Dioxine
Bezeichnung für chemische Verbindungen, die sich vom sechsgliedrigen Heterozyklus mit Sauerstoffatomen in der 1,4-Stellung (siehe Abbildung I) ableiten. Vereinfachend wird dieser Begriff heute für die Substanzklasse der Dibenzodioxine verwendet, bei der einem Dioxinring linear zwei Phenylringe anneliert sind. Durch die Nummerierung wird die Stellung der Substituenten im Ring beschrieben. Die wichtigsten Derivate sind die mehrfach chlorierten Vertreter, die polychlorierten Dibenzodioxine (PCDD) und hier insbesondere das als „Seveso-Gift“ bekannt gewordene 2,3,7,8-Tetrachlordibenzo-p-dioxin (TCDD).
In der Umgangssprache werden gelegentlich auch die polychlorierten Dibenzofurane (PCDF) den Dioxinen zugeordnet und durch die Sammelbezeichnung PCDD/F gekennzeichnet. Insgesamt gibt es 75 unterschiedliche PCDD-Kongenere (Summe der Homologen und Isomere), dagegen aber, wegen der fehlenden zweiten Symmetrieachse, 135 PCDF-Kongenere.
Entstehung1Dioxine werden außer zum Zweck der Gewinnung analytischer Standards nicht gezielt hergestellt. Sie entstehen ungewollt bei vielen chemischen Reaktionen als technische Verunreinigungen. So ist beispielsweise bekannt, daß die humantoxischen Wirkungen der im Vietnam-Krieg eingesetzten 2,4,5Trichlorphenoxiessigsäure (2,4,5-T, Agent Orange) auf dessen Verunreinigung mit 2,3,7,8-TCDD zurückzuführen sind. Generell können alle industriellen Prozesse der aromatischen Chlor-Chemie zur Bildung von PCDD/F führen.
Einer der Hauptbildungswege für PCDD/F sind Verbrennungsprozesse im weitesten Sinn. So sind Emissionen und Rückstände aus gewerblichen, kommunalen und privaten Verbrennungsanlagen eine wichtige Quelle für den Eintrag von Dioxinen in die -Umwelt. Die Bildung z. B. in Hausmüllverbrennungsanlagen ist stark temperaturabhängig und die resultierenden Konzentrationen nehmen mit fallender Temperatur zu. Bei Temperaturen über 600°C überwiegen die Zerfallsreaktionen.
Neben den Bildungsreaktionen bei der Verbrennung können auch im Rauchgas Dioxine gebildet werden. In Modellexperimenten konnte nachgewiesen werden, daß ein sehr wirksamer Mechanismus für die De-novo Synthese von Dioxinen auf Flugaschepartikeln existiert. Verantwortlich für diesen katalytischen Prozeß ist die gleichzeitige Anwesenheit von Restkohlenstoff, Chlorsalzen und Kupfer in der Abkühlzone der Rauchgase im Bereich von 300°C.
Zudem entstehen Dioxine durch thermische Belastung von Precursor-Verbindungen, wie z. B. chlorierten Benzolen, Biphenylen oder Diphenylethern.
Umweltverhalten
Dioxine kommen ubiquitär vor und können in der Luft, in Böden, im Wasser und in verschiedenen Organismen, einschließlich dem Menschen, nachgewiesen werden. In reiner Form sind die Substanzen kristalline Feststoffe mit hohen Schmelzpunkten, sehr geringer Wasserlöslichkeit und ausgeprägter Lipophilie, was zusammengenommen auf eine hohe Bio- und Geoakkumulationstendenz hindeutet. Die Persistenz der Dioxine in der Umwelt ist beträchtlich, da der biologische Abbau relativ langsam erfolgt. Die Halbwertszeit der Dioxine in Gewässersedimenten beträgt ca. 2 Jahre und in Böden bis zu 10 Jahre. UV-Strahlung begünstigt den dechlorierenden Abbau der Dioxine, insbesondere wenn die an sich sehr reaktionsträgen Verbindungen an aktive Oberflächen wie Böden oder Silicagele adsorbiert sind. Aufgrund der geringen Eindringtiefe der UV-Strahlung ist jedoch die photochemische Mineralisierung auf die Grenzflächen der Feststoffe beschränkt. Protonenlieferanten wie Hexan oder Olivenöl begünstigen den Abbau. So wurden die kontaminierten Flächen in Seveso z. T. mit Olivenöl besprenkelt, um in Kombination mit der Sonneneinstrahlung eine in-situ-Bodensanierung durchzuführen.
Wirkungen
Beim Menschen erfolgt die Akkumulation der PCDD/F besonders in Fett- und Muskelgewebe sowie in der Leber. Die toxikologischen Wirkungen werden gegenwärtig noch widersprüchlich beurteilt. Bislang nachgewiesene toxische Effekte sind Spezies-, alters- und geschlechtsabhängig. Typische Symptome sind u. a. Gewichtsverlust, Thymusatropie und Immunsuppression. Darüber hinaus wird den Dioxinen Hepatotoxizität, Teratogenität sowie Karzinogenität zugeschrieben. Das beim Menschen typische Wirkungssymptom ist die Chlorakne. Bei oraler Applikation von 2,3,7,8-TCDD reichen die LD50-Werte bei Versuchstieren von 0,6 - 2,2 pg/kg Körpergewicht (KG) bei Meerschweinchen bis zu 3.000 - 5.000 g/kg KG bei syrischen Goldhamstem. Um neben der akuten Toxizität den chronischen und subchronischen Wirkungen der PCDD/F Rechnung zu tragen, wurden sogenannte ADI-Werte (acceptable daily intake) definiert. Dieser international unterschiedliche Wert liegt in Deutschland bei 1 pg TE/kg KG je Tag und berücksichtigt neben toxikologischen Erkenntnissen auch entsprechende Sicherheitsfaktoren. Die erheblichen Unterschiede in der Toxizität der Einzelverbindungen sind zur Zeit nicht zufriedenstellend erklärbar. Die höchsten Toxizitätswerte weisen die in den 2,3,7,8-Positionen substituierten Verbindungen und hier insbesondere das 2,3,7,8-TCDD auf. Um die unterschiedlichen Toxizitäten der einzelnen Isomere zu gewichten, werden üblicherweise Toxizitätsäquivalentfaktoren (TEF) verwendet. Durch die Multiplikation der Konzentrationen der Einzelsubstanzen mit ihren TEFs lassen sich 2,3,7,8-TCDD-Toxizitätsäquivalente (TE) berechnen, die einen Vergleich der Toxizität von ermittelten PCDD/F Rückstandsgehalten ermöglichen sollen.
Der analytische Nachweis von PCDD/F stellt aufgrund der geringen wirksamen Konzentrationen und der hohen Anzahl an möglichen Kongeneren hohe Anforderungen an die Probenvorbereitung und die instrumentelle Analytik. Die Identifizierung und Quantifizierung erfolgt in der Regel mit Hilfe der Gaschromatographie mit massenselektivem Detektor (GC-MS) unter der Verwendung von 11C-markierten Referenzstandards. Üblicherweise werden lediglich die toxikologisch bedeutsamen Tetra- bis Octachlorkongenere untersucht.
Weiterführende Literatur: Bundesgesundheitsamt: Sachstand Dioxine. Bericht 5/85 des Umweltbundesamtes. Berlin 1985; Korte, F.: Lehrbuch der Ökologischen Chemie. Grundlagen und Konzepte für die Beurteilung von Chemikalien, 3. Aufl. Stuttgart, New York 1992; Ballschmiter, K./ Bacher, R.: Dioxine; Chemie, Analytik, Vorkommen, Umweltverhalten und Toxikologie der PCDD/F, Weinheim 1996; Lohmann, R./ Jones, K. C.: Dioxins and furans in air and deposition. A review of levels, behaviour and processes. The Science of the Total Environment 219, o. O. 1998.
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