Harzburger Modell
Das «Harzburger Modell», die so genannte Führung im Mitarbeiterverhältnis, ist eine in der Bundesrepublik Deutschland bekannte Führungskonzeption, die sich gegen die autoritäre Führung wendet. Das Grundprinzip besteht im Führen durch Delegation von Verantwortung. Der hierarchische Aufbau bleibt dabei erhalten. Die Grundkonzeption des Harzburger Modells lässt sich in folgenden Punkten zusammenfassen: Die Entscheidungen werden nicht mehr lediglich von einem oder einigen wenigen an der Spitze des Betriebes getroffen, sondern jeweils von den Mitarbeitern, zu denen die Entscheidungen ihrem Wesen nach gehören; dem Mitarbeiter werden keine Einzelaufträge mehr erteilt; er erhält einen festen Aufgabenbereich mit den dazugehörigen Kompetenzen, in dem er selbständig handelt und entscheidet; ein Teil der Verantwortung der obersten Spitze wird mit den Aufgaben und den dazugehörigen Kompetenzen auf die Mitarbeiterebene übertragen; der Betrieb wird von unten nach oben aufgebaut, der Vorgesetzte übernimmt von vornherein nur die Aufgaben, die von den Mitarbeitern nicht übernommen werden können; in Stellenbeschreibungen werden im Einzelnen Aufgaben festgelegt, die jeder Stelleninhaber zu erfüllen hat; in einer «Allgemeinen Führungsanweisung» werden die Grundsätze der Führung im Mitarbeiterverhältnis für den Betrieb verbindlich festgelegt.
Kritisch lässt sich dem Modell entgegenhalten, dass es recht bürokratisch und formalistisch ist und lediglich vorgibt, demokratisch bzw. kooperativ zu sein. Der Mitarbeiter wird kontrolliert, hat aber kein Kontrollrecht gegenüber dem Vorgesetzten. Er wird zur Entscheidungsvorbereitung zwar mit herangezogen, die Entscheidung trifft aber der Vorgesetzte.
Das Harzburger Modell ist ein Führungsmodell, welches der Organisation und Führung des gesamten Unternehmens dient. Eine andere Bezeichnungen hierfür ist Management by Delegation (Führen durch Aufgabenübertragung). Die Durchführung der Aufgaben und die damit zusammenhängende Kompetenz soll nach diesem Modell auf die möglichst unterste Unternehmensstufe übertragen werden. Ziel ist, dass jeder Mitarbeiter selbstverantwortlich handelt. Die Grundzüge des Harzburger Modells wurden 1956 von Reinhard Höhn entwickelt. Noch heute wird es an deutschen Hochschulen gelehrt. Rein praktisch wurde das Harzburger Modell aber schon in den 80-er Jahren von dem Führungsmodell Management by Objectives (Führen durch Zielvereinbarungen) abgelöst.
Ein System der Führung von Mitarbeitern, das von Reinhard Höhn unter Mitarbeit von G. Böhme an der Akademie für Führungskräfte der Wirtschaft in Bad Harzburg entwickelt und gelehrt wurde. Seine wichtigsten Eigenschaften sind:
· Die Führung im Mitarbeiterverhältnis tritt an die Stelle der autoritären Führung (d.h. das Prinzip von Befehl und Gehorsam).
· Entscheidungen werden von Mitarbeitern auf jener Ebene getroffen, zu der sie ihrer - Aufgabe und Zielsetzung nach gehören.
· Jeder Mitarbeiter hat einen fest zugewiesenen Aufgabenbereich mit bestimmten, fixierten
Kompetenzen. Innerhalb des definierten Aufgabenbereichs handelt und entscheidet jeder Mitarbeiter selbständig.
· Ein Teil der Verantwortung der Leitungsgremien wird an die Mitarbeiter delegiert. Die Leitungsgremien werden nur bei Kompetenzüberschreitungen des Mitarbeiters aktiv.
· Das Unternehmen wird “von unten nach oben” aufgebaut, d.h. eine übergeordnete Instanz vollzieht jeweils nur jene Entscheidungen, die untergeordnete - Instanzen nicht Punktions- und sachgerecht vollziehen können.
Für die Realisierung dieser Führungsprinzipien werden im Rahmen des Harzburger Modells Stellenbeschreibungen und Allgemeine Führungsanweisungen eingesetzt.
Durch eine Stellenbeschreibung wird jedem Mitarbeiter sein Platz und seine Aufgabe innerhalb der Organisation fest zugeordnet. Sie ist zugleich eine Abgrenzung gegenüber gleichgeordneten Mtarbeitern und über- oder untergeordneten Stelleninhabern. Die Stellenbeschreibung ist ein Handlungsrahmen, der die Befugnisse und Aufgaben des Mitarbeiters regelt.
Vorgesetzte wie Mitarbeiter finden vorgegebene Stellen vor. Ihre eigene Initiative sowie ihr selbständiges Denken und Handeln müssen sich in diesem festgelegten Rahmen entwickeln. Sie bildet zugleich die Grundlage für die Delegation. Inhaltlich werden folgende Tatbestände geregelt:
· Stellenbezeichnung, wobei eine Unterscheidung in Linien-, Stabs- und Dienstleistungsfunktion vorgenommen wird.
· Titel oder Amtsbezeichnung des Stelleninhabers.
Hierarchische Einordnung des Stelleninhabers: Über- und Unterstellungsverhältnis und damit die Festlegung der Berichts- und Weisungswege.
· Zielsetzung der Stelle (Aufgaben).
· Festlegung der Stellvertretung.
· Beschreibung der Teilaufgaben je Mitarbeiter innerhalb der Stelle.
· Kennzeichnung der Kompetenzen.
Die Rechte und Pflichten der Mitarbeiter werden dementsprechend katalogisiert, die Verpflichtung des Mitarbeiters zum selbständigen Handeln innerhalb der Stellenbeschreibung hervorgehoben (Recht auf Widerspruch bei konträren Dienstanweisungen).
Die Allgemeine Führungsanweisung regelt das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern und definiert den Umfang der Delegation. Das Prinzip der Delegation spielt hierbei eine dominierende Rolle. Die Allgemeine Führungsanweisung beinhaltet:
· Die Darstellung der Führungsprinzipien nach dem Harzburger Modell.
· Die Beschreibung der Pflichten des Vorgesetzten und der Mitarbeiter.
· Verantwortungsbereiche bei der Führung im Mitarbeiterverhältnis.
· Kennzeichnung der Delegation von Verantwortung.
· Festlegung von Mitarbeitergespräch und Mitarbeiterbesprechung.
· Dienstgespräch und Dienstbesprechung.
· Funktion der Dienstaufsicht und Kontrolle.
· Kritik und Anerkennung.
· Grundsätze der Information.
· Anregungen für den Vorgesetzten.
· Richtlinien für die Wahrnehmung der Führungsaufgabe.
· Stab-Linien-Verhältnis und Abgrenzungen.
· Regeln und Hinweise für Teamarbeit.
· Stellvertretung.
· Dienst- und Beschwerdewege.
· Fach- und Disziplinarvorgesetzte.
Die Allgemeine Führungsanweisung wird zum dominierenden, einheitlichen Führungsinstrument durch die Unternehmensleitung und im Zuge einer Dienstanweisung eingeführt. Es wird damit eine Norm für das Führen im Mitarbeiterverhältnis geschaffen, die für alle Mitglieder der Organisation verbindlichen Charakter hat. “Mit der Allgemeinen Führungsanweisung ist bestimmt, wie sich jeder Vorgesetzte im Rahmen einer Führung im Mitarbeiterverhältnis gegenüber seinen Mitarbeitern und umgekehrt jeder Mitarbeiter gegenüber seinem Vorgesetzten zu verhalten hat.” (R. Guserl) Die Allgemeine Führungsanweisung zielt damit auf eine eindeutige, normierte Verhaltensregulation ab.
Durch die schriftliche Fixierung der Aufgaben und Kompetenzen der Mitarbeiter und Vorgesetzten wird ein hohes Mass an Transparenz in den Aufgaben und in den Führungsprozessen erzielt. Kompetenzüberschreitungen werden weitgehend ausgeschlossen. Die Mitarbeiter haben fixierte Rechte und Pflichten — jedem ist bekannt, wozu seine Arbeit dient (Ziele), in welcher Funktion er sich befindet und welche Leistungen von ihm erwartet werden. Ein bescheidener Handlungsspielraum für eigenständiges Arbeiten wird zugebilligt (Delegationsprinzip), die Informations-und Dienstwege sind eindeutig definiert, Ränge und Ranghierarchien bekannt. Durch die Allgemeine Führungsanweisung sind Amtsanmaßung und autoritäres Führungsverhalten eingeschränkt.
Die Konzeption der “Führung im Mitarbeiterverhältnis” beinhaltet laut Höhn
· “Die betrieblichen Entscheidungen werden nicht mehr lediglich von einem einzelnen oder einigen Männern an der Spitze des Unternehmens getroffen, sondern jeweils von den Mitarbeitern auf den Ebenen, zu denen sie ihrem Wesen nach gehören.
· Die Mitarbeiter werden nicht mehr durch einzelne Aufträge vom Vorgesetzten geführt. Sie haben vielmehr einen festen Aufgabenbereich mit bestimmten Kompetenzen, in dem sie selbständig handeln und entscheiden.
· Die Verantwortung ist nicht mehr auf die oberste Spitze allein konzentriert. Ein Teil dieser Verantwortung wird vielmehr zusammen mit den Aufgaben und den dazugehörigen Kompetenzen auf die Ebene übertragen, die sich ihrem Wesen nach damit zu beschäftigen hat.
· Das Unternehmen wird nicht mehr, wie dies typisch für eine der absolutistischen Denkweise entsprechende Form der Organisation ist, von oben nach unten aufgebaut, indem die vorgesetzte Instanz nur das abgibt, was ihr zuviel wird, sondern von unten nach oben, wobei die vorgesetzte Instanz der untergeordneten nur diejenigen Entscheidungen abnimmt, die ihrem Wesen nach nicht mehr auf die untere Ebene gehören.” Das Harzburger Modell ist heftig kritisiert worden. Man wirft ihm vielfach übertriebenen Formalismus vor, der zu einer - Bürokratisierung führt: Es besteht immerhin aus insgesamt 315 Organisationsregeln. Weitere Argumente von Kritikern sind: Die Hervorhebung der Delegation von Verantwortung kann zur unechten Delegation führen, da dem Mitarbeiter keine explizite Verfügungsgewalt über die Einsatzfaktoren gegeben ist. Die Dogmatik der Stellenbeschreibung beschränkt die - Kreativität der Mitarbeiter. Der Dynamik unternehmerischer und betrieblicher Aufgaben kann durch den starren Formalismus der Stellenhierarchie mit ihren fest zugewiesenen Aufgaben und Kompetenzen nicht entsprochen werden. Bei notwendigen Veränderungen der Organisation als Folge veränderter Markt- und Produktsituationen muss ein Großteil aller Beschreibungen und die entsprechenden Stellen neu definiert und beschrieben werden. Die Konzeption der Stellenbeschreibung und Führungsanweisung birgt die Gefahr der organisatorischen Zementierung in sich. Verhaltensweisen, persönliche Ziele, individuelle Neigungen, Qualifikation und Weiterbildung der Mitarbeiter und der Führungskräfte werden nicht ausreichend berücksichtigt. Die Ausprägung des Führungsverhaltens wird auf zwei polare Verhaltensweisen projiziert: Autoritäre Führung und Führung im Mitarbeiterverhältnis.
Demgegenüber weisen andere Modelle wie z.B. das - Verhaltensgitter und die - Führungsprofile von Rensis Likert darauf hin, dass es eine ganze Reihe von Verhaltensweisen in der Führung gibt, die je nach Situation und Problem wechseln können.
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