheint McClelland dabei als der ko­stengünstigste Weg jeder Entwicklungshilfe, die sich nicht nur im ethnozentrischen Versuch erschöpft, Produktivität durch einfache Kopie kul­turfremder Institutionen zu simulieren. Die Theorie der Leistungsmotivation, und in en­gem Zusammenhang mit ihr die Theorie des Anspruchsniveaus, sind auch zur Erklärung des Konsumentenverhaltens und der Kauf­entscheidung herangezogen worden. So läßt sich das Anspruchsniveau von Konsumenten und ihr Konsumstandard als Ausdruck ihres Lei­stungsstrebens interpretieren. Günter Wiswede unterscheidet so Konsumenten, die auf Sicher­heit (Vermeidung von Risiko) bedacht sind, von Konsumenten, die nach Erfolg streben und deu­tet in diesem Kontext Unterschiede des Spar-und des Konsumverhaltens, die Neigung zu Teil­zahlungskäufen oder das Verhalten von Inno­vatoren und Nachzüglern. “Stark leistungsmoti­vierte Verbraucher neigen zu einer sukzessiven Kumulation des Anspruchsniveaus: dies scheint die Quelle für das Bestehen von Expansivbedürf­nissen zu sein, die im Grade ihrer Erfüllung dazu tendieren, wieder zu wachsen. Die herkömmliche Vorstellung von einer Sättigungsgrenze für Kon­sumbedürfnisse erhält von hier aus eine ent­scheidende Korrektur.” (Günter Wiswede)



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