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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Wohlfahrtsökonomik

(welfare economics) Der Begriff welfare economics hat sich (in Anlehnung an Arthur C. PIGOU) erst nach 1912 eingebürgert, obwohl das so bezeichnete Theoriengebilde aus einem breiten Ideenstrom hervorgegangen ist, der bis in die Anfänge der ökonomischen Wissenschaft zurückreicht. Das verbindende Element der heterogenen wohlfahrtstheoretischen Ansätze kann im Interesse für Zusammenhänge zwischen wirtschaftlichen und sozialen Einflußgrößen und der individuellen bzw. gesellschaftlichen »Wohlfahrt« gesehen werden (»Volkswohlstand«, »wealth of nations«, »public wealth« etc.). Wohlfahrtskonzepte versuchen i.d.R., Beurteilungsmaßstäbe aufzustellen, nach denen Ereignisse und politische Maßnahmen in Kategorien wie »besser« bzw. »schlechter« klassifiziert werden können, und Bedingungen für ein » Optimum« bzw. »das« Wohlfahrtsmaximum abzuleiten. Bei grober Einteilung läßt sich die Entwicklung der welfare economics in drei Gruppen zusammenfassen: a) Klassische Reichtumstheorien: Ihnen gingen merkantilistische und physiokratische Vorstellungen vom Volkswohlstand voraus. Im Merkantilismus stand dabei die Macht des Staates im Vordergrund (ausgedrückt durch Reichtum an Edelmetallen und Menschen), während Wohlstandstheorien der             Physiokratie der Fruchtbarkeitslehre entsprechend ein »Plus an Stoffen« (»produit net« bzw. landwirtschaftliche Produktion) als Reichtumsquelle ansahen. In formaler Analogie zu physiokratischen Reichtumsvorstellungen findet man in der Klassischen Theorie (Adam SMITH und insbes. David RICARDO) volkswirtschaftliche »Nettobzw. Reineinkommen« (Gesamtproduktion abzüglich Lohnkosten) als Reichtumsindikator. Steigerungen des »Reineinkommens« sind nach SMITH von der Zunahme der Arbeitsteilung und der »produktiven« Arbeit im Verhältnis zur »unproduktiven« (Justiz-, Militärpersonen, Beamte, Geistliche etc.) sowie der Kapitalakkumulation abhängig. Nach RICARDO mündet der Prozess in eine stationäre Wirtschaft. Daneben gibt es u.a. eine »Brutto«-Version des Reichtumsbegriffs bei SMITH (Gesamtproduktion, ausgedrückt in Arbeitseinheiten) bis hin zur Ausdehnung dieses Begriffs auf alle Güter (auch freie Güter) bei James M. LAUDERDALE. Friedrich LIST erscheint dagegen »die Kraft, Reichtümer zu schaffen, ... unendlich wichtiger als der Reichtum selbst«. So findet man neben Stromgrößen als Wohlstandsindikatoren (wie sie prinzipiell bis heute in Wohlstandsvergleichen auf der Grundlage des Sozialprodukts eine Rolle spielen) auch Bestandsgrößen, wie sie in der Gegenwart wieder wohlstandsökonomische Aktualität erhalten (soziale Indikatoren, Umweltökonomik, Bildungsökonomik, Gesundheitsökonomik). b) Ältere Wohlfahrtsökonomik: Unter dem Einfluss der Philosophie des Utilitarismus (Jeremy BENTHAM) und des Grenznutzenkonzepts (Nutzen) wandelt sich der physisch-materiell akzentuierte Wohlstandsbegriff zum gesellschaftlichen Nutzenkalkül. Den Höhepunkt dieser Entwicklung markieren die Arbeiten PIGOUs. Er unterscheidet drei Wohlfahrtsbegriffe: Der Begriff »general or total welfare« umfaßt den Begriff »economic welfare«; dieser umfaßt seinerseits den Begriff »national dividend or income«. Die Analyse konzentriert sich auf »economic welfare«, dies sind jene Elemente der »general welfare«, die mit dem Geldmaßstab in Beziehung gebracht werden können. Steigerung der ökonomischen Wohlfahrt ist nach PIGOU möglich durch Zunahme der »national dividend« bzw. durch Umverteilung von Reich zu Arm. Bei allgemeinen Einkommenssteigerungen wurde erhöhte individuelle Bedürfnisbefriedigung angenommen, für Umverteilung zugunsten der Armen (gleiche »Glücksfähigkeit« der Menschen vorausgesetzt) eine gesellschaftliche Nutzenzunahme abgeleitet. Ein PIGOUsches Wohlfahrtsmaximum impliziert somit im wesentlichen Maximierung des Sozialprodukts bei egalitärer Einkommensverteilung. Den Regeln für die Maximierung des Sozialprodukts wird besondere Sorgfalt gewidmet, insbes. der Berücksichtigung von Divergenzen zwischen privaten und sozialen Erträgen bzw. Kosten (Externalitäten; Neo-neoklassische Theorie). c) Neuere Wohlfahrtsökonomik: Im Wandel der utilitaristischen zur behavioristischen - Nutzentheorie und im Verlauf heftiger Attacken auf interpersonelle Nutzenvergleiche (- Nutzenmessung) entstanden Zweifel an den Grundlagen der älteren Wohlfahrtsökonomik. Die neuere Wohlfahrtsökonomik versuchte deshalb, interpersonelle Nutzenvergleiche zu vermeiden (weil lediglich ethisch begründbar) und auf den Grundlagen der ordinalen Nutzentheorie aufzubauen. Zumindest zwei Richtungen lassen sich unterscheiden: die paretianische Wohlfahrtsökonomik und die Theorie der sozialen Wohlfahrtsfunktion. 1. Auf der Grundlage des PARETOKriteriums und der ordinalen Nutzentheorie wurden die Bedingungen eines gesamtwirtschaftlichen - PARETO-Optimums entwickelt (Vilfredo PARETO, Enrico BARONE, Abba P. LERNER u.a.), ihre Identität mit den Eigenschaften eines vollkommenen Konkurrenzgleichgewichts herausgearbeitet (Kenneth J. ARROW, Tjalling C. KOOPMANS und Gerard DEBREU) und entsprechende Entscheidungsregeln für sozialistische Volkswirtschaften entwickelt (Fred M. TAYLOR, Oskar LANGE, H.D. DICKINSON). Weitgehend offen blieb die Frage der Verteilungsnormen (in der paretianischen Version), nach denen aus der unendlichen Vielzahl denkbarer Optima auszuwählen sei. Aber nicht nur deshalb ist die Theorie des PARETOOptimums von beschränkter Relevanz für politische Entscheidungen, sondern auch wegen der nicht sämtlich erfüllbaren Optimumbedingungen (second best). Weniger auf ein Optimum als auf Wohlfahrtssteigerungen hin ist die auf das KALDOR-HICKS-Kriterium begründete Kompensationstheorie orientiert, verbunden mit dem Bemühen, ethische Elemente weitestgehend aus der Wohlfahrtsökonomik zu verbannen. Die Begrenztheit der Aussagemöglichkeiten mit diesem Anspruch sind inzwischen hinreichend deutlich geworden (- Wohlfahrtskriterien, - Kompensationstheorie, LITTLE-Kriterium). 2. Als Art »Überbau« für die Wohlfahrtsökonomik ist die soziale       Wohlfahrtsfunktion vom BERGSON-SAMUELSON-Typ entwickelt worden, die ethische Prämissen nicht zu vermeiden sucht, sondern vielmehr verdeutlicht, an welcher Stelle ethische Urteile für eine vollständige soziale Rangskala erforderlich sind. Die Spezifikation derartiger Prämissen ist allerdings bewußt so allgemein gehalten, dass sich beinahe jedes Normensystem darin unterbringen läßt. Genau besehen, ist der Anwendungsbereich stringent formulierter Theoreme außerordentlich eng. Dies ist vollends unbestreitbar, wenn man die heroischen faktischen Annahmen über Information, Konstanz und Unabhängigkeit der Präferenzen etc. in Rechnung stellt. Eine verstärkt anwendungsbezogene Wohlfahrtsökonomik wird »kasuistischer« werden müssen (Kosten-Nutzen-Analyse) unter Einbeziehung von weniger » allgemeinen« Wertprämissen und »Schätzurteilen« (Über faktische Gegebenheiten) und, wie bereits vielfach geschehen, erweitert um die wohlfahrtstheoretische Analyse von politischen Entscheidungsprozessen. Literatur: Feldman, A.M. (1986). Sohmen, E. (1976). Külp, B. u.a. (1984). Arrow, K.J., Scitovsky, T. (1969)



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