Zweitmeinung (bei Arzneimitteln)
In der Gesundheitswirtschaft:
Englisch pre-authorization oder prior authorization: Einholung einer Expertise bzw. Beurteilung durch einen zweiten Fachmann durch den Erstverordner, im Gesundheitswesen in der Regel durch einen speziell dafür bestimmten Arzt (§ 73d SGB V). Manchmal wird fälschlicherweise die englische Übersetzung second opinion angeboten. Damit ist aber gemeint, dass sich der Patient alternativ bei einem anderen Arzt eine Zweitdiagnose einholt oder nach alternativen Therapien nachfragt.
Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz ist für die Verordnung von bestimmten Arzneimitteln die Einholung einer Zweitmeinung bei einem fachlich besonders ausgewiesenen Arzt eingeführt worden. Spezialpräparate mit hohen Jahrestherapiekosten sowie Arzneimittel, bei denen erhebliche Risiken durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen, Interaktionen oder nicht indikationsgerechte Anwendung bestehen können, werden einem gesonderten Verordnungsverfahren unterzogen. Die Regelung bezieht sich insbesondere auf gentechnisch entwickelte und biotechnologisch hergestellte Arzneimittel.
Verordnungen im Zuge eines Zweitmeinungsverfahrens werden von einer Wirtschaftlichkeitsprüfung als Praxisbesonderheit ausgenommen. Die Vorgaben zur Sicherung von Qualität und Wirtschaftlichkeit für die Anwendung dieser Arzneimittel sowie für die Qualifikations- und Dokumentationsanforderungen, die an die Ärzte gerichtet werden, beschließt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) im Rahmen der Arzneimittelrichtlinien. Die Bestimmung der besonders qualifizierten Ärzte erfolgt durch die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Verbänden der Ersatzkassen, sofern die Zweitmeinungsärzte ihre Beziehungen zur pharmazeutischen Industrie einschließlich Art und Höhe von Zuwendungen offenlegen. Können sich KVen und Kassenverbände nicht einigen, so können nach angemessener Frist die Krankenkassen nach vorheriger Ausschreibung durch Vertrag die Wahrnehmung der Aufgabe auf bestimmte Ärzte beschränken. Bis 31. Dezember 2008 sollen die Voraussetzungen zur Umsetzung des Zweitmeinungsverfahrens geschaffen sein.
Mit dem Zweitmeinungsverfahren können zwei gänzlich unterschiedliche Ziele verfolgt werden: Therapiesicherheit und Versorgungsqualität einerseits, Kostensenkung durch restriktive Verordnung von Innovationen andererseits. Offen bleibt bis zur Regelung durch den G-BA die Frage, aus welchem Budget die Honorare für Zweitmeinungsärzte finanziert werden sollen. Außerdem ist noch das Haftungsrecht bei unterschiedlichen Therapievorschlägen zu klären. Zweitmeinungsärzte dürften eigentlich nur haftungsrechtlich belangt werden, wenn sie die Patienten auch persönlich untersuchen können und nicht nach Aktenlage entscheiden. Müssen die Patienten jedoch persönlich beim Zweitmeinungsarzt vorstellig werden, verzögert sich die notwendige Arzneimitteltherapie. Zeitkritische Erkrankungen wie bösartige Neubildungen wären dann von einem Zweitmeinungsverfahren auszuklammern. Sinn hat ein Zweitmeinungsverfahren ohnehin nur bei Erstdiagnosen und Erstverordnungen. Ist ein Patient schon auf eine bestimmte Therapie eingestellt (aufgrund einer chronischen Erkrankung oder einer Therapie im stationären Bereich), wäre es unzumutbar, die bis dato erfolgreiche Therapie durch ein Zweitmeinungsverfahren infrage zu stellen.
Mit dem Zweitmeinungsverfahren kann sich auch ein neues Wettbewerbsverhältnis innerhalb der Ärzteschaft herausbilden: Erstverordner sind in ihrer Therapiefreiheit eingeschränkt und das Vertrauensverhältnis Erstverordner – Patient ist potenziell gefährdet, wenn der Arzt erst eine Erlaubnis zur Therapie einholen muss. Dies könnte dazu führen, dass die Patienten in Zukunft gleich einen Zweitmeinungsarzt aufsuchen – was nach Gesetzestext und -begründung möglich wäre – um langwierige Bewilligungsprozesse zu vermeiden. Zudem stellt sich angesichts der regionalen Umsetzung auf Ebene der KVen die Frage, wie bis zur Einführung im Januar 2009 eine Flächendeckung gesichert und eine möglichst einheitliche Bewilligungspraxis erreicht werden kann. Es sollte nicht vom Zufall des Wohnorts der Patienten abhängen, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Zugang zu Innovationen möglich ist.
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