Kollektivbewusstsein
In der Wirtschaftssoziologie:
frz.: conscience col-lective, auch: Kollektivseele oder -psyche, kollektive Mentalität, Gruppenbewusstsein, Gruppenseele usw., [1] ein Zentralbegriff der Durkheimschen Soziologie, der jene geistige Einheit einer Gesellschaft oder eines gesellschaftlichen Subsystems bezeichnet, die sich in Sprache und Schrift, Moral und Recht, Brauch und Gewohnheit, Wissensbestand und Gewissen u.a. ausdrückt. Das Kollektivbewusstsein ist die „Gesamtheit der Anschauungen und Gefühle, die der Durchschnitt der Mitglieder derselben Gesellschaft hegt“ (E. Durkheim); dementsprechend ist auch von „Kollektivvorstellungen“, „kollektiven Ideen“, „Kollektivgefühlen“, „Kollektiveinstellungen“ usw. die Rede. Die Durkheim-Schule fasst das Kollektivbewusstsein nicht als eigene, von den individuellen Bewusstseinsinhalten substantiell unterschiedene „Wesenheit“ auf. Vielmehr handelt es sich dabei um diejenigen Einstellungen, Denkweisen, Vorstellungen usw. im Bewusstsein der Individuen, die durch ein Aufeinanderwirken und durch eine Fusion individueller Bewusstseinsinhalte, also durch das Leben der Individuen in der Gesellschaft, zustandegekommen sind und die daher auch nur unter Bezugnahme auf die gesellschaftlichen Bedingungen, in denen die Individuen leben, erklärt werden können. Das Kollektivbewusstsein äussert sich in kollektiven Handlungen und Reaktionsweisen; die Gesellschaft reagiert repressiv auf Verletzungen des K.s, wie es z.B. im Strafrecht kodifiziert ist. Das Kollektivbewusstsein kann andererseits zu einem solidarischen Ausgleich in restitutivem Sinne anregen, was z.B. in den Anweisungen des Bürgerlichen Rechts seinen Ausdruck findet. Schwinden die ausgleichend-solidarischen Formen der Vergesellschaftung, kommt es entweder zur ausschliesslich repressiven Herrschaft des K.s bei mechanischer Solidarität oder zu einem Zustand der sozialen Anomie (Anomie [1]).
[2] Insbesondere in organizistischen und verwandten Theorien, die die Gesellschaft - in Analogie zum biologischen Organismus - als einen „sozialen Körper“, als ein kollektives „Wesen“ eigener Substanz auffassen, ist das Kollektivbewusstsein oder die „Kollektivseele“ (auch „Gruppenseele“, „Volksseele“, „Massenseele“ usw.) der Sitz oder das Organ des kollektiven (Gruppen-, Volks-usw.) Willens, der die Handlungsweisen der Gesamtheit bestimmt, so wie das Bewusstsein des Einzelmenschen dessen Handlungen bestimmt.
[3] Bei A. Vierkandt bezeichnet „Gruppenbewusstsein“ jene Bewusstseinsinhalte der Mitglieder einer Gruppe, die von diesen als „Gruppenangelegenheiten“ erlebt werden. Als „Subjekt“ dieser Gruppenangelegenheiten wird vom einzelnen nicht das „Ich“, sondern das „Wir“ angesehen. Synonym mit Wirbewusstsein
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