Zielgruppen-Marketing
Die Dynamik des Konsumentenverhaltens dokumentiert sich in einer zunehmenden Polarisierung und Differenzierung der Konsumwünsche. Als ein zentraler Verhaltens-Megatrend der neunziger Jahre läßt sich die Individualisierung der Bedürfnisse identifizieren, die neue Anforderungen an die Gestaltung des Marketing stellt. Gefordert ist ein Zielgruppen-Marketing (target marketing), das durch eine konsequente Zielgruppenausrichtung aller marktbezogenen Aktivitäten Gewinn- und Kostensenkungspotentiale ausschöpft und dadurch einen nachhaltig positiven Beitrag zum Unternehmenserfolg leistet. Teilaufgaben eines derartigen Zielgruppen-Marketing sind Marktsegmentierung, Segmentbewertung und Zielgruppenauswahl, Produktpositionierung, treffsichere Ansprache der Zielgruppen sowie eine zielgruppengerechte Gestaltung der Organisation. Diese Bestandteile stellen z. T. Standardtechniken der marktorientierten Unternehmensführung dar, beinhalten jedoch als integrierte Konzeption die bewußte Abkehr vom „Massenmarketing“ oder „Produktvarianten-Marketing“ und greifen konsequent auf neuere Techniken der Marktsegmentierung und des Database-Marketing zurück.
Durch die Marktsegmentierung wird zunächst eine Aufteilung des Gesamtmarkts in möglichst homogene, gegenseitig heterogene Teilmärkte verstanden. Als Segmentierungskriterien werden soziodemographische (z. B. Einkommen, Familienstand, Region) und psychographische Kriterien (Lebensstil, Persönlichkeitsinventare, Einstellungen) sowie Kriterien des beobachtbaren Kaufverhaltens (Preisverhalten, Mediennutzung, Markenwahl) herangezogen. Nach einer Segmentierung des relevanten Marktes ist eine Direktansprache bestimmter Segmente über Adressendienste möglich. Im Investitionsgüterbereich bietet sich zunächst eine Typologisierung der Abnehmer auf Unternehmensebene an (Branche, Bestellhäufigkeit, Produktprogramm), an die sich eine Erfassung der Buying Center-Merkmale (Einstellungen, Erwartungen) anschließt.
Im nächsten Schritt erfolgt eine Bewertung der verschiedenen Segmente, die als Entscheidungsgrundlage für die Auswahl der Zielgruppe(n) dient. Beispiele für externe Bewertungskriterien sind vor allem Wachstumspotential (Umsatz-/Absatzschät-zungen), Segmentgröße und Wettbewerbsintensität im betreffenden Segment, aus denen die intern erforderlichen Ressourcen zur Segmentbearbeitung abgeleitet werden. Die Zielgruppenauswahl wird anhand von Kosten/Umsatz-Relationen getroffen und läßt sich durch die Erstellung eines Portfolios erleichtern. Die Dimension „Segmentattraktivität“ enthält die obengenannten externen Bewertungskriterien, während sich die „relative Wettbewerbsstärke“ aus der relativen Teilmarktposition, den Unternehmensressourcen sowie der relativen spezifischen Kompetenz ergibt.
Die Daten der ausgewählten Zielgruppe(n) werden daraufhin in eine Datenbank übertragen, die für das Zielgruppen-Marketing von entscheidender Bedeutung ist. Die erfaßten Adressen sind zunächst um Profildaten zu ergänzen, die aus der Marktsegmentierung stammen. Im Rahmen der Produktpositionierung schließt sich eine Analyse der Zielgruppenbedürfnisse an, die Basis für die Erstellung einer zielgruppenadäquaten Problemlösungsidee ist. Um ein individuelles Angebot für verschiedene Zielgruppen bei vertretbaren Kosten für die Differenzierung zu gewährleisten, bietet sich eine Programmgestaltung nach dem Baukastenprinzip an. Elemente dieses Baukastens können in unterschiedlichen Kombinationen zu Leistungsbündeln zusammengestellt und auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten werden. Mit dem Austausch von einzelnen Baukastenelementen kann relativ schnell auf veränderte Konsumpräferenzen oder Innovationen der Wettbewerber reagiert werden. Durch die Abstimmung der einzelnen Marketing-Mix-Bereiche ist ein integriertes Zielgruppenkonzept anzustreben, das die wesentlichen Nutzenmerkmale in möglichst widerspruchsfreier Form in sich vereinigt und bei der Zielgruppe ein dominantes, gegenüber dem Wettbewerb differenziertes Image schafft.
Die Produktpositionierung bildet die Grundlage für eine treffsichere Ansprache der Zielgruppe(n), die mit den Werbemitteln und -medien der Direktkommunikation durchgeführt wird. Zu unterscheiden sind „direkte“ Werbemedien (z. B. Werbesendungen, Telefon, Vertreterbesuch, neue Medien) und Direktwerbung mit Rückantwortmöglichkeit (z. B. Couponanzeigen, Direct-Re-sponse-TV- und Funkspots, Produktbeilagen). Aus diesen Informationsquellen lassen sich die Profildaten der Datenbank ergänzen. Darüber hinaus werden als Aktionsdaten zielgruppenspezi-fische Kommunikationsaktivitäten wie beispielsweise Außendienstbesuche und Telefonmarketing erfaßt. Reaktionen der Kunden bzw. Interessenten in Form von Informationsanforderungen und Bestellungen werden als Reaktionsdaten erfaßt. Eine derartig aufgebaute Datenbank enthält detaillierte Informationen, die eine individualisierte Zielgruppenansprache ermöglichen und dadurch die Bereitschaft zur Informationsaufnahme erhöhen, eine Tatsache, die vor dem Hintergrund der Informationsüberlastung von entscheidender Bedeutung ist. Ferner können aus der Datenbank als zentralem Informationsinstrument Veränderungen des Konsumverhaltens frühzeitig abgelesen werden und den Ausgangspunkt für eine Veränderung des Leistungsprogramms oder eine erneute Marktsegmentierung bilden.
Die organisatorische Einbindung des Zielgruppen-Marketing in bestehende Strukturen erfordert klare Zuständigkeiten für Marktsegmente bzw. Einzelkunden. Im business-to-business-Be-reich sind derartige Kompetenzen bei Key-Account-Managern zu finden, während die Idee eines endverbrauchergerichteten Zielgruppen-Managers relativ neu ist. Je nach Größe der Zielgruppen ist die Zusammenfassung mehrerer Segmente unter die Zuständigkeit eines einzelnen Zielgruppenmanagers denkbar, der die obengenannten Teilaufgaben als kontinuierlichen Prozeß auffaßt und koordiniert. Eine direkte Ergebniskontrolle anhand der Segmentdeckungsbeiträge ermöglicht die Einrichtung eines profit centers. Beispiele für derartige Organisationen lassen sich bereits bei Versandunternehmen oder Finanzdienstleistern finden. Die Auswirkungen des Zielgruppen-Marketing auf die Erfolgsgröße „Deckungsbeitrag“ spalten sich in die Erfolgskomponenten Preis, Menge und Kosten auf. Den positiven Erfolgswirkungen sind die mit einem Zielgruppen-Marketing verbundenen Kosten insbesondere für die Marktsegmentierung und den Datenbankaufbau und die -pflege gegenüberzustellen. Eine Entscheidung über die Einführung des Zielgruppen-Marketing im Unternehmen hat unter Berücksichtigung des situativen Kontextes zu erfolgen.
Grenzen des Zielgruppen-Marketing ergeben sich zum einen aus der unterschiedlichen Geeignetheit für verschiedene Branchen. Aufgrund einer erforderlichen Mindest-Interaktion zwischen Konsument und Produzent eröffnet insbesondere die Dienstleistungs- und Investitionsgüterbranche sowie der beratungsintensive Teil des Konsumgütergeschäfts ein breites Anwendungsfeld für das Zielgruppen-Marketing. Zum anderen sind gesetzliche Restriktionen und Widerstände von Konsumenten bei der systematischen Erfassung persönlicher Daten zu beachten. Die Einführung von Kundenkarten bietet in diesem Zusammenhang einen Ansatzpunkt zur Überwindung von Abnehmerwiderständen. Zu beachten ist jedoch, dass bereits eine Vielzahl von Kundenkarten in verschiedenen Bereichen etabliert ist.
Unter Berücksichtigung der Grenzen bietet Zielgruppen-Marketing als integriertes Gesamtkonzept insgesamt die Chance, durch mehr Kundennähe einen nachhaltigen Beitrag zur Sicherung des Unternehmenserfolgs zu leisten.
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