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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Gemeinwohl

Inbegriff und Summe aller materiellen, institutionellen und kulturellen Voraussetzungen des gesellschaftlichen Lebens, die dem einzelnen und den gesellschaftlichen Gruppen ihre je eigene Entfaltung in Freiheit ermöglichen. Die innergesellschaftliche Spannung und Koordinierung zwischen Freiheit und Ordnung, Recht und Pflicht, Selbstverantwortung und Autorität nach Maßgabe des gerechten Ausgleichs ist wesentlich für jegliche Gemeinwohlpolitik, die auf den sozialen Frieden gerichtet ist. Insofern ist das Gemeinwohl der Angelpunkt aller Soziallehren, die sich mit dem Verhältnis von Einzelmensch und Gesellschaft befassen. Keine menschliche Vergesellschaftung ist denkbar ohne einen gemeinsamen, gemeinsam bewußten und gemeinsam angestrebten Wertgehalt: die rechtverstandene Wohlfahrt aller. a) Institutioneller Charakter (Dienstwert): Inbegriff aller materiellen Vorbedingungen und institutionellen Einrichtungen öffentlicher Art, die notwendig sind, um allen Gesellschaftsgliedern die eigenverantwortliche Verwirklichung der persönlichen Wohlfahrt zu ermöglichen (z.B. Rechtsordnung, wirtschaftliche Stabilität, soziale Sicherung, Infrastrukturpolitik, Bildungseinrichtungen). b) Umfassender Wertbestand (Gemeingut): Vollmenschliche Wertverwirklichung aller Gesellschaftsglieder als Kulturwesen, soweit sie auf die personale Eigenverantwortung und gesellschaftliche Hilfeleistung zurückgeht. Der Wertinhalt des Gemeinwohls stellt, obwohl in den einzelnen Gesellschaftsgliedern verwirklicht, dennoch einen wesentlich eigenen und neuen Wert, eine neue überindividuelle Wirklichkeit dar, die sich vom Einzelwohl ebenso unterscheidet wie von seiner Summierung. Der Staat ist Treuhänder und Bürge des wertorientierten Gemeinwohls, als dessen erster Sachwalter er seine eigentliche Legitimation findet. Auch der weltanschaulich neutrale Verfassungsstaat ist keinesfalls wertneutral, sondern ganz im Gegenteil wertorientiert, wenn er mehr sein will als nur die machtmäßige Zusammenfassung rivalisierender Gruppeninteressen. c) Eigenwohl und Gemeinwohl: Spannungsverhältnis, dessen ordnungspolitische Bewältigung für den innergesellschaftlichen Frieden entscheidend ist. Es entsteht aus dem Unterschied zwischen Eigennutz und Gemeinnutz, Individualethik und Sozialethik. Dieser Unterschied bedeutet nicht Gegensätzlichkeit. Das Gemeinwohl schließt vielmehr seinem Ganzheitscharakter entsprechend das Einzelwohl in seiner jeweiligen Besonderheit mit ein; denn das Wohl der Gesellschaftsglieder gehört notwendig zum Wohle des Ganzen. Umgekehrt gibt es keine legitime Entscheidung gegen das Gesamtwohl: Sozialansprüche einzelner sind nur im Rahmen des Ganzen vertretbar. Aus der Abgrenzung der beiderseitigen Wertpositionen ergibt sich die ordnungspolitische Notwendigkeit des Abwägens. d) Politische Interpretation: Die inhaltliche Festlegung des konkreten Gemeinwohls ist in einem möglichst breit angelegten Interpretationsprozess der öffentlichen Dringlichkeitsordnung zu leisten, der von der repräsentativen Vertretung des ganzen Volkes getragen wird. Auch innerhalb einer freiheitlichen Demokratie bleibt aber die endgültige Aufstellung der öffentlichen Dringlichkeitsordnung und die letztgültige Verantwortung für diese Aufgabe der demokratisch-legitimen Regierung. Sie entscheidet gemäss ihrer politischen Programmatik und wird dafür vom Wählervolk in bestimmten Zeitabschnitten zur Verantwortung gezogen, wodurch das Wagnis einer elitären Entscheidungsbefugnis an der Spitze eingegrenzt und relativiert wird. e) Prinzipien der Interpretation: Die Philosophie des Gemeinwohls bietet drei Orientierungspunkte an. · Gemeinwohl als überindividueller fordernder Sozialwert ist nach der endgültigen ordnungspolitischen Festlegung auf die normative Anerkennung aller Betroffenen angewiesen. · Gemeinwohl als umfassend integrierender Ganzheitswert verpflichtet den Politiker dazu, das Eigenwohl der Vielen in seinen Verschiedenheiten und Rechten vollinhaltlich mit einzuschließen und in seiner Besonderheit zu belassen. · Gemeinwohl als analoger Sinngehalt bildet den Angelpunkt einer humanen Gemeinwohlethik, indem es bei Berücksichtigung der gegebenen Unterschiede in den jeweiligen Ausgangspositionen, Teilbeiträgen und Anteilsrechten der vielen einzelnen in der gemeinsamen Verantwortung für das Ganze zu einer differenzierenden Ausgleichspolitik zwingt: Jedem das Seine an Rechten, Pflichten und Teilhabe in der gesellschaftlichen Zusammenarbeit; nicht jedem das Gleiche, sondern die individuellen Anteile verschieden gestaltet, je nach den besonderen Bedürfnissen, dem geleisteten Beitrag, der gesellschaftlichen Funktion. Literatur: Furger, F. (1990). Utz, A. F. (1987). Rauscher, A. (1985)



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