Customized Marketing
Betrachtet man aus Kundensicht den Individualisierungsgrad der jeweils vorherrschenden Produktangebote am Markt, so hat dieser in den letzten Jahrzehnten einen bemerkenswerten U-förmi-gen Verlauf angenommen ( 2). Bis zu Anfang des 20. Jahrhunderts konnte der Kunde fast ausschließlich handwerkliche Produkte erwerben, die produktionstechnisch bedingt „Unikate“ darstellten. Mit der Industrialisierung sank der Individualisierungsgrad dramatisch: Über das Angebot von technisch identischen Produkten in großen Stückmengen konnten die Grundbedürfnisse der Bevölkerung dann am effizientesten mit Hilfe einer Massenproduktion befriedigt werden. Während sich die Unternehmen und die Absatzlehre bis dahin ausschließlich „am Ende des Fließbandes“ mit dem Hineinverkaufen der gefertigten Produkte in einen Verkäufermarkt beschäftigten, führte der Wandel zu Käufermärkten in den fünfziger Jahren zu der Geburtsstunde des „klassischen Konsumgütermarketing“. Mit der Marketingfunktion sollte sichergestellt werden, dass die Massenproduktion nicht an den Kundenwünschen „vorbei“, sondern bedürfnisgerecht gelenkt wird.
Als Hilfsmittel wurden dazu vor allem Marktforschungstechniken und immer weiter verfeinerte Marktsegmentierungsverfahren eingesetzt, die in den siebziger Jahren zu einer Weiterentwicklung des Marketing als „differenziertes Marketing“ führten. Differenzierte Produktkomponenten ergänzten zunächst das Angebot von wenig industrialisierten Massenprodukten, um dann in den achtziger Jahren vor dem Hintergrund des Verdrängungswettbewerbs alternative wettbewerbsorientierte Produktangebote darzustellen („Differenzierung vs. Kostenführerschaft“).
Mitte der neunziger Jahre stehen wir - bedingt durch technologische Entwicklungen und Veränderungen im Konsumentenverhalten - vor einem erneuten „Individualisierungs-Spin-off“,
Mit Hilfe neuer Produktionstechnologien (CNC-Maschinen etc.) ist es nunmehr möglich, immer kleinere - auf spezifische Kundenwünsche ausgerichtete - Fertigungslose kostengünstig zu produzieren. Gleichzeitig wachsen die Kommunikationsund Produktionstechnologien zusammen (CIM, CAD etc.) und ermöglichen über interaktive neue Medien eine integrierte Abwicklung der Entwicklungs-, Produktions- und Marketingfunktion.
Im Konsumentenverhalten führen hingegen der Trend zum individualisierten Konsum und das vermehrte Angebot von Freizeit zu der Bereitschaft der Konsumenten, selbst produktiv zu werden und in einer Doppelfunktion als „Prosument“ (producer und customer) entweder Konsumgüter und Dienstleistungen selbst zu erstellen oder sich durch die Übernahme von Teilfunktionen des haushaltsexternen Produktionsprozesses mit dem jeweiligen Unternehmen in den Wertschöpfungsprozeß einzubringen.
Im letzteren Fall - wenn Konsumenten sich über interaktive Medien am Beginn der Wertschöpfungskette in den Produktionsprozeß „einklinken“ - entsteht der Gestaltungsspielraum eines „Customized Marketing“. Ausgangspunkt ist dabei ein Konsument, der i. d. R. über die Nutzung eines Computers und Beratung des Herstellers das gewünschte Produkt aus einer Reihe von Varianten am Bildschirm zusammensetzt und diese on-line in einen vollintegrierten Fertigungsprozeß gibt. Als praktische Beispiele zitiert Philip Kotler, dass im vergleichsweise einfachsten Fall, dem Saturn-Projekt von General Motors, der Autokäufer im Showroom über ein dialoggesteuertes Entscheidungsprogramm die Autofarbe, den auszuwählenden Motor, Sitzbezüge, Scheinwerfervarianten etc. selektiert, diese ihm alternativ visualisiert werden und er dann am Bildschirm die Kaufentscheidung für ein „customized car“ fällt, das dann vollautomatisiert für ihn produziert wird.
Andere Beispiele finden sich im Design-Teppichbereich, beim Fertighausbau, in der Möbelindustrie oder in der Textil-branche, wo der Konsument sich im Fall einer japanischen Bekleidungskette mit einem Laserstift im outlet abtastet, der aus einer großen Anzahl von Stoffmustern eine entsprechende Auswahl tätigt und dann wenige Tage später seinen maßgeschneiderten Anzug erhält.
Die Konsequenzen eines solchen „customized marketing“ für das „klassische Marketing“ sind erheblich: So sieht der Amerikaner Alvin Toffler durch den Übergang von der Massenproduktion zur „mass customization“ in Form von Losgrößen mit der Stückzahl „1“ das zunehmende Wegfallen der klassischen Produktmärkte voraus und spricht provokativ vom „Ende der Vermarktung“ als dem Grundprinzip des Marketing.
Selbst wenn man der These Tofflers von der Obsoleszenz der klassischen Distributionsformen „auf Lager“ im customized marketing entgegenhält, dass zumindest „Informations-Märkte“ (statt Produkt-Märkte) bestehen bleiben, so zeigen sich doch im strategischen und operativen Instrumentebereich erhebliche Anpassungserfordernisse:
So ist bei der Formulierung der Geschäftsfeldstrategien zukünftig nicht nur der Marktabdeckungs- und Differenzierungsgrad, sondern zusätzlich das Interaktionsniveau zwischen Unternehmen und Konsumenten festzulegen. Bei maximalem Interaktionsniveau wandelt sich dabei der klassische Herstellerbetrieb („marktorientierter Produzent“) in seinem Geschäftssystem zu einem auftragsorientierten Anbieter, der dann als Dienstleister letztlich nur noch Produktionskapazitäten dem Abnehmer vermietet.
In der Produktpolitik entstehen neben den klassischen, unternehmenskonzipierten „inside-out-Produkten“ die völlig neuen interaktiv gestalteten „outside-in-Produkte“.
In der Kommunikationspolitik werden neue Instrumente wie „Produktgestaltungsanweisungen“ zu entwickeln sein. Das Direct Marketing wird sich verstärkt mit CIM- und CAD-Aspekten auseinandersetzen müssen.
In der Distributionspolitik wird das Wegfallen der Lagerhaltung die Frage der Berechtigungsfunktion des Handels neu aufwerfen bzw. werden diese Handelsbetriebe sich vom Distributor zum Customization-Berater für den Endverbraucher weiterentwickeln müssen.
In der Preispolitik gilt es schließlich, neue Preisermittlungsverfahren bei unbegrenzter Produktvariantenzahl und unterschiedlichen Interaktionsniveaus mit dem Konsumenten zu entwickeln.
Auch wenn sich das customized marketing nur in einzelnen Nischen als Teilkonzept eines „modularen Marketing“ neben dem differenzierten und standardisierten Marketing erfolgreich anwenden läßt und hier zunächst aufgrund kundenbezogener Voraussetzungen (high involvement etc.) und technischer Bedingungen (sinnvolle Variantenvielfalt etc.) auf Anbieter des „kreativen Konsums“ beschränkt, so zeigt sich doch, dass das Marketing in Wissenschaft und Praxis aufgefordert ist, zu völlig neuen Gestal-tungs- und Entscheidungsalternativen Stellung zu beziehen.
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