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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Standort Deutschland

Wenn über den "Standort" Deutschland diskutiert wird, so versteht man unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten darunter die Gesamtheit aller Faktoren, die es für Unternehmen entweder attraktiv oder unattraktiv machen, in der Bundesrepublik zu produzieren und zu investieren, statt Kapital wegen der dort gebotenen günstigeren Bedingungen in anderen Ländern anzulegen und damit dort Arbeitsplätze zu schaffen.

In der politischen Diskussion wird die Qualität des Standorts im Vergleich zu anderen Regionen in Europa oder Übersee oft nur an der Höhe der Löhne und Lohnnebenkosten, der Länge der Arbeitszeit, der Steuerlast oder den Umweltauflagen gemessen. Doch wenn die Standortbedingungen in Deutschland mit denen in anderen Staaten verglichen werden, ist dies nur die eine Seite und daher wenig aussagekräftig, wenn nicht gleichzeitig Faktoren wie Produktivität, Ausbildungsniveau, soziale Beziehungen, Kommunikations- und Verkehrswesen sowie die Leistungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung , Subventionen und die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren oder die Nähe zu wichtigen Lieferanten und Absatzmärkten in die Rechnung einbezogen werden.

Heute ist die Qualität eines Standortes vor allem von solchen Faktoren abhängig, kaum noch von natürlichen Gegebenheiten. Deutschland gehört nicht zu den Ländern die mit "Naturschätzen" gesegnet sind. Außer Stein- und Braunkohle gibt es nur in geringem Umfang Erze, Mineralöl oder andere Rohstoffe. Außerdem sind es vielfach diese "natürlichen Reichtümer", die in modernen Industriestaaten wirtschaftlich und politisch die meisten Schwierigkeiten bereiten. Das Beispiel der Landwirtschaft oder des Kohlenbergbaus macht dies sehr deutlich.

Ähnlich wie in anderen rohstoffarmen, aber ökonomisch und sozial hoch entwickelten Ländern (z. B. Schweiz, Dänemark, Frankreich, Niederlande) beruht der im weltweiten Vergleich außerordentlich hohe Wohlstand der Bundesrepublik vor allem auf "Menschenwerk". Dazu gehören Demokratie und eine gut organisierte Marktwirtschaft, ein hochentwickeltes Bank- und Geldwesen, ein engmaschiges System der sozialen Sicherheit, eine funktionierende Verwaltung und verläßliche Rechtsordnung, ein Bildungssystem, das Chancengleichheit für alle anstrebt, intensive Forschung, sozialer Frieden und andere Faktoren, die vereinfacht als "gesellschaftliche Reichtümer" bezeichnet werden könnten. Zunehmend spielen aber auch kulturelles Angebot (Theater, Museen, gute Schulen), Lebensqualität (Restaurants, Attraktivität der Städte, gute Krankenhäuser) oder Umweltfragen eine wichtige Rolle bei Standortentscheidungen.

Viele Staaten in der Welt, die über bedeutende natürliche Ressourcen verfügen, sind als Industriestandorte wegen ungünstiger Umfeldbedingungen für Investoren trotz niedriger Löhne wenig attraktiv und können ihrer Bevölkerung weit weniger materiellen und immateriellen Wohlstand bieten. Die frühere Sowjetunion ist dafür ebenso ein Beispiel, wie die meisten südamerikanischen Länder.

Allerdings müssen die in den hochentwickelten Ländern im Laufe der Geschichte geschaffenen Strukturen nicht nur im Bereich der Industrie oder der Dienstleistungen sondern auch in den staatlichen Einrichtungen immer wieder an gewandelte Bedürfnisse und Werte angepaßt werden. Der Umweltschutz oder das Streben der Frauen nach Emanzipation sind dafür Beispiele. Dies gilt aber ebenso für die "Zutaten", die den Begriff "made in Germany" weltweit zu einem Gütesiegel gemacht und den Standort Deutschland in der Vergangenheit zu seinem hohen Rang verholfen haben: Qualität, Service, Lieferpünktlichkeit, Kundennähe, modernste Technik. Auch sie müssen immer wieder darauf überprüft werden, ob sie den gewandelten Ansprüchen der Kunden noch genügen.

Doch auch dies allein reicht nicht aus, da andere Länder - wie zum Beispiel Japan - diesen Weg ebenfalls mit Erfolg eingeschlagen haben. Zu den weiteren Bedingungen unternehmerischen Erfolgs und der Aufgabe heutiger Führungskräfte gehört deshalb heute auch der Abbau von Bürokratie und zu vielen Hierarchiestufen im Unternehmen, Motivation und Information der Mitarbeiter, Mitsprache am Arbeitsplatz, Intensivierung des betrieblichen Vorschlagswesens, Förderung des weiblichen Führungspotentials. Vielfach wird diese Form moderner Unternehmensführung unter dem Begriff "Lean Production" oder schlanke Produktion zusammengefasst.

Auch der Staat hat bei der Standortsicherung wichtige Aufgaben. Er muss für eine leistungsfähige Infrastruktur ebenso sorgen, wie für ein übersichtliches und die Leistungsbereitschaft nicht lähmendes Steuersystem, für eine effiziente öffentliche Verwaltung, ausreichende und den qualitativen Ansprüchen gerecht werdende Forschungs- und Bildungseinrichtungen oder Rechtssicherheit.

Gefahr für Deutschland als Standort von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen besteht solange nicht, wie den hohen Arbeitskosten, Steuern oder Umweltauflagen eine entsprechend hohe Produktivität gegenübersteht und der Staat für eine moderne Infrastruktur und funktionierende Verwaltung sorgt. Erst wenn Leistung und Belastung der Wirtschaft sich auseinander entwickeln, gerät die Bundesrepublik im internationalen Wettbewerb der Standorte in eine für die langfristige Sicherung von Wohlstand und Arbeitsplätzen gefährliche Schieflage.

In der sozialistischen Wirtschaftslehre: Umschreibung des Wirtschaftsraums der Bundesrepublik Deutschland im Vergleich mit international konkurrierenden Staaten. Als „Standortdebatte“ umfaßt der Begriff die vor- und nachteiligen Faktoren des Wirtschaftens und Investierens in der Bundesrepublik. >Standort-Poker



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