Interaktives Marketing
Zur Abgrenzung und Systematisierung des Dienstleistungsbegriffes existieren in der Literatur verschiedene Ansätze. Wird eine Dienstleistungstypologie zugrunde gelegt, lassen sich als Dimensionen zunächst der Immaterialitätsgrad und der Integrationsgrad identifizieren. Um weiterführende Aussagen zur Leistungserstellung von Dienstleistungsunternehmen zu treffen, erweist sich eine weitere Zerlegung der Dimension „Integrationsgrad“ in die Teildimensionen Interaktionsgrad und Individualisierungsgrad als zweckmäßig. Die Einbeziehung des externen Faktors in den Lei-stungserstellungsprozeß im Sinne des Interaktionsgrades steht im Mittelpunkt des interaktiven Marketing.
Die konstitutiven Merkmale einer Dienstleistung haben Einfluß auf das Informationsbeschaffungsverhalten von Konsumenten. Neben einer Orientierung an Schlüsselfaktoren („cues“) nimmt Mund-zu-Mund-Propaganda eine zentrale Bedeutung in dieser Phase des Kaufprozesses ein. Dienstleistungsanbieter sind daher in besonderem Maße auf positive Mund-zu-Mund-Propaganda der Konsumenten angewiesen, aus der mögliche Weiterempfehlungen an potentielle Kunden resultieren. In einer Untersuchung von File, Judd und Prince wird die Interaktion zwischen Anbieter und Nachfrager als ein zentraler Einflußfaktor der Mund-zu-Mund-Propaganda identifiziert. Als Meßkonstrukt dient der Grad der Partizipation, d. h. in welchem Maß ein Konsument aus eigener Sicht an der Leistungserstellung teil hat. Auf Anbieterseite sind daher Bestrebungen im Sinne eines interaktiven Marketing zu beobachten, das die Gestaltung des Inhalts, der Dauer und der Qualität der Interaktion umfaßt.
Die Untersuchung bezieht sich auf den Bereich der Vermögens- und Anlageberatung, die sich durch einen hohen Grad an Involvement und Komplexität, Bewertungsprobleme sowie durch ein hohes wahrgenommenes Risiko auszeichnet. Der Untersuchung wurde die Hypothese zugrunde gelegt, dass eine erhöhte Partizipation die Zufriedenheit steigert und infolge dessen zu positiver Mund-zu-Mund-Propaganda führt. Diese äußert sich wiederum in Weiterempfehlungen an potentielle Kunden, die innerhalb von sechs Monaten zu aktuellen Kunden werden.
Mittels Faktoranalyse werden 4 Variablen identifiziert, die die höchste Faktorladung zum Faktor „Partizipation“ aufweisen: Tangibilität, Empathie (Ermutigung des Kunden zur Preisgabe von Informationen), Anwesenheit und Bedeutsamkeit der Interaktion für die Leistungserstellung. Die Antworten werden in den Kategorien hoch, mittel und niedrig zusammengefaßt. Demnach steigt mit dem Grad der Partizipation die absolute Anzahl von Empfehlungen, die zur Gewinnung neuer Kunden führen. Ein hoher Partizipationsgrad resultiert durchschnittlich in der Gewinnung von zwei bis drei Neukunden. Darüber hinaus kommt der Bedeutsamkeit der Interaktion für die Leistungserstellung bei einem hohen Partizipationsgrad eine wichtige Bedeutung zu.
Um aus den Untersuchungsergebnissen Implikationen für die Gestaltung des Marketing i.S. eines interaktiven Marketing ableiten zu können, ist zunächst eine Analyse der erbrachten Dienstleistung im Hinblick auf Involvement und Komplexität durchzuführen. Auf der Grundlage einer Einschätzung der Bedeutung der Mund-zu-Mund-Propaganda für die jeweilige Dienstleistung sind individuelle Kunden-Partizipationspläne zu entwickeln.
Ansatzpunkte zur Erhöhung der Interaktion durch Partizipation ergeben sich aus der Beeinflussung der Variablen, dem Mitarbeitertraining und der direkten Kundenansprache verbunden mit der Bitte um Weiterempfehlung. Die Tangibilität einer Dienstleistung läßt sich beispielsweise durch Aushändigung von Informationsmappen erhöhen, die Zeitungsartikel und Berichte unabhängiger Institutionen über die eigene Arbeit enthalten und auf diese Weise das Vertrauen von aktuellen und potentiellen Kunden in die Leistungsfähigkeit des Dienstleisters erhöhen. Weiterhin erweist sich die Verwendung von Referenzpersonen bzw. -fällen als effektive Methode, um die Tangibilität zu steigern. Durch die Schilderung von Kundenbeziehungen in Form von Fallstudien wird die Transparenz der Dienstleistung erhöht und den potentiellen Kunden das Gefühl eines besseren Informationsstandes vermittelt. Auf diese Weise läßt sich das bei Dienstleistungen höhere wahrgenommene Risiko in der Vorkaufsphase reduzieren. Werden im Verlauf der Dienstleistungserstellung Formulare verwendet, bietet die Vorab-Aushändigung von Musterformularen die Möglichkeit, einer Überforderung des Konsumenten vorzubeugen.
Eine Steigerung der Empathie setzt vor allem interpersonelle Fähigkeiten des Dienstleisters voraus, wobei ein aktives Zuhören im Mittelpunkt steht. Dazu zählt das einsehbare Notieren von Informationen während des Gesprächs, eine umsichtige Art des Befragens sowie eine ausreichende Menge an Zeit für das Gespräch. Als förderlich hat sich neben einer Vorab-Gliederung des Gesprächs in sinnvolle Teilabschnitte die Zusammenfassung zentraler Aussagen durch den Dienstleister erwiesen. Der Nutzen für den Dienstleister ergibt sich zum einen aus den individuellen Kundeninformationen, die Grundlage für ein maßgeschneidertes Leistungsangebot sind, und zum anderen aus der intensiveren Einbeziehung des Kunden in den Leistungserstel-lungsprozeß, die positiv wahrgenommen wird.
Die persönliche Anwesenheit des Dienstleistungsnehmers im Verlauf der Leistungserstellung ermöglicht ein direkteres Feedback, da zusätzlich zur verbalen die nonverbale Kommunikation (Gestik, Mimik) Einfluß auf das Gesprächsergebnis hat. Zudem kann durch die Vorab-Versendung von Informationsblättern oder Formularen im anschließenden persönlichen Gespräch gezielt auf bestimmte Problembereiche eingegangen werden. Ferner wird der monetäre Wert von persönlichen Gesprächen durch Konsumenten höher eingeschätzt als der Wert von Telefonaten oder Telefaxkommunikation, so dass die Gefahr von Dissonanzen aufgrund vermeintlich überhöhter Honorare gemindert wird.
Übernimmt der Kunde einzelne Arbeitsschritte, erhöht sich die wahrgenommene Bedeutsamkeit seiner eigenen Leistung im Rahmen des Leistungserstellungsprozesses. Der Dienstleistungsanbieter kann diese Bedeutsamkeit beispielsweise durch wichtige Fragen an den Dienstleistungsnehmer erhöhen. Dadurch wird ein Denkprozeß initiiert, der die Auseinandersetzung des Kunden mit der Dienstleistung fördert und auf diese Weise zu einer fundierteren Bewertung der erbrachten Leistung führt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis stellt ein wichtiges Kaufkriterium dar und wirkt bei empfundener Angemessenheit als Argument für eine Weiterempfehlung.
Aus den aufgeführten Variablen lassen sich Implikationen für die Ausbildung von Mitarbeitern ableiten. Neben der vorausgesetzten fachlichen Qualifikation kommt den Kundenmanage-mentfähigkeiten eine zentrale Bedeutung für den Unternehmenserfolg zu. Daher sind spezielle Personaltrainingsprogramme für ein interaktives Marketing zu entwickeln, die auf eine Erhöhung der Tangibilität, Empathie, Anwesenheit und Bedeutsamkeit gerichtet sind. Um Kunden zu Weiterempfehlungen zu animieren, ist neben der Zufriedenheit durch Interaktion eine direkte Ansprache mit der Bitte um Weiterempfehlung notwendig. Während lediglich 8 % der nicht angesprochenen Kunden durch Weiterempfehlung mindestens einen Neukunden akqui-rierten, lag dieser Wert bei direkter Ansprache bei 95 %.
Grenzen des interaktiven Marketing ergeben sich durch individuelle Dienstleistungseigenschaften. Beispielsweise kann eine zu ausgeprägte Interaktion in Form von häufigen persönlichen Gesprächen durch den Engpaßfaktor Zeit zu einer Belastung und infolge dessen zu Reaktanz beim Kunden führen. Weiterhin ist die Bereitschaft zur Preisgabe von persönlichen Informationen nicht immer vorhanden, so dass wiederholte Fragen als lästig empfunden werden. Die Übernahme von Arbeitsinhalten durch den Kunden enthält ein gewisses Maß an Belastung, da die Beantwortung von Wissensfragen oder sogar Aufgabenstellungen Konzentration und entsprechende Kompetenz voraussetzt.
Insbesondere für investive und höherwertige konsumtive Dienstleistungen wie beispielsweise Vermögens- und Anlageberatung und exklusive Tourismusangebote bietet das interaktive Marketing jedoch die Möglichkeit, über einen höheren Grad an Interaktion Kunden zu positiver Mund-zu-Mund-Propaganda anzuregen und das Kundenpotential auf diese Weise effizienter auszuschöpfen.
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