Gesundheitsmarkt
In der Gesundheitswirtschaft:
Markt, auf dem das Angebot und die Nachfrage für Güter und Dienstleistungen zusammentrifft, die unmittelbar oder mittelbar der Förderung, dem Erhalt und der Wiederherstellung der Gesundheit sowie der Linderung von durch gesundheitliche Beeinträchtigungen ausgelöste Leiden und Schmerzen dienen, einschließlich der Zulieferungen und Vorleistungen, die erbracht werden, um die eigentlichen gesundheitsbezogenen Güter und Dienstleistungen produzieren zu können. Im Gegensatz zur herkömmlichen Betrachtungsweise des Gesundheitssystems oder Gesundheitswesens als Teil des weitgehend staatlich regulierten sozialen Sicherungssystems bezieht die Betrachtungsweise des Gesundheitsmarktes vor allem auch die Perspektive eines Wirtschaftsbereiches mit ein, der einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft leistet.
In der nachfolgenden Übersicht wird die Gesundheitswirtschaft – einschließlich des Arbeitsmarktes für die Gesundheitsbranche – in fünf Teilbereiche strukturiert, die ihrerseits wiederum näher spezifiziert werden. Ziel dieser umfassenden Darstellung ist vor allem, die reale Dimension der Gesundheitswirtschaft als Teil der Volkswirtschaft mit ihren vielfältigen Verflechtungen zu anderen Branchen ins Blickfeld zu rücken.
Übersicht: Gesundheitswirtschaft: Umfang und Struktur1
• Kernbereich der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung
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Krankenhäuser
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Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen
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Arztpraxen
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Zahnarztpraxen
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Praxen nichtärztlicher medizinischer Berufe
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Apotheken
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Stationäre, teilstationäre und ambulante Pflegeeinrichtungen
• Vorleistungs- und Zulieferindustrien:
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Pharmazeutische Industrie
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Medizinprodukte und Medizintechnik
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Gerontotechnik
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Bio- und Gentechnologie
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Gesundheitshandwerk
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Groß- und Facheinzelhandel mit medizinischen und orthopädischen Produkten
• Randbereiche des Gesundheitsmarktes
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Gesundheits- und gesundheitssystembezogene Forschungseinrichtungen
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Ausbildungseinrichtungen der bzw. für die Gesundheitswirtschaft
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Gesundheitsbezogene Beratung
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Gesundheitsbezogene Informationsangebote
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Organisationen und Verbände in der Gesundheitswirtschaft
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Gesundheitstourismus
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Wellness
• Nachbarbranchen des Gesundheitsmarktes und direkt mit ihm verflochtene Branchen
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Gesundheitsbezogene Sport- und Freizeitangebote
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Gesundheitswirtschaftsbezogene Informationsangebote
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Herstellung und Vertrieb von funktionellen Nahrungs- und Nahrungsergänzungsmittel
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Catering und Reinigung für bzw. in Unternehmen der Gesundheitswirtschaft
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Beratung von Unternehmen und Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft
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Planungs- und Bauleistungen für die Gesundheitswirtschaft
• Arbeitsmarkt für die Gesundheitsbranche
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Arbeitsmarkt für Gesundheitsberufe im engeren Sinne
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Arbeitsmarkt für soziale Berufe
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Arbeitsmarkt für sonstige Berufe und Tätigkeiten auf dem Gesundheitsmarkt bzw. im Umfeld des Gesundheitsmarktes
Der „Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen“ hat diesen Paradigmenwechsel insbesondere mit seinem 1997 erstatteten Sondergutachten „Gesundheitswesen in Deutschland: Kostenfaktor und Zukunftsbranche“2 eingeleitet. Dort heißt es unter anderem:
Das Gesundheitswesen stellt einen erheblichen Wirtschaft- und Wachstumsfaktor in der Volkswirtschaft dar. Es dient nicht nur der Erhaltung, Wiederherstellung und Förderung von Gesundheit, sondern trägt mit den direkt und indirekt rund vier Millionen sozialversicherungspflichtig Beschäftigten und den von ihnen erbrachten Dienstleistungen zur volkswirtschaftlichen Wertschöpfung und vor allem zu wünschenswerten Wirkungen auf den Arbeitsmärkten bei. Unter neuen Finanzierungsmodalitäten und unter wettbewerblichen Bedingungen können steigende Umsätze, Beschäftigungszahlen und Gewinne unter gesamtwirtschaftlichen Aspekten auch im Gesundheitswesen als Erfolgsmeldung angesehen werden. Das sich abzeichnende strukturelle Wachstum verbunden mit dem zunehmenden Anteil älterer Menschen lässt neue Berufe entstehen und öffnet neue Tätigkeitsfelder. Wohlfahrt, Wachstum und Beschäftigung sind die tragenden Zieldimensionen und Wirkungen des Gesundheitswesens.3
Der Tenor der gesundheitspolitischen Diskussion wird dagegen weiterhin überwiegend vom Gesundheitswesen als Teil des sozialen Sicherungssystems bzw. der Sozialversicherung sowie aufgrund der für das deutsche Sozialsystem typischen Finanzierung durch Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge als Kostenfaktor und damit als belastend für die Entwicklung des Arbeitsmarktes und letztlich der Volkswirtschaft insgesamt bestimmt. So stellt etwa das Gutachten „Wirtschaftliche Aspekte der Märkte für Gesundheitsdienstleistungen“ des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Oktober 2001 fest:
Ausgaben für Gesundheit werden in der wirtschaftspolitischen Debatte vor allem als Kostenfaktor angesehen. Als besonders nachteilig wird häufig auf eine permanent ansteigende Ausgabenentwicklung verwiesen. Die rückblickende Betrachtung dieser Entwicklung in Deutschland scheint dies zu bestätigen, sind doch die Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), aber auch die Prämien für die privaten Krankenversicherungen, in der Vergangenheit kräftig gestiegen.4
Doch dieser Begriff des am Sozialversicherungsrecht orientierten Gesundheitssystems oder Gesundheitswesens im engeren Sinne hat zu keiner Zeit den gesamten Markt abgedeckt, auf dem Produkte und Dienstleistungen angeboten und nachgefragt werden, die unmittelbar oder mittelbar mit der Gesundheit in Beziehung stehen. So hat es zu allen Zeiten Gesundheitsleistungen gegeben, die von Verbrauchern privat nachgefragt und aus der eigenen Tasche finanziert wurden.
Die erweiterte Sichtweise des Gesundheitsmarktes betont die wachstumsfördernden Aspekte des Gesundheitsmarktes und seine starke Verflechtung mit anderen Branchen der Volkswirtschaft:
Gesundheitsleistungen können in doppelter Weise zum Wachstum beitragen. Zum ersten kann man den Beitrag der Gesundheitsleistungen zum Wachstum anhand ihres Anteils am BIP oder am Anteil der Beschäftigten, die in dem Gesundheitsbereich tätig sind, betrachten. Zum zweiten ist zu berücksichtigen, dass das Humankapital ein wichtiger Faktor ist, der das Wachstum indirekt beeinflusst. Neben der Bildung, die im Humankapital inkorporiert ist, ist für den wirtschaftlichen Produktionsprozess die körperliche Leistungsfähigkeit bestimmend. Diese Leistungsfähigkeit wird durch Gesundheitsdienstleistungen gefördert; eine dauerhaft anhaltende Produktivität setzt neben der Wissensaufnahme und Wissensverarbeitung auch die körperliche Leistungsfähigkeit voraus.5
Ergänzend sollte hier die psychische Leistungsfähigkeit hinzugefügt werden.
Hilbert et. al. definierten 2002 die Gesundheitswirtschaft wie folgt:
Der erweiterte Gesundheitssystembegriff betrachtet darüber hinaus die Verflechtungen der Gesundheitswirtschaft mit anderen Wirtschaftssektoren. Darüber hinaus betont das erweiterte Verständnis der Gesundheitswirtschaft den produktiven Charakter gesundheitsbezogener Dienstleistungen, der in der gesundheits- und sozialpolitischen Debatte der letzten Jahre – bis auf wenige Ausnahmen – zu wenig Berücksichtigung fand.
Dem entsprechend rechnen die Autoren in dem von ihnen entwickelten Zwiebelmodell „neben den personalintensiven Dienstleistungen im Bereich der ambulanten und stationären Gesundheitsversorgung auch die kapital- und technologieintensive Vorleistungs- und Zulieferindustrien sowie die Randbereiche und Nachbarbranchen mit ausgeprägten gesundheitlichen Bezügen“ zur Gesundheitswirtschaft.
Auch das Statistische Bundesamt ist mittlerweile im Rahmen der Gesundheitsberichterstattung zu einer Betrachtungsweise übergegangen, die dieser neuen Dimension des Gesundheitsmarktes Rechnung trägt, auch wenn der Gesundheitsmarkt nach wie vor nicht im eigentlichen Sinne Bestandteil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechung des Amtes ist. In der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes umfassen die in der Gesundheitsberichterstattung erfassten Ausgaben für Gesundheit „die finanziellen Aufwendungen einer Gesellschaft für den Erhalt und die Wiederherstellung der Gesundheit ihrer Mitglieder“8. Nach der auf dieser Abgrenzung beruhenden Gesundheitsausgabenrechnung beliefen sich die Ausgaben für Gesundheitsleistungen in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 2005 auf insgesamt 239,4 Milliarden Euro oder 10,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP)9. Pro Kopf der Bevölkerung beliefen sich die Gesundheitsausgaben im Jahr 2005 auf 2.902 Euro10. Zu den Ausgaben für Gesundheitsleistungen traten noch insgesamt 60,8 Milliarden Euro Einkommensleistungen hinzu. Darunter versteht das Statistische Bundesamt Transferzahlungen wie Krankengelder, vorzeitige Rente bei Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit sowie Entgeltfortzahlungen11. In der Gesundheitswirtschaft in der Abgrenzung des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2006 insgesamt 4,31 Millionen Beschäftigte oder 10,9 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland tätig12. Rund 53,4 Prozent dieser Beschäftigten übten einen Gesundheitsdienstberuf (insbesondere Ärzte/Ärztinnen, Arzthelfer/innen und Krankenpflegepersonal) und 7,9 Prozent einen sozialen Beruf (insbesondere Altenpfleger/innen) aus13.
Den gleichen Begriff für die Abgrenzung des Gesundheitsmarktes wie das Statistische Bundesamt legte auch die Abteilung Economic Research der Dresdner Bank in ihrem Trendreport „Gesundheitsmarkt – ein Wachstumsfaktor?“ zugrunde, wies aber ausdrücklich darauf hin, dass dies für ein umfassendes Verständnis des Gesundheitsmarktes immer noch ein relativ enger Begriff sei: „Legt man die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) für Gesundheit zugrunde, dann ergibt sich eine weitere Abgrenzung für den Gesundheitsmarkt als nach der Gesundheitsausgabenrechnung. Denn die WHO versteht unter Gesundheit „den Zustand des vollständigen körperlich, mentalen und sozialen Wohlbefindens und nicht alleine die Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen“. Danach lässt sich der gesamte Wellness-Bereich mit zum Gesundheitsmarkt zählen.“14
Einfluss auf den deutschen Gesundheitsmarkt gewinnt zunehmend auch die Verflechtung mit den Gesundheitsmärkten anderer Staaten sowie die Freizügigkeitsregelungen des europäischen Binnenmarktes. Solche Verflechtungen sind im Bereich der Vorleistungs- und Zulieferermärkte seit langem selbstverständlich, nicht aber in den Kernbereichen der medizinischen und pflegerischen Versorgung. Zum Ausdruck kommen diese Entwicklungen etwa in den verstärkten Bemühungen deutscher Krankenhäuser, ausländische Patienten zu behandeln, oder darin, dass deutsche gesetzliche Krankenkassen im EU-Ausland eigene Geschäftsstellen an solchen Stellen errichten, an denen sich normalerweise viele deutsche Urlauber aufhalten oder an denen deutsche Rentner dauerhaft ihren Wohnsitz nehmen. Auch die gesetzlichen Festlegungen der jüngsten Gesundheitsreform, nach denen GKV-Versicherte ambulante medizinische Leistungen im EU-Ausland ohne die vorherige Genehmigung ihrer Krankenkasse in Anspruch nehmen können und ein Recht auf die Erstattung der Kosten bis zur Höhe der in Deutschland erstattungsfähigen Kosten haben, oder das Recht der GKV-Kassen, Verträge über Leistungserbringung im EU-Ausland für deutsche Versicherte abzuschließen, zeigen hier die Entwicklungsrichtung auf.
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