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Wirtschaftslexikon
über 20.000 Fachbegriffe - aktualisierte Ausgabe 2015
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Behindertentestament

Das Behindertentestament hat den Zweck, einem behinderten Kind etwas vererben zu können, ohne dass das Vermögen für die Pflegekosten direkt aufgezehrt wird, denn grundsätzlich besteht innerhalb der Sozialhilfe das Nachrangigeitsprinzip, d.h. der Staat unterstützt erst dann finanziell, wenn kein eigenes Vermögen mehr vorliegt.

Die Zahl der behinderten Menschen nimmt zu. Umgekehrt steigen die Pflegekosten ständig. Trotz Pflegeversicherung sind von den Betroffenen hierfür Zuzahlungen in großer Höhe zu erbringen. Viele Behinderte sind dazu nicht in der Lage. Sie sind daher auf staatliche Hilfe, die Sozialhilfe, angewiesen. Viele Eltern von behinderten Kindern haben daher Angst, dass ihr mühsam angespartes Vermögen im Erbfall von der Sozialhilfe "aufgezehrt" wird, so dass das behinderte Kind aus dem vererbten Vermögen keine Vorteile erzielt und nach dem Verbrauch des Vermögens wieder auf die Sozialhilfe angewiesen ist, ohne besondere Vorteile zu haben. Das liegt am Prinzip der Nachrangigkeit. Danach erhält keine Sozialhilfe, wer sich selbst helfen kann oder wer die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen erhält. Zur Durchsetzung dieses Grundsatzes kann der Sozialhilfeträger sogar weitere Hilfen einstellen.

Schonvermögen

Ausgenommen vom Zugriff des Sozialhilfeträgers ist nur sog. Schonvermögen (§ 88 Abs. 2 BSHG):

  • kleine Barbeträge
  • ein angemessenes Hausgrundstück, das vom Behinderten oder Angehörigen bewohnt wird
  • Hausrat etc
  • Vermögen (zu einem sehr kleinen Teil)

Die Schongrenze, das heißt das Vermögen, das durch den Sozialhilfeträger nicht angerechnet oder "verschont" wird, ist in einzelnen Hilfeformen recht unterschiedlich. Von Zeit zu Zeit werden diese Werte auch angepasst. Übersicht:

Personenkreis

Anrechnungsfrei

ggf. zuzüglich

Hilfe zum Lebensunterhalt Hilfeempfänger bis zum 59. Lebensjahr 1.279 €

für Ehegatten 614 €

zuzüglich 256 € für jede Person, die vom Hilfeempfänger oder Ehegatten überwiegend unterhalten wird

Hilfeempfänger ab dem 60. Lebensjahr 2.301 €

für Ehegatten 614 €

zuzüglich 256 € für jede Person, die vom Hilfeempfänger oder Ehegatten überwiegend unterhalten wird

Erwerbsunfähigkeitsrentner einschließlich vergleichbare Invalidenrentner 2.301 €

für Ehegatten 614 €

zuzüglich 256 € für jede Person, die vom Hilfeempfänger oder Ehegatten überwiegend unterhalten wird

Hilfe in besonderen Lebenslagen Hilfeempfänger 2.301 €

für Ehegatten 614 €

zuzüglich 256 € für jede Person, die vom Hilfeempfänger überwiegend unterhalten wird

Blinde 4.091 €

für Ehegatten 614 €

zuzüglich 256 € für jede Person, die vom Hilfeempfänger überwiegend unterhalten wird

Ausnahmen beim Schonvermögen

Bei minderjährigen Hilfesuchenden gelten andere Werte. So genannte kleine Hausgrundstücke, die vom Hilfeempfänger selbst bewohnt werden, bleiben ebenfalls außer Ansatz. Als Richtwert, ob ein Grundstück klein ist, kann man einen Wert von 150.000 Euro annehmen, es ist auch von der Lage des Objektes abhängig. Im Einzelfall sind auch größere Werte möglich. Auch Familien- und Erbstücke, die eine gewisse Bedeutung für den Hilfesuchenden haben, dürfen nicht als Vermögen angerechnet werden, z.B. ein Schmuckstück. Angemessener Hausrat und Gegenstände, die zur Berufsausübung oder Ausbildung notwendig sind, dürfen ebenfalls nicht als Vermögen berücksichtigt werden.

Nachlassregelung für ein behindertes Kind

Abgesehen von den genannten Fällen des Schonvermögens kann der Sozialhilfeträger auf sämtliches Vermögen des Behinderten zugreifen, wenn dieser das Vermögen im Wege des Erbfalles erlangt. Das Behindertentestament will erreichen, dem Behinderten eine über die Sozialhilfe hinausgehende zusätzliche Absicherung zu gewähren. In den Fällen, in denen die Höhe des Nachlasses nicht ausreicht, die Sozialhilfeleistungen dauerhaft zu ersetzen, lässt sich dieses Ziel nur dann verwirklichen, wenn dem Sozialhilfeträger der Zugriff auf den Nachlass weitestgehend abgeschnitten wird. Nichts zu vererben kommt nicht in Frage, denn selbstverständlich steht auch einem behinderten Kind der Pflichtteil zu.

Die klassische Lösung geht von einer Erbeinsetzung des behinderten Kindes aus, und zwar bereits beim ersten Erbfall, also dem Versterben eines Ehepartners. Das behinderte Kind wird dabei in der Höhe eines Erbteils, der zumindest geringfügig über dem gesetzlichen Pflichtteil liegen muss, zum so genannten "nicht befreiten Vorerben" eingesetzt. Dadurch wird erreicht, dass der ererbte Nachlassanteil von ihm nicht verwertet und daher auch nicht im sozialhilferechtlichen Sinne eingesetzt werden kann. Als Nacherben werden die Abkömmlinge des behinderten Kindes, falls keine solchen vorhanden sind, seine Geschwister oder andere Verwandte eingesetzt. Der Nacherbfall tritt mit dem Tod des Vorerben ein. Zusätzlich wird eine Dauertestamentsvollstreckung bis zum Tod des behinderten Kindes angeordnet. Zum Testamentsvollstrecker wird eine dem Behinderten besonders verbundene Person bestellt. Das ist besonders wichtig, denn dieser soll dem behinderten Kind die Annehmlichkeiten zukommen lassen, die seine Lebenssituation verbessern, aber nicht dem Sozialhilferegress ausgesetzt sind.

Die Gestaltung eines Behindertentestamentes gehört zu den schwierigsten Gestaltungen der juristischen Erbrechtsberatung. Hilfe eines Rechtsanwaltes oder Notars ist sehr wichtig. Sozialämter haben immer wieder versucht, derartige Möglichkeiten der Testamentsgestaltung für rechtswidrig erklären zu lassen. Sie haben dazu sogar das den Bundesgerichtshof angerufen. Dieser hat jedoch in zwei vielbeachteten Urteilen (vom 21.03.1990 und vom 20.10.1993) derartige Gestaltungsmöglichkeiten für legal erklärt.



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