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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Siedlungsabfallwirtschaft, europäische

Den nachfolgenden Ausführungen sei ein Hinweis vorausgeschickt: Infolge mangelnder Harmonisierung abfallwirtschaftlicher Termini und der unvollständigen Datenerfassung ist es nach wie vor schwierig, Entwicklungen festzustellen bzw. die Effektivität der nationalen bzw. europäischen Abfallpolitiken zu beurteilen. Des-weiteren bieten Statistiken immer Freiräume, eigene Standpunkte zu stärken. Sie sind daher mit Vorsicht zu betrachten, v.a. dann, wenn kaum alternatives Datenmaterial vorliegt, das als Referenzwert dienen kann. Hinzu kommt, daß die Veröffentlichung der Daten stets mit einem time-lag verbunden ist. Dennoch liegen für den Bereich der Siedlungsabfälle vergleichsweise zuverlässige Daten vor. 1. Siedlungsabfallaufkommen Das absolute Siedlungsabfallaufkommen innerhalb der EU ist von 114 Mio. Tonnen im Jahr 1980 stetig auf ein Niveau von 153 Mio. Tonnen im Jahr 1995 angestiegen. Dies entspricht einem absoluten Anstieg der Abfallmenge um circa 34% in den Jahren 1980-1995. Betrachtet man Fünf-JahresZeiträume, so ist 1980-1985 ein Anstieg von 4,5%, 1985-1990 von 16% und 1990-1995 in Höhe von 11% zu verzeichnen. Damit ergibt sich eine durchschnittliche Wachstumsrate von circa 10%. Steigende Siedlungsabfallmengen sind mit Ausnahme der Bundesrepublik Deutschland in jedem MS festzustellen. Dabei muß allerdings für Deutschland beachtet werden, daß außerhalb des öffentlichen Sektors gesammelte Materialien, wie die durch das Duale System Deutschland (DSD) gesammelten Verpackungen, im Jahr 1995 nicht mehr von dieser Statistik erfaßt waren. 1990 wurden diese noch in die Statistik mitaufgenommen. Dennoch läßt sich für Deutschland in den letzten Jahren ein Rückgang des Abfallaufkommens feststellen. Ein Ansteigen der Abfallmenge mit Ausnahme von Deutschland spiegelt sich auch bei Betrachtung der Entwicklung der Abfallmengen pro Kopf wider. Innerhalb der Europäischen Union liegt die durchschnittliche Siedlungsabfallmenge pro Kopf bei 430 kg. Die Spannbreite reicht von 320 kg/Kopf in der Bundesrepublik Deutschland bis hin zu beinahe 600 kg/Kopf in den Niederlanden. 2. Entsorgungsverfahren Als Entsorgungswege stehen die Deponierung, die Verbrennung, das -Recycling, das Kompostieren und anderweitige Verfahren, z. B. mechanistisch-biologische Verfahren, zur Verfügung. Die folgende Abbildung 4 zeigt auf, zu welchen Prozentsätzen dievorgenannten Verfahren innerhalb der EU durchschnittlich Anwendung finden. Mit großem Abstand steht an erster Stelle die Deponierung (66%), gefolgt von der Verbrennung (18%). Recycling, Kompostierung und sonstige Verfahren erreichen zusammen gerade einmal 16% (Zeitraum 1991-1995). Die Anteile haben sich im Zeitverlauf kaum verändert (vgl. Abb. 5). Als Gründe hierfür werden die verschärften Umweltanforderungen und Kontrollen sowohl bei Deponien als auch bei Müllverbrennungsanlagen und die bei beiden auftretenden Probleme einer Standortfindung für Neuanlagen bzw. -deponien gesehen. Zwischen den EU-Ländern bestehen große Unterschiede sowohl hinsichtlich administrativer und rechtlicher Regelungen als auch in der technisch-organisatorischen Entsorgungsstruktur. Verfügen die nördlichen Länder noch über anspruchsvolle gesetzliche Regelungen hinsichtlich der technischen Ausgestaltung von Entsorgungsanlagen und deren Überwachung sowie über ein dichtes Netz von Deponien, Behandlungs-, Verbrennungs- und teilweise Recyclinganlagen, so bestehen weit weniger gesetzliche Regelungen und Entsorgungseinrichtungen in den südeuropäischen Ländern, wie Spanien, Portugal, Italien und Griechenland. Nach wie vor dominieren die Verfahren der Deponierung und der Verbrennung. So kann man Irland, Griechenland, Portugal, Spanien, Großbritannien und Italien als Deponierer bezeichnen (Deponierungsquote 70-95%), hingegen Dänemark, Frankreich, Luxemburg und Schweden als Verbrenner (Verbrennungsquote 41-58%). Die übrigen Länder bewegen sich zwischen diesen beiden Extrempolen. Über 90% der Verbrennungsanlagen in Österreich, Deutschland, Dänemark, Luxemburg, den Niederlanden und Schweden nutzen den Abfall zur Energierückgewinnung. In den anderen Ländern liegt der Anteil unter 40%. Länder mit einem relativ hohen Anteil des Recyclings sind Luxemburg, Österreich, Finnland und Deutschland. Danach liegt in Deutschland der Anteil der Verbrennung, Kompostierung und sonstiger Verfahren auf europäischem Durchschnittsniveau, der Anteil der Deponierung liegt mit 52% deutlich unter dem europäischen Durchschnittswert. Angaben Billigmanns nach beträgt der Anteil der Verbrennung in Deutschland 35%. Demzufolge würden sich dann anderweitige Relationen ergeben. 3. Abfallvermeidung, -verwertung und -beseitigung Nachfolgend soll die Entwicklung der Abfallvermeidung, Abfallverwertung und -Abfallbeseitigung beschrieben werden. 3.1. Abfallvermeidung Die Abfallvermeidung an der Quelle ist oberstes Ziel der Abfallstrategie der Europäischen Union. Dies sehen die MS ebenso. Maßnahmen wie die Entwicklung umweltverträglicher Technologien und Produkte, die Substitution von Materialien durch umweltfreundlichere Werkstoffe, die Beeinflussung der Konsummuster, etc. sind europaweit anzutreffen, es liegen aber so gut wie keine Informationen über deren Effektivität vor. 3.2. Abfallverwertung Die Verwertung ist bei denjenigen Werkstoffen relativ gut ausgebaut, wo zum einen über die Zeit konstant ausreichende Mengen entstehen und zudem ein entsprechender, stabiler Absatzmarkt vorhanden ist. Dies ist bspw. für Glas, Papier/Pappe, Schrott der Fall. So erklären sich die seit Jahren hohen Recyclingraten. Der EU-Durchschnitt bei Papier liegt 1995 bei etwa 43%, 1990 waren es etwa 39%. Bei der Verwertung von Glas ergibt sich ein ähnliches Bild. Der EU-Durchschnitt liegt bei 53% für das Jahr 1995 bzw. 38% für 1990. Ferner belegen die hohen Verwertungsraten, daß Umweltschutz mit Hilfe der Marktkräfte erreicht werden kann, sofern die Rahmenbedingungen hierfür stimmen. Mit dem Ziel der Schaffung von Märkten für Recyclingprodukte versucht die EU in ihrer überprüften Abfallwirtschaftsstrategie von 1997, diesen Erfolg auch auf andere Bereiche zu übertragen. Anders sieht es bei der Verwertung von geringwertigen Abfällen wie Verpackungsmaterialien oder bei komplexen Produkten wie Elektronikschrott aus. Die Verwertung sieht sich großen Problemen gegenüber: fehlendes Sammelsystem, zu geringe Menge, recyclingunfreundliche Konstruktion der Produkte, fehlende Technologien, zu hohe Kosten des Recycling und fehlende Rahmenbedingungen, die ein Recycling begünstigen. 3.3. Abfallbeseitigung Die Abfallbeseitigung erfolgt mittels der billigsten Entsorgungsoption. Dies ist mit Ausnahme von Schweden für alle Länder die Deponierung. Die höheren Kosten der Verbrennung resultieren u. a. aus den scharfen Emissionsgrenzwerten für Verbrennungsanlagen, die wiederum teure Verbrennungstechnologien erfordern. Zudem sind bei den Deponierungskosten selten Deponienachsorgekosten inbegriffen, was zu den geringeren Kosten der Deponierung führt. Nachfolgende Abbildung 10 gibt einen Überblick über die Kosten der Beseitigung von Siedlungsabfällen in ausgewählten EU-Ländern. Demnach ergibt sich ein durchschnittlicher Preis für die Verbrennung von 39 US$/t und für die Beseitigung von 77 US$/t. Extrempunkte bilden die Kosten in Spanien (30 USS/t für die Verbrennung, 18 US$/t für die Beseitigung) und Deutschland (130 US$/t für die Verbrennung und 58 US$/t für die Beseitigung). Dies entspricht einem Unterschied von 433% für die Verbrennung und 322% für die Beseitigung. Die Verbrennung ist durchschnittlich doppelt so teuer wie die Deponierung. Diese deutlichen Preisunterschiede begünstigen folglich umfangreiche Abfalltransporte. Eine Verbringung lohnt sich solange, wie die entstehenden Transaktionskosten (das sind in erster Linie Transportkosten) die Preisdifferenz zwischen inländischer und ausländischer Entsorgung nicht übersteigen. Im ökonomischen Kalkül limitieren die Transaktionskosten den geographischen Verbringungsradius, sofern keine anderweitigen Faktoren, wie Verbote oder ethische Aspekte, eine Verbringung unterbinden. Bei den derzeitig geringen Transportkosten und den herrschenden großen Preisunterschieden, ist ein innereuropäischer Abfallexport aus einzelwirtschaftlicher Sicht geradezu zwingend. Gerade die im Vergleich zum angrenzenden Frankreich hohen Preise in Deutschland schaffen einen starken ökonomischen Anreiz für deutsche Unternehmen, ihren Abfall zu exportieren. Beachtenswert ist, daß der Anteil der Abfälle, die zur Verwertung, gegenüber denen, die zur Beseitigung bestimmt sind, etwa das Sechsfache beträgt. 3.4. Organisation der Siedlungsabfallwirtschaft Die Verantwortung für die Siedlungsabfallwirtschaft liegt in allen europäischen Ländern beim öffentlichen Sektor. Dieser stellt größtenteils die Leistungen zur Verfügung, wobei bis auf Griechenland der private Sektor in die Leistungsbereitstellung miteinbezogen ist. Die Anteile des privaten und öffentlichen Sektors unterscheiden sich von Land zu Land. Hohe private Anteile haben bspw. Deutschland, Spanien, Frankreich und Italien. Vorherrschendes Privatisierungsverfahren ist die Auftragsvergabe an private Unternehmen; aber auch der Verkauf der Entsorgungseinrichtungen an Private gekoppelt mit einem langfristigen Entsorgungsvertrag, sowie Joint Ventures oder Public Private Partnerships sind geläufig. 3.5. Instrumente Wie das Abfallproblem angegangen werden soll, darüber bestehen in den MS unterschiedliche Vorstellungen und Instrumente. Gewöhnlich werden mehrere Instrumente unabgestimmt nebeneinander angewendet. Es kommt ein breites Spektrum sowohl ordnungsrechtlicher (Gebote und Verbote) als auch ökonomischer und steuerlicher Art (Gebühren, Steuern) zur Anwendung. Ferner existieren freiwillige Vereinbarungen. Integrierte Abfallstrategien hingegen werden erst seit kurzer Zeit angewandt. Abfallwirtschaftspläne und das Konzept der Produktverantwortung existieren in sämtlichen MS der EU. In Art. 7 der Abfallrahmenrichtlinie wird dies von den MS gefordert. Lediglich für Portugal liegen für den Bereich der Abfallwirtschaftspläne keine Angaben vor. Ähnlich sieht es bei der Verankerung der Abfallvermeidung als vorrangiges Ziel der Abfallwirtschaft aus. Alle Länder mit Ausnahme von Italien, Spanien und Portugal haben den Vorrang der -Abfallvermeidung festgeschrieben. In Deutschland findet sich dieser in § 1 KrW-/AbfG. Hinsichtlich steuerlicher Instrumente gibt es breite Unterschiede. Manche Länder verfügen über dieses Instrument überhaupt nicht (z. B. Griechenland, Schweden, Spanien), in Deutschland gibt es Abfallsteuern nur in einigen Bundesländern und Gemeinden, und in den übrigen MS werden unterschiedliche Typen (Deponie-, Abfallerzeugungs- und Verpackungssteuer) eingesetzt (z. B. Dänemark, Italien, Großbritannien). Weiterführende Literatur: Billigmann, F. R.: Thermische Restabfallbehandlung in Deutschland und in anderen EU-Mitgliedstaaten sowie in der Schweiz, in: Wasser & Boden, Heft 6, o. 0. 1998; European Environment Agency (Hrsg.): Europe\'s Environment. The Second Assessment, Kopenhagen 1998; Lankes, W.: Der Entsorgungsmarkt in Europa. Eine vergleichende Betrachtung, in: Gutke, K. (Hrsg.): Umweltschutz, wie? Druckschrift zu den 2. Kölner Abfalltagen. Abfallwirtschaft im Binnenmarkt, Köln 1993; Public Services Privatisation Research Unit (Hrsg.): The municipal waste management industry in Europe. Issues, trends and multinationals, London o. J.; Rat von Sachverständigen für Umweltfragen: Umweltgutachten 1998, Stuttgart 1998.



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