Privatisierung, materielle
In der Gesundheitswirtschaft:
Im Gegensatz zur formalen Privatisierung wird unter einer materiellen Privatisierung die Veräußerung der Mehrheit oder der gesamten Anteile eines Krankenhauses von einem öffentlichen an einen privaten Klinikträger verstanden.
Dabei kann es sich durchaus um eine Klinik handeln, die vorher bereits formal privatisiert, also in eine gGmbH, eine GmbH oder eine AG umgewandelt worden war. Dies zeigte zum Beispiel die Fusion der Universitätskliniken Giessen und Marburg zum Universitätsklinikum Giessen und Marburg sowie die anschließende Umwandlung aus einer rechtlich selbstständigen Anstalt des öffentlichen Rechts in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Kurz danach veräußerte das Land Hessen 95 Prozent der Anteile an der Universitätsklinikum Giessen und Marburg GmbH an die Rhön-Klinikum AG und nahm damit eine materielle Privatisierung vor. Auch der Verkauf der Mehrheitsanteile der zunächst durch die Überführung des früheren Eigenbetriebes in eine Aktiengesellschaft formal privatisierten Amper Kliniken AG an die Rhön-Klinikum AG im Winter 2004 ist ein typisches Beispiel für eine zunächst erfolgte formale Privatisierung, die aber nur als Vorstufe zur materiellen Privatisierung fungierte.
Auch die materielle Privatisierung stellt einen so genannten Betriebsübergang dar. Für einen solchen Betriebsübergang gibt es zum Schutz der Beschäftigten gesetzliche Mindestnormen, die erfüllt werden müssen (§ 613a BGB, EU-Richtlinie 77/187/EWG v. 14.2.1977). Weitere, über diese Mindestnormen hinaus gehende Regelungen können in einem Personalüberleitungstarifvertrag vereinbart werden.
Außerdem ist es heute üblich, dass beim Verkauf der Mehrheitsanteile durch einen öffentlichen an einen privaten Träger bestimmte Bedingungen im notariellen Kaufvertrag vereinbart und auf diese Weise abgesichert werden. Insbesondere sind dies Schutzvereinbarungen für das Personal, so etwa das Verbot der betriebsbedingten Kündigungen für einen festgelegten Zeitraum, sowie Investitionen, zu denen sich der neue Träger des materiell privatisierten Krankenhauses innerhalb eines festgelegten Zeitraumes verpflichtet. Letztere Bestimmung soll häufig dazu dienen, die medizinische Leistungsfähigkeit des materiell privatisierten Krankenhauses und damit die lokale und/oder regionale stationäre Versorgung der Bevölkerung langfristig zu sichern.
So hat sich die Rhön-Klinikum AG im Zusammenhang mit dem Kauf der Mehrheitsanteile des Universitätsklinikums Giessen-Marburg unter anderem dazu verpflichtet, bis Ende 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen und Investitionen in Höhe von 260 Millionen Euro bis zum Jahr 2010 zu tätigen. Für den Fall der Nichterfüllung dieser Investitionszusage an die beiden Standorte Giessen und Marburg hat die Rhön-Klinikum AG sich verpflichtet, die Hälfte der nicht erfüllten Investitionsverpflichtungen an das Land Hessen als weiteren Kaufpreis und die andere Hälfte an die Universitätsklinikum GmbH als eine zweckgebundene Rücklage zu zahlen.
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